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Sommerliche Plaudereien

Urlaub ist die nun mal schönste Form der Realitätsflucht. Entsprechend sind die Komposita, die die Branche zu Werbezwecken einsetzt. Die Kreativabteilungen der Reiseveranstalter wortbilden vorzugsweise mit fließendem, geschmeidigem Sprachmaterial, mit “Traum-” und “Märchen-“. Es geht schließlich darum, die Phantasie anzuregen, und nicht um Faktenhuberei.
Auch womit man sich in dieser Zeit beschäftigt, ist danach. Man liest Belletristik. – Kein vernünftiger Mensch zieht sich im Urlaub etwa eine “Einführung in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung” oder irgendwelche Statistiken rein.

Man schaut sich Kulturdenkmäler an. Keine Betriebsbesichtigungen! Höchstens vielleicht mal eine Brauerei oder ein Weingut.

Der Gesprächston wird in diesen Tagen zunehmend unbeschwerter. Keine Zahlen. Kein Zwang, sich dauernd mit sperrigen Tatsachen auseinandersetzen zu müssen. Statt dessen wird angeregt und phantasievoll geplaudert.

Insofern ist die Öffentlichkeit eigentlich gut eingestimmt auf den Arbeitszeit-Talk, den sie diesen Sommer vorgesetzt bekommt. Eröffnet hat die Runde der Siemens-Chef Heinrich von Pierer mit der 40-Stunden-Woche in den Handy-Fabriken in Bochold und Kamp-Lintfort.

45 Stunden fiel auch schon mal gesprächsweise. 50 Stunden hat unlängst Professor Klaus Zimmermann vorgeschlagen, der Präsident des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Phantasie sind in diesen Tagen halt keine Grenzen gesetzt.

Lässig auch die Argumentation: Nach der Elektro- und High-Tech- kommt die Autoindustrie an die Reihe, Daimler-Chrysler, Opel, MAN, VW. Und exemplarisch begründet der Mercedes-Benz-Chef Jürgen Hubbert seinen Vorstoß in Richtung Arbeitszeitverlängerung mit: “Die geltenden Tarifverträge entsprechen nicht mehr dem Geist der Zeit.”

Diese Freizeitgesellschaft! Auch in Tarifauseinandersetzungen werden jetzt Argumente gewählt, wie sie bislang nur auf Vernissagen zu hören waren.

Da käme man sich ganz unzeitgeistig verbiestert vor, wenn man bei diesen lockeren Plaudereien einen Bezug zur wirtschaftlichen Realität reklamieren würde. Beispielsweise zu der Tatsache, dass Deutschland trotz der phantasievoll geschilderten Standortnachteile den weltweit höchsten Exportüberschuss verzeichnet. 14 Milliarden Euro waren’s hierzulande wieder im Mai. Umgerechnet bescheidene 7 Milliarden hingegen in Japan.

Oder die Lohnstückkosten – das ist jene Kenngröße, die man in spröden, aber fundierten Außenwirtschaftsdebatten üblicher Weise ins Feld führt – die sinken in Deutschland seit 1980 real, während sie in Japan steigen und in den USA in etwa gleich geblieben sind. Das haben die grauen Mäuse im DIW ausgerechnet. Jene, die im Unterschied zu ihrem Chef im Institut staubtrockene Arbeit leisten, anstatt bei Sabine Christiansen zu parlieren.

Na ja, und dann sind da ja diese Woche noch die Urteile im Mannesmann-Prozess ergangen: saubere Freisprüche, wie es sich rechtsstaatlich nun mal einfach gehört. Habsucht ist wie Schamlosigkeit, Falschheit und Hochmut zwar verwerflich, aber aus sehr guten Gründen nicht justiziabel.

Trotzdem wegen des leidigen und unzeitgemäßen Realitätsbezugs: 16 Millionen Euro hat sich der Ex-Mannesmann-Chef Esser dafür bezahlen lassen, dass er dem sein Unternehmen übernehmenden Konzern 50 Milliarden Verlust eingebracht hat. Und jener – Vodafone – möchte sich diesen Verlust natürlich staatlich subventionieren lassen.

Wenn man’s etwas verkniffener sieht, dann rechnet man da halt. Und dann kommt man drauf: 50 Milliarden Euro, das würde ausreichen, um ein Jahr lang eine gesamtwirtschaftliche Arbeitszeitverkürzung von zwei  Wochenstunden zu finanzieren – überall, bei Vodafone, Daimler, VW und beim örtlichen Wasserwirtschaftsamt. Es scheint auch Standortnachteile zu geben, die einige Hierarchie-Ebenen oberhalb der Werkbank angesiedelt sind.

Etliche Milliarden hat der Daimler-Chef Jürgen Schrempp wegen Mitsubishi in den Sand gesetzt. Das würde für viele Jahre “Steinkühler”-Pause reichen.

Balearen, Kanaren, Seychellen – eigentlich ist das alles out. Den unbeschwertesten Urlaub verbringt man allemal auf der Chefetage. Weit weg von der trögen Wirklichkeit. Und da sagt einem auch hinterher niemand, dass man sich jetzt wieder in der Realität der Arbeitswelt einfinden müsse.

Silicon-Redaktion

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