RFID (Radio Frequency Identification) – schon lange in den Lagerhallen für die Warenverfolgung im Einsatz, soll nun auch in den Einzelhandel kommen. Auf Produktebene (EPC-basiert, Electronic Product Code) sogar. Doch die kritischen Stimmen wollen nicht verstummen: Fehlinformation auf der Verbraucherseite stehen den riesigen Datenmengen gegenüber, die extrahiert und verwaltet werden wollen. Die Innovation bremsen solche Fragen nicht. Und während die Zweifler sich zu Wort melden, hat eine ganze Industrie schon seit Jahren erkannt: Ohne RFID geht in Zukunft nichts mehr.
In die öffentliche Diskussion geraten ist die Technik, die heute schon so manche Bedarfskette treibt, durch die Ankündigungen der Großhändler. So laufen bei Walmart in den USA und Metro in Deutschland erste Testprojekte, die auch die jeweiligen Zulieferer einbinden. Dies ist schließlich die Grundvoraussetzung für die Einführung der Technik: Durchgängige und ganzheitliche Einbindung aller Glieder der Bedarfskette bis hin zum Endverbraucher, das ist das Ziel.
Schein und Wirklichkeit
Doch glaubt man den Praktikern, so ist diese Einsatzart noch Zukunftsmusik und erhält nicht gerade Schützenhilfe durch die Publicity, die die Handelsketten losgetreten haben. Einiges Missfallen bei den alteingesessenen Praktikern erregen also Worte wie die von Hans-Joachim Körber, dem Vorstandsvorsitzenden der Metro-Gruppe. Er sagte anlässlich der Ankündigung der Technik-Roadmap auf einer Messe in den USA: “Der Einsatz innovativer Technologien wird in Zukunft einer der entscheidenden Wettbewerbsfaktoren unserer Branche sein.”
Dagegen hat der Industrieverband AIM, in dem sich Hersteller von Identifikationssystemen verschiedenster Art für technische Fragen und Standardisierungsanstöße zusammengefunden haben und der in seiner deutschen Sektion über hundert Mitgliedsunternehmen zählt, einige Kritik anzumelden an solchen vollmundigen Parolen. Organisierte Industrievertreter halten die Technik auf der genannten Produktebene für wenig ausgereift, die öffentliche Diskussion für einseitig und die Aufklärungsarbeit der Industrie für mehr als mangelhaft.
Dazu sagt Frank Hemforth, Technology Consulting Europe bei dem Supply-Chain-Lösungsanbieter Manugistics: “Aus meiner Sicht ist der RFID-Einsatz in Fragen der Massendatenverarbeitung noch nicht voll ausgereift. Die Grenzen heißen: Zuverlässigkeit und Reichweite, beispielsweise wenn Metall ins Spiel kommt, das die Funksignale stören kann.” Er verweist auf Studien wie die von dem Marktforschungsunternehmen Nucleus Research, die feststellen mussten, dass es noch eine Fehlerquote von einigen Prozent gibt. Hemforth: “Wir haben es, wie man so sagt, mit einer ‘Emerging Technology’ zu tun, die noch Entwicklung erfordert. Auf Palettenebene funktioniert sie zweifellos und auch stabil, aber zum heutigen Zeitpunkt erfordert der Einsatz auf Einzelartikelebene noch eine gewaltige Entwicklungsarbeit.”
RFID-Fans in der Kostenfalle
Auch die Kosten, so merkt er an, kämen hier ins Spiel. Er bezieht sich auf den Wirbel, den die etwas mutige Prognose der RFID-Freunde im Großhandel ausgelöst hat. Dazu sagt Bill Allen, Manager bei AIM-Mitglied und einem der RFID-Pioniere Texas Instruments: “Das Gerede über Tag-Preise, die schnell unter 5 Cents pro Tag fallen könnten, hat eine eher abträgliche Wirkung; es führt zu einer sehr abwartenden Haltung, die die Marktentwicklung hemmt und Unternehmen davon abhält, RFID heute schon zu testen und herauszufinden, wie sich aktuell ein ROI damit realisieren lässt.”
Hemforth weiß: “Walmart hat als einer der Vorreiter Kosten von 5 US-Cent pro Tag in den Raum geworfen – tatsächlich sind dies aber je nach Hersteller und Qualität 30 Cent bis hin zu einem Dollar. Das macht den Einsatz auf Produktebene für Luxusartikel wie DVD-Player vielleicht interessant, jedoch nicht für jede Milchtüte.” Auch die Frage der Wiederverwendbarkeit und der Entsorgung stellt sich bei diesem Preis sehr konkret. Also alles nur Augenwischerei?
Ruhige Inventur – und ab auf die Piste
Keineswegs, sagen Lösungsanbieter wie die Münchner RFID-Firma Eyelog, die auch das Müllproblem im Auge behalten will. Sie hat ein Konzept entwickelt, wie branchenweit im Optikergeschäft die lästigste Arbeit des Jahres blitzschnell erledigt werden kann: die Inventur. Einfaches Tagging der Brillen erspare die mühsame Auslesearbeit der zum Teil mikroskopisch kleinen Barcodes, die die Preis- und Produktinformation enthalten und den Warenbestand angeben. Ein Lesegerät für die RFID-Tags, einmal am Brillenständer oder am Regal vorbeigezogen, soll das Zählen inklusive aller benötigten Informationen gewährleisten.
Die Tags sollen, so Eyelog-Partner Dirk Reulecke im Gespräch mit silicon.de, “die benötigte Zeit von Tagen auf Stunden reduzieren, den reellen Warenbestand und den Warenschwund anzeigen und Händlerverträge, sowie die gesamte Logistik besser verfolgbar machen”. Er hat auf Messen festgestellt, dass die Kostenfrage für die überwiegend satte Optikerlandschaft in Bayern gar nicht so sehr im Vordergrund steht. “Aber wenn die Optiker hören, dass sie ihre Jahresinventur zugunsten des Skiurlaubs an Silvester um Tage verkürzen können, sehen sie den Nutzen schnell.”
Vom konkreten Sinn der Technik wissen auch die AIM-Mitglieder. Auf der Homepage gibt es ein einfaches Rechenbeispiel für den Tag-Einsatz im Warenbestand auf der Ebene der bereits genannten “Milchtüte”: Eine Marktforschungsfirma habe, so heißt es hier, errechnet, dass beispielsweise bei Woolworth eine Erhöhung um ein Prozent bei der Verfügbarkeit aller Produkte in den Regalen eine Umsatzerhöhung von 0,25 Prozent nach sich ziehen kann. Bei den Einnahmen von Walmart wären das etwa 6,1 Milliarden Dollar Umsatzerhöhung, grob geschätzt.
Keine Schablone
Doch Projektmanager Frank Hemforth warnt davor, sich die Kalkulation von Kosten und Nutzen zu einfach zu machen: “Die Einführung kostet von der reinen Technik her vielleicht ein paar Hunderttausend, aber die System-Integration kommt dann noch hinzu, eventuell mit einigen Millionen Dollar.” Allerdings müssen die Händler seiner Ansicht nach über kurz oder lang mitgehen mit ihren Großabnehmern. Dies sei eben die neue technische Richtung, in die der Markt gehe. Damit rechnet er fest. Für Händler stelle sich lediglich die Frage, wann sie sich dem jetzt schon existierenden Marktdruck beugen.
Hinzu komme für Anbieter wie auch für Kunden die Standardisierungsproblematik: “In technischer Hinsicht wie auch international müssen hier noch Fragen geklärt werden. Die Qualität und Zuverlässigkeit muss verbindlich messbar werden.” Da er selbst aus dem Projektgeschäft komme, liege ihm aber zunächst viel am Nutzen der Lösungen. “Das ist so wie bei jedem Projekt: die Technik und Implementierung ist nicht das Schlimmste. Das Knifflige kommt erst, wenn die Technik berechenbaren Nutzen abwerfen soll. Und hier ist bei RFID die Frage der Massendatenverarbeitung ganz entscheidend.”
Nicht RFID, Datenhaltung ist das Problem
Hier hakt auch der Verbraucherschutz ein. Die Ängste der Konsumenten vor RFID haben bei näherem Hinsehen wenig mit der Technik zu tun und noch weniger mit den tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten von RFID-Tags. Laut Definition werden ja bei einem RFID sogenannte Transponder, auch Tags genannt, an Objekten angebracht. Die darauf gespeicherten Daten können dann nur über eine kurze Funkstrecke ausgelesen werden, je nach Baugröße der Transponder und Leseantennen und je nach Frequenzbereich liegt der Leseabstand bei wenigen Millimetern bis zu einigen Metern. Ferner sind sie lediglich dort notwendig, wo optische Scan-Verfahren wegen der robusten Umgebung oder den Witterungsverhältnissen nicht angebracht sind. Eine unkontrollierbare Fernüberwachung von Personen, wie sie in der Boulevardpresse gezeichnet wird, ist also per RFID kaum möglich.
Dazu auch Chris Hook, Abteilungsleiter für RFID Marktentwicklung bei dem Drucker- und Lesegerätehersteller Zebra Technologies: “Die Debatte über RFID und Privacy hat eine vollkommen falsche Richtung eingeschlagen. Würden die technischen Grenzen, die die Technik hat, von den Aktivisten und den Medien richtig verstanden, dann wäre schon lange unbestritten, dass es auch hier wieder einmal um den bekannten Datenschutz geht und nicht um Datenschutz speziell für RFID.” Was mit den gesammelten Daten geschehe sei relevant, nicht, wie die Daten erlangt würden.
Frank Hemforth pflichtet ihm im Gespräch mit silicon.de bei. Konkret heißt dies für die Anwenderunternehmen: “Bei der Massendatenverarbeitung im RFID-Einsatz werden nicht fehlerhafte, sondern relevante Informationen verlangt, die über alle Partner in der Wertschöpfungskette hinweg konsistent laufen müssen.”
Wie jedes andere Projekt zu behandeln
Abseits der Technikbegeisterung rät Hemforth zu mehr Nüchternheit in der Diskussion. Vor dem Einsatz sei zu beachten: “Die Standardisierung sollte abgeschlossen oder in Reichweite sein, im Unternehmen sollten die Voraussetzzungen geprüft sein, die Grundlagen von der Software-Seite für die Massendatenverarbeitung auch in die Zukunft hineingegeben sein.”
Das heiße beispielsweise, dass ein um drei Stunden verspäteter LKW den gesamten Arbeitsprozess beeinflussen könne: “Dann muss ein System entscheiden, ob Probleme in der folgenden Supply Chain entstehen; ferner müssen die Applikationen damit umgehen können.” Als wichtigsten Punkt, der für alle Projekte gelte, aber besonders bei technologischen Neuerungen: “Unternehmen brauchen zunächst genaueste Überlegungen und ROI-Berechnungen in Bezug auf den Bedarf und den Nutzen, sie benötigen eine realitätsnahe Strategie, ein festes Commitment und müssen sich an einen stringenten Zeitplan halten.”
Werden diese Punkte befolgt, so der Projekt-Praktiker, dann stehe einer Einführung nichts im Wege. Dann sei ein RFID-Einsatz erfolgversprechend. Dennoch warnt er: “RFID ist kein Technik-Hype, sondern sollte auf genauen strategischen oder Kosten-Nutzen-Überlegungen basieren. Sind diese nicht vorhanden, dann kann die Technik noch so hype sein – sie ist nutzlos. RFID ist grundsätzlich kein Me-too-Produkt, es ist eine strategische Überlegung.”
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