Telefongeheimnis? Das war einmal …
Eher nutzten Experten die Gelegenheit dazu, noch einmal mit großem Nachdruck auf Missstände hinzuweisen.
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den großen Lauschangriff etwas zurückgestutzt hat, wurde von Datenschützern und Verbraucherschutzverbänden zwar mit Erleichterung aufgenommen, doch von einem Sieg für die Wahrung der Privatsphäre mochte noch niemand sprechen. Eher nutzten Experten die Gelegenheit dazu, noch einmal mit großem Nachdruck auf Missstände hinzuweisen.
Und die werden durch die technische Fortentwicklung täglich größer. “Im Grundgesetz steht, dass die Privatsphäre des Bürgers unverletzlich ist, doch das Telefongeheimnis ist ziemlich auf den Hund gekommen”, stellte auf dem Datenschutztag der CeBIT Dr. Jürgen Kühling fest, seines Zeichens bis vor kurzem Richter am Bundesverfassungsgericht. “Der Punkt ist erreicht, wo der Staat endlich eingreifen muss.”
Was den ehemaligen Richter besonders ärgert ist die Tatsache, dass die Technik heute das Abhören von Privatanschlüssen und Telefonanlagen in Unternehmen zum Kinderspiel macht und dass die Legislative diese Tatsache bisher geflissentlich ignoriert hat – mit Folgen, die seiner Ansicht nach unsere Vorstellungskraft bei weitem übersteigen. “Jedes Telefongespräch wird abgehört, und zwar mehrfach”, lautet seine Erkenntnis.
Vor allem die allgemein fehlende Verschlüsselung bei der Übertragung von Telefonaten über verdrahtete und drahtlose Leitungen macht es Spionen jeglicher Ausrichtung und Nationalität leicht. Zwar rät das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) dazu, Telefonate mit sensitivem Inhalt nie ohne Verschlüsselung durchzuführen, doch wie viele Telefonanlagen sind heute im Einsatz, die Verschlüsselung überhaupt anbieten?
Andererseits kann über die Wartungsleitung relativ leicht in eine Anlage eingebrochen werden, und ab da ist vieles möglich. Nicht nur Telefonate sind dann vor dem Abhören nicht sicher, sondern auch Gespräche in Büroräumen. Praktisch jede Nebenstelle einer Telefonanlage kann zur Raumüberwachung genutzt werden, ohne dass das Opfer etwas davon mitbekommt – ein entsprechender Hinweis auf dem Display des Endgerätes ist in der Regel nicht vorgesehen.
“In der deutschen Gesetzgebung gibt es Sicherheitsbestimmungen sogar für öffentliche Toiletten, jedoch nicht Telefongeräte in Hinsicht auf Abhörung”, erzürnt sich Kühling. Er selbst ist inzwischen Präsident der ‘Humanistischen Union’, einer Organisation zur Wahrung und Schutz der Grundrechte. Kühling und seine Mitstreiter wollen über die Verbraucher Druck auf Politik und TK-Industrie ausüben, dass Verschlüsselung zum Standard in der Telekommunikation wird.
“Der Verschlüsselung gehört die Zukunft”, pflichtet ihm Dr. Alexander Dix bei, oberster Datenschützer in Brandenburg. Und da gibt es noch einen weiten Weg zu gehen, denn selbst die Richtfunkstrecken, über welche praktisch jeder Fernruf übertragen wird, lassen dieses Feature missen.
Dix macht gleich auf ein weiteres Problem aufmerksam. Durch die Digitaltechnik sei das Abhören von Gesprächen zwar grundsätzlich schwieriger geworden. Das GSM-Netz galt lange Zeit als nicht absolut sicher aber schwierig zu knacken, doch die Zeiten haben sich geändert. “Man kann heute relativ leicht Handys in Wanzen verwandeln”, sagt Dix. So genannte ‘IMSI Catcher’ geben sich als Mobilfunk-Basisstationen aus und können nach Belieben abhören oder den Standort der Nutzer peilen. Ist man Opfer eines Catchers geworden, lässt sich das am leichtesten an der Gebührenerfassung feststellen. Abgehörte Telefonate werden über den Catcher umgeleitet und tauchen bei der Telefonrechnung nicht auf.
Fernab der Abhörung der Gespräche selbst liegt ein weiteres Problem im Missbrauch von so genannten Randdaten. So werden Informationen genannt, die durch das Aufzeichnen von Verbindungsdaten entstehen und Aufschluss darüber geben, wer mit wem, wann und von wo aus telefoniert hat. Der Gesetzgeber verlangt von den Carriern, entsprechende Daten aufzuzeichnen und lange zu speichern, doch deren Verwendung fällt laut Dix in eine datenschutzrechtliche Lücke: “Allein die breite Verfügbarkeit dieser Daten ist eine Einladung zum Missbrauch.”