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Weihnachtszeit

Doch, ist schon wahr! Solche Gedanken kommen einem, wenn man hinaus in eine sternenklare Nacht blickt. Oder eben hinaus in den Cyberspace.

Die Hoffnungen der Menschheit richteten sich ja dereinst auf den E-Commerce. Jetzt haben wir ihn! Eine Milliarde Euro Umsatz im Weihnachtsgeschäft übers Web prognostiziert der deutsche Einzelhandelsverband heuer. Ist aber auch nicht die Erfüllung!
Beispielsweise sind solche sternenklaren Nächte meist derart frostig, dass man zur Beschreibung der Temperaturen unwillkürlich zur Fäkaliensprache greift. Und bei so einer Kälte passiert es einem leicht, dass das Auto stehen bleibt.

Im Web erfährt man dann, dass es einem sein Automobilclub ermöglicht “Heiße Grüße in kalten Zeiten” zu übermitteln. Ein “Weihnachtsgewinnspiel” offeriert er und natürlich einen Notrufdienst, der “Tag und Nacht für Sie erreichbar” ist. Da kann’s doch nur einen Schluss geben – einfach anklicken – “Ja, ich will Mitglied werden.” Bloß unter welcher Telefonnummer man, wenn man denn schon mal Mitglied geworden ist, jenen Notrufdienst “Tag und Nacht” erreichen kann, das steht nicht im Web.

Oder nach einem heißen Kaffee sehnt man sich ja in so einer sternenklaren und vor allem kalten Nacht. www.tschibo.de sollte da doch wohl Abhilfe schaffen können, denkt man sich. Zumindest war doch der Lebensmitteleinkauf über Internet einmal das Argument des E-Commerce. Die Sache mit der Online-Pizza.

Na ja, und es wird einem auch schon richtig warm ums Herz: “Hemdchen und Slip” für 12,99 €, “Négligé in edel schimmernder Satin-Qualität” für 14,99 € und “String und Strumpfhalter mit 3-farbiger Ombré-Stickerei” für 9,99 €.

Ach ja, Kaffee gibt’s auch. Aber erst ein paar Reiter nach “Männerweihnacht”. Aktionsware bringt schließlich höhere Margen. (Und ist auch – bei entsprechender Präsentation – schöner anzuschau’n als geröstete Kaffeebohnen.)

Wenn man dann statt mit dem Auto mit der Bahn fahren will, geht das auch nicht mit bloß einem Mausklick. “Es weihnachtet sehr auf dem Bahnhof” erfährt man unter www.db.de. Muss an der Jahreszeit liegen.

Fahrkarten zu verkaufen aber scheint nicht das primäre Interesse dieses Konzerns zu sein. Eher schon sich selbst zu verkaufen – als dynamisches, marktorientiertes Unternehmen halt. Was jedes  Unternehmen heutzutage nun mal ist. Jedenfalls findet sich auf der Homepage der Bahn erst einmal – in der Reihenfolge der Listung – Links zu “Vorstand und Aufsichtsrat”, “Investor Relations” und “Ansprechpartner Kommunikation”. Fahrkarten gibt’s weiter hinten auf der Site.

Vorletzteres, “Investor Relations”, ist ja besonders bemerkenswert – bei einer AG, die nur einen Investor hat. Dass das diesbezügliche Beziehungsmanagement den gleichen Stellenwert für den Internet-Auftritt der Bahn hat wie die Fahrplanauskunft verblüfft den naiven Surfer schon. Ein Anruf vom Mehdorn beim Eichel tät’s doch da eigentlich auch.

Aber sie wollen halt alle just das verkaufen, was der Online-Shopper bei ihnen gerade nicht sucht, die Bahn in Zukunft Aktien, der Automobilclub Mitgliedschaften und Kaffee-Laden “String und Strumpfhalter mit 3-farbiger Ombré-Stickerei”.

Früher – in Zeiten der trögen Print-Publikationen – war’s ja auch schon so – aber nicht so aufdringlich. Da hat man beispielsweise in einer IT-Publikation einen Artikel gelesen. Auf der linken Seite stehen die immer. Und auf der rechten, da hat eine schöne Frau für irgendwas geworben. Für das, wofür schöne Frauen naheliegender Weise halt so werben – für Router, Verkabelungen und Middleware. Und weil man sich ja brennend für Router, Verkabelungen und Middleware interessiert, hat man da auch schon hingeschaut. Man kennt das ja: Ewig lockt der Router.

Heute ist das anders. Da liest man die Artikel im Web. Und auf die Werbung schaut man nicht wegen der interessanten Router-Frauen, sondern weil sie in Form einer Flash-Animation den Artikel verdeckt.

Rich-Media-Werbeformat nennt sich das. Derartiges macht mittlerweile über ein Drittel der Internet-Anzeigen aus. Fünf mal so hohe Klick-Raten wie gewöhnliche Internet-Anzeigen haben solche Formate. Klar, man versucht das Zeug halt irgendwie wegzubekommen. Es nervt ja schließlich noch mehr als die Weihnachtsbeleuchtung in den Einkaufspassagen.

Ach ja, die Weihnachtszeit. Und das alles anlässlich des Geburtstags von einem, der vor 2000 Jahren auf die Welt gekommen ist. Als er dann groß war, hat er im Tempel gewütet und die Tische der Geldwechsler und Taubenhändler umgeworfen. (Matthäus 21, Vers 12). Wär’ im Cyberspace auch mal nötig.

Silicon-Redaktion

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