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Information Lifecycle Management: Der rote Teppich ist ausgerollt, der Star stolpert

Niemand kann sich so recht erinnern, woher der Begriff kam. Plötzlich war er da und die Anbieter rissen sich in Nullkommanix ums Urheberrecht für die Definition ‘Information Lifecycle Management’, kurz ILM. Vor allem Storagetek, die auf ihr Recht pochten, den Begriff erfunden zu haben. Genutzt hat es nichts. Ohnehin haben sich verschiedene Formulierungen wie der deutsche Ableger ‘Speicherqualifizierung’ für ein und dieselbe Idee heraus gebildet. Darüber zumindest sind sich alle einig: “ILM ist keine Lösung, es ist ein Konzept.”
So hat es Bob Schultz, Chef der Storage-Abteilung bei Hewlett-Packard (HP), formuliert. Und damit liegt er richtig. ILM ist ein Sammelsurium an Einzellösungen und nur alle Komponenten zusammen können die Verwaltung der Datensätze aus allen Teilen der Infrastruktur vom Anfang zum Ende bewerkstelligen. Das klingt komplex und kompliziert, und das ist es auch. Denn Speichertechnologien, Server, Anwendungen, Backup und Recovery, Datenreplikation, Archivierung und Content-Management müssen aufeinander abgestimmt sein, damit Dokumentenmanagement (noch eine Umschreibung) wirklich ‘von der Wiege bis zur Bahre’ realisierbar ist.

<b>Die Theorie: Geballte Vorteile</b>

Der neue Speicher-Promi könnte vor Selbstbewusstsein strotzen, denn er hat viele gute Argumente auf seiner Seite. ILM nimmt die Informationen im Moment ihrer Entstehung in den IT-Kreislauf auf, in dem jedes Dokument des elektronischen Geschäftsverkehrs rotiert, und gibt sie im Augenblick ab, in dem sie gelöscht werden. Die Komponenten nehmen sich lückenlos jedes Datensatzes an, kreieren, kopieren, speichern, sichern und verschieben ihn während des Zyklus, abgestimmt auf die Anforderungen im jeweiligen Unternehmen.

Definierte Regeln (Policies) sorgen dafür, dass alles läuft wie geplant, dass die Information an der richtigen Stelle gespeichert ist, rechtzeitig verschoben wird und das eine Dokument einem anderen nicht die ohnehin knappen Speicherreserven wegnimmt. Alles läuft, wenn es optimal läuft, automatisch ab. Das spart Zeit, Nerven und soll den Administrator von einer Aufgabe befreien, die er offensichtlich ob ihrer Fülle nicht mehr bewältigen könnte.

Der wohl größte Vorteil ist die gesetzeskonforme Verwahrung der Datensätze. Hat man vorher den Schriftverkehr in Ordner abgelegt und zur Archivierung in den Keller getragen, verlagert sich derzeit die Handhabung. Der Geschäftsverkehr wird vielfach über Mails abgewickelt, Verträge bleiben in elektronischer Form, ausgedruckt wird nur noch wenig. Die klassische Papierform hat ihren Zenith längst überschritten und deshalb muss auch die Judikative nachziehen.

<b>Regeln erzeugen Automatismen</b>

Das hat sie getan mit einer Reihe von neuen Regeln, die den elektronischen Schriftverkehr normieren. Seit einigen Monaten müssen Unternehmen auch wichtige Mails oder andere Dokumente laut Gesetz oder der kommenden Basel II-Richtlinie über einen bestimmten Zeitraum sichern. Die Organisation dafür, elektronische Informationen regelkonform abzulegen, ist sehr schwierig und erfordert einen enormen Überblick. Das soll ILM mit seinen Automatismen übernehmen.

Die zu archivierenden Daten brauchen aber nicht immer auf teuren Speichermedien online abgelegt sein. Es reicht, sie auf günstigen Bändern offline, also ohne direkten Zugriff, zu archivieren. Das ist eine weitere große Herausforderung für ILM: Die entsprechenden Komponenten identifizieren Daten nach verschiedenen Kriterien und verschieben sie an vordefinierte Speicherplätze. Denn nicht zuletzt lautet das Ziel, Speicherreserven optimal auszunutzen, damit die Kosten für neue Ressourcen nicht explodieren.

Beispielsweise trennen ILM-Tools eine Mail, die die Einladung zum Mittagessen beinhaltet, vom wichtigen Dokument, das über Jahre nicht gelöscht werden darf. Die eine Information wird postwendend in den Papierkorb verschoben, die andere landet beispielsweise im Archiv oder auf einen anderen sekundären Speicherplatz. Der ist billiger und entlastet die teuren primären Ressourcen.

<b>Die Praxis: Ein Berg von Schwierigkeiten</b>

In der Praxis klingt das alles toll und sehr lebendig, aber das meiste bei ILM ist graue Theorie. Der neue Star am Speicherhimmel ist noch nicht mehr als ein Sternchen, das von allen umkreist wird. Kein Hersteller kann derzeit auch nur ansatzweise ein vollständiges Konzept vorweisen, obwohl es einige schaffen, sich innerhalb dieser farblosen Grenzen zu bewegen und nicht nachlassen, die Vorteile zu propagieren, die definitiv vorhanden sind, wenn es denn funktioniert.

Allerdings muss man sich bei all dem fragen, ob es dafür eines neuen ‘Buzzwords’, wie ILM bereits verschrien ist, bedurfte. Man könnte sich zum Beispiel auch fragen, ob ein anderes Konzept nicht letztlich genau das gleiche ist: HSM. Hierarchisches Storage Management war vor ein paar Jahren in aller Munde, hat sich etabliert und keiner spricht mehr davon. HSM kann, wie ILM, Daten verschieben, wenn diverse Kriterien erfüllt sind. Während HSM vor allem danach differenziert, wie häufig die Datei in der Vergangenheit abgerufen wurde – gab es keine Zugriffsroutine, wird es verschoben in ein günstigeres Speichermedium – soll ILM weiter gehen und nach noch detaillierteren Kriterien unterscheiden. Neben dem Zeitfaktor steht die Erkennung des Inhalts im Vordergrund. Je nach Inhalt wird die Information an der einen oder anderen Stelle gespeichert.

Dass das keine leichte Aufgabe ist, kann man sich vorstellen. Wer nämlich bestimmt, wann was wohin soll? Und nach welchen Kriterien? Die Klassifizierung der Bits und Bytes ist die eigentliche Herausforderung. Für jedes Unternehmen sind andere Kategorien wichtig. Der Hersteller muss sich Zeit für eine Bestandsaufnahme nehmen, Policies definieren und sie schließlich mit der passenden Infrastruktur umsetzen. Die Kategorien müssen nicht nur einmal festgelegt, sondern ständig gewartet und aktualisiert und den veränderten Bedürfnissen des Unternehmens angepasst werden.

<b>Die Puzzle-Teile gibt es schon, das Bild noch nicht</b>

Einige Daten sind heute wichtig, morgen nicht mehr. Beispiel Quartalszahlen: Heute muss jeder Verantwortliche im Unternehmen auf sie zugreifen können, morgen gehören sie ins Archiv. Die Informationen haben eine unterschiedliche Wertigkeit, generell und nach einer gewissen Zeit. Deshalb ist es unmöglich, das System nur mit Standarddefinitionen zu füttern oder Regeln nicht nach Abständen zu überprüfen. Dazu sind eine nicht geringe Zahl an Komponenten notwendig, die Software ist wichtiger als die Hardware.

Traditionell hardwarelastige Speicherfirmen wie EMC müssen sich die einzelnen Module zukaufen. So hat das Schwergewicht mit einer Content Addresses Storage-Lösung angefangen, die unstrukturierten Inhalt verwaltet. Danach hat das Unternehmen den Speichersoftware-Spezialisten Legato aufgekauft, der sich mit Backup und Archivierung auskennt. Anschließend verleibte man sich mit einem Paukenschlag den Experten für Dokumentenmanagement Documentum ein. Der letzte Coup war die Archivierungslösung für Datenbanken von Outerbay, die EMC in ihr ILM-Portfolio integrierte. Dennoch traute man sich bei der Präsentation der ILM-Strategie noch nicht zu sagen, man sei dabei, die ultimative ILM-Company zu werden.

HP versucht es derzeit fast allein. Nur eine Akquise hat sich der Hersteller bislang gegönnt: Persist, ebenfalls ein Archivierungsspezialist. Der deutsche Documentum-Rivale Ixos wird wohl mit dem Konkurrenten aus Kanada, Opentext, fusionieren, und FileNet und Intervowen stehen auch vor einer Partnerschaft. Hitachi Data Systems (HDS) drückt jedem neuen Integrations-Tool den Stempel auf, Teil des ILM-Konzepts zu sein. IBM, Experte auf dem Gebiet HSM mischt mit, dazu kommen Sun, Veritas, und, und …

Doch die Kunst ist gerade, die Einzelteile aufzusammeln und sie in einem großen Ganzen zu vereinen. Die einzelnen Komponenten existieren und sind weltweit implementiert – einzeln. Bis die Puzzle-Teile sich zu einer Lösung zusammengesetzt haben, wird wohl noch eine Weile vergehen. Produktmanager der Hersteller neigen dazu, diese Weile für kürzer zu halten, als sie voraussichtlich sein wird. Ein HP-Mann ließ auf einer Konferenz zum Thema ILM wissen: “Lassen Sie uns in drei oder vier Monaten noch einmal drüber sprechen.” Das war vor etwa drei oder vier Monaten. Damals war ILM eine Idee und ist es heute noch weitgehend.

Jetzt steht der Star also im Rampenlicht und weiß noch nicht so recht, was er da soll. Zunächst sonnt man sich in seinem Glanz. Die Hersteller, die ILM den roten Teppich ausgerollt haben müssten das Konzept formen, damit der Kunde erfährt, wie er ILM umsetzen kann. Dazu sind sie derzeit aber nicht in der Lage. Wir sprechen uns in drei oder vier Monaten wieder. Vielleicht ist der Star dann etwas schlauer geworden.

Silicon-Redaktion

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