Datensammler

Die EU meint ja “Europäisches Jahr der Erziehung durch den Sport” von wegen Teamgeist, Einsatzbereitschaft und so.

Ob das aber gar so erstrebenswert ist, dass die Jugend so wird wie die Spitzensportler, rücksichtsvoll wie Schumi, geistreich wie Effe, vornehm wie Völler. (Vermutliche Anmerkung des Nationaltrainers hierzu: “So einen Käse will ich nicht mehr hören. So’n Scheiß! Das ist das Allerletzte.”)
Außerdem wollen ja alle die Familie wieder hochhalten. Und das kollidiert doch etwas mit den persönlichen Verhältnissen etwa der Stars vom FC Bayern München. Beim Rekordmeister sind schließlich selbst die von der Altherrenmannschaft noch ganz passable Seitenspringer.

Und schließlich möchte der Bundeskanzler ja Steuerflüchtlinge stigmatisieren. Auffallend viele Spitzensportler aber haben ihren Wohnsitz im Ausland, in Lichtenstein, Monaco und der Schweiz.

Nein, das hat er nicht wirklich ernst gemeint, der Bundeskanzler. Das hat er bloß so gesagt – wegen der paar wenigen verbliebenen Stammwähler. Aber problematisch wär’s schon, wenn der gewöhnliche Lohnsteuerzahler die Moral der modernen deutschen Nationalhelden übernehmen würde. Also das mit den Vorbildern und der Erziehung durch den Sport, das ist doch sehr gefährlich.

“Jahr der Technik” will Edelgard Bulmahn. Ja, bemüht.

“Jahr des Sparens” sagt die Deutsche Direktbank. Da wiederum braucht man doch nicht eigens ein “Jahr” zu. Denjenigen, mit denen der Kanzler nicht so zimperlich umspringt wie mit Steuerflüchtlingen, bleibt schließlich gar nichts anderes übrig als zu sparen. Wem die Stütze gestrichen wurde, der tut sowas ja zwangsweise.

Die Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat 2004 zum Jahr der Hain-Schwebfliege erklärt. Doch, schönes Tier. Aber ob die deswegen gleich so populär wird wie Lassie, selig?

Wie wär’s denn mit Orwell-Jahr? Gut, das hatten wir schon mal. Aber das ist damals, 1984, doch eigentlich nur wegen des Romantitels gewesen. Heuer jedoch wär’s ganz unliterarisch ernst.

Die Verbindungsdaten in der Telekommunikation sollen künftig ja eben mal so gespeichert werden. Prophylaktisch, wegen der “Erfordernisse effektiver Strafverfolgung und Gefahrenabwehr sowie der effektiven Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes sowie des Zollkriminalamtes” wie’s im Gesetzesentwurf heißt. Also jeder, der will, darf dann ran.

Der Bundesrat möchte das so. Nein, nicht das Wahrheitsministerium – “Miniwahr” in Orwell’s Neusprache. Könnte aber auch aus dieser Ideenschmiede stammen.

Zumindest wesentliche Teile der Wahrheit sind nicht herauszubekommen, beispielsweise was da eigentlich auf Vorrat gespeichert werden soll. Bloß die IP-Adressen, unter denen man online war, erzählt einem der baden-württembergische Polizeipräsident Erwin Hetger treuherzig, der Erfinder der Vorratsspeicherung.

Im Gesetzesentwurf des Bundesrates hingegen heißt es “Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten”. Arg viel Text für ein paar 32 Bit lange Nummernblöcke.

Lagerhallen voller Datenspeicher seien dafür notwendig, klagt der Branchenverband Bitkom. Arg viel Platz.

Orwell’s Televisor ist mittlerweile ebenfalls omnipräsent. In Form von preiswerten Überwachungskameras.

DPA meldet, damit habe das Sicherheitspersonal in einem englischen Schloss den Geist von Catherine Howard, der enthaupteten fünften Frau von Heinrich VIII, aufgenommen. Das ist doch mal ein echter Gewinn für die historische Forschung.

Meist aber haben die Digi-Cams Neuzeitlicheres im Fokus: Autonummern. Die Leute von Andreas Trautvetter haben deswegen im Rennsteigtunnel gefilmt. Trautvetter aber hat dem thüringischen Landtag gesagt, sie täten’s nicht.

Nein, der Mann steht nicht dem Erfurter Miniwahr vor, sondern dem dortigen Innenministerium. Bloß: Überwachung, also totale Information, und Desinformation, die gehören halt einfach zusammen.

Nein: Wer einmal lügt… Das wäre doch arg misstrauisch gegenüber all den Leuten, die wegen unser aller Sicherheit filmen und überwachen.

In einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik gibt es  schließlich Gesetze. Beispielsweise vielleicht bald jenes, das die Vorratsspeicherung von etwas so klar Umrissenem wie “Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten” vorsieht. Oder jenes, das betriebliche Datenschutzbeauftragte vorschreibt. Peter Schaar, der neue oberste deutsche Datenschützer, sagt ein bis zwei Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen würden letzteres nicht einhalten.

Eine alte Frau war da ja unlängst nicht misstrauisch, Christel Peters (87), “die Mutter aller Schnäppchen” aus den Mediamarkt-Werbespots. Die meinte gutgläubig, auch mal beim Konkurrenten Makromarkt ein Schnäppchen machen zu können.

Das Bildmaterial von der Überwachungskamera haben die Werbestrategen vom Makromarkt dann zu einer für Christel Peters imageschädlichen Kampagne benutzt: “Selbst die Mutter aller Schnäppchen weiß: Makromarkt ist billiger.” Das fanden die sehr komisch.

Komisch aber ist eigentlich nur, dass ausgerechnet diese Frau so sehr darauf vertraut hat, dass Überwachungsdaten nicht missbraucht werden. Die hätte es schließlich wirklich besser wissen können.

Wenn jemand filmt, abhört, Daten sammelt und um Verständnis dafür bittet, dann sollte man halt einfach einen anderen Werbeslogan des Mediamarkts beherzigen. “Ich bin doch nicht blöd”, heißt er.