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160 Gbit/s: Siemens & Co. toben sich aus

Wer braucht 160 Gbit/s Durchsatz? Alle, sagen die Netzwerkanbieter. Es wird schließlich bald eng im Glasfaserkabel: Zu viele lasergetriebene Lichtsignale drängeln sich durch. Während die einen Hersteller auf Bündelung der bisherigen Kanäle setzen, treiben andere die Entwicklung in Richtung 160 Gbit/s. Die Netzwerke sollen flexibler werden, als es die jetzt eingesetzten 10 Gbit/s-Netzwerke über ‘Dense Wavelength Division Multiplexing’ (DWDM) sind.
Das halten andere Branchenvertreter für reichlich verfrüht und etwas übertrieben. DWDM, die etablierte Wellenlängen-Multiplexing-Technik, kann noch lange bestehen, wenn man es richtig macht – so lautet ihr Einwand. Für Befürworter der neuen Technik ist der OADM-Einsatz (Optical Add/Drop Multiplexing) jedoch nur eine Frage der Zeit, besonders seit Siemens und Partnern neuerdings ein Feldversuch über eine Strecke von 280 Kilometern gelang.

Beim Versuch haben die Deutschen zusammen mit der britischen BT Exact und der niederländischen Universität Eindhoven den Sprung raus aus dem Labor und rauf auf die Teststrecke gewagt, und zwar mit TD-OADM-Technik (Time-Domain Optical Add/Drop Multiplexing). Der Ende letzten Jahres geglückte Test stelle die gesamte Forschung auf eine neue Stufe, so heißt es.

Service braucht perfekte Werkzeuge

Auch der Netzwerkgigant Cisco redet beispielsweise dieser voll flexiblen Netzstruktur das Wort und wirbt dafür, dass nur so wahrhaft intelligente Netze entstehen könnten. Hochverfügbarkeit, integrierte Anwendungen und Monitoring-Möglichkeiten seien hier einfach besser, so Cisco. Funktionen wie Restart und selbstheilende Eigenschaften im Netz bei laufendem Betrieb sollen die beträchtliche Anfangsinvestition rentabel machen. Und darauf ist eine große Anzahl der Produkte bei Cisco angewiesen, um aus den Regalen zu kommen. Folgerichtig hat Cisco auch Ende 2002 eine Fabrik für DWDM-Bauteile geschlossen.

Cisco-Produktmanager sehen vor allem intelligente Metro-Netze als OADM-Umsatztreiber. Ihre Reichweite werde in absehbarer Zeit wachsen und die Bedeutung der Metro-Netze somit zunehmen. Die verbundene Ringstruktur schaffe dann bald einen weltumspannenden Datentransport. Und hier sei OADM sogar die zentrale Komponente: Nur mit dieser Technik können verschiedene Standorte an einen einzigen Ring angeschlossen werden, wenn die Faserinfrastruktur begrenzt ist, heißt es.

Klaus Grobe ist ein Kenner, jedoch kein Anhänger der OADM-basierten Infrastruktur. Der Director Network Consulting bei Adva Optical Networking arbeitet in einer Abteilung, die bei komplexen Projekten mit Netzwerkbetreibern Unterstützung und Beratung liefert. Seiner Erfahrung nach ist die Nachfrage noch sehr begrenzt. Seit zwei Jahren, so sagt der Chefberater, habe Adva bereits solche flexiblen OADM-gestützten Langstreckeninfrastrukturen im Programm. “Den meisten Netzbetreibern genügt die bisher erforderliche statische Netzbauweise, die allerdings sehr genaues planerisches Verständnis voraussetzt; flexible Fasernetze sind noch relativ uninteressant und werden es auch noch eine Zeitlang bleiben”, sagt er.

Erst kommt der Plan

Was er mit Planung meint, erklärt sich laut Grobe aus der Technik selbst heraus. “Bisher wurden fast ausschließlich statische Netztechniken mit vorselektierter Filterstruktur verbaut. Bei einer strukturellen Änderung muss der Datenstrom gestoppt, die Leitung ausgeschaltet werden; das kostet Zeit und Geld.” Im flexiblen OADM-Netz sind so genannte Feldmatrizen einsetzbar, die solche Änderungen elektronisch steuern. Bei gemanagten, also von einem Dienstleister abgewickelten Änderungen spricht Grobe von einer Rekonfigurationszeit von nur etwa 50 Millisekunden. Das ist natürlich besser als das Netz völlig lahm zu legen, möglicherweise mehrere Minuten oder gar Stunden.

Die althergebrachte statische Struktur bedeutet, dass bereits während der Planung für den Netzaufbau festgelegt werden muss, welche Kanäle später abgekoppelt (drop) oder angeschlossen (add) werden sollen. Ein späteres Hinzufügen oder Abkoppeln von Zugängen kann nur erfolgen, wenn die Übertragung der Datensignale komplett abgeschaltet worden ist. “Der Carrier benötigt aber sowieso genaue Informationen über die Hauptverkehrsflussrichtung, und dann genügt die statische Bauweise”, hält er dagegen. Dann könne der Anbieter auch gleich bei der statischen Planung bleiben und auf die Flexibilität verzichten.

Außerdem sei Time Domain Add Drop Multiplexing (TD-OADM, oder Zeitbereichs-OADM) ein alter Hut, der bereits seit zehn Jahren diskutiert und erforscht werde. Sicher sei die 280-Kilometer-Teststrecke eine zukunftsweisende Sache, doch ist die Technik laut Grobe letzthin zurecht aus dem Fokus geraten. “Vor zehn Jahren standen beide Techniken parallel am Start; niemand hat erwartet, dass sich WDM so rasch entwickelt. Heute macht daher die TD-OADM-Technik tatsächlich nur in breitbandigen Backbones mit hohen Durchsätzen Sinn, ist aber auch dafür noch viel zu teuer”, so Grobe. Für kleinere Bereiche im Metro-Netz sei die Technik oft zu komplex. Die Technik lohne sich nur da, wo ein Wert von 100 Gbit/s Transferrate überschritten werde. Und oft erweise sich sogar WDM als technisch stabiler.

Grobe: “Beim Wellenlängen-Multiplexing werden für 160 Gbit/s eben 16 Kanäle mit jeweils 10 Gbit/s gebündelt – diese Rate über einen einzigen Kanal zu schicken, erhöht nur die Anfälligkeit.” Daher ist seiner Ansicht nach die Durchsetzungsfähigkeit der Technik auch im Weitverkehrsnetz “schwer abzusehen”. Immerhin sei unter anderem das Dispersionsproblem, also die gegenseitige Beeinflussung der Lichtwellensignale, zwar auch bei einer niedrigeren Rate vorhanden, jedoch längst nicht so stark wie bei einer höheren. Die Übertragung, so Grobe, werde ja mit zunehmendem Tempo komplexer.

(K)eine Wachablösung in Sicht

“Wir sehen sogar konkrete Nutzanwendungen für eine Strecke mit 160 Gbit/s-Technologie im Backbone-Bereich”, wehrt sich Harald Rohde, Forscher in der Siemens-Abteilung Corporate Technology, gegen solche Argumente. Für ihn ist die genannte Technik nur einer von mehreren Trends der Zukunft. Doch in der Vergangenheit habe sich ein steter Trend zu immer höheren Bitraten pro Kanal bestätigt.

“Mit jeder Steigerung der Kanaldatenrate ergab sich jeweils eine Verringerung der absoluten Kosten, das heißt ein 40 Gbit/s Kanal ist sogar preisgünstiger als 4 Kanäle zu je 10 Gbit/s”, sagt er. Somit sei der Forschungsbedarf in Richtung 160 Gbit/s pro Wellenlänge und damit die Motivation für das Projekt, das Siemens-intern ‘Fashion’ heißt, längst da.

“Die maximale Übertragungskapazität einer Glasfaser liegt im Bereich mehrerer Terabit/s, abhängig von der verwendeten Faser und der gewünschten Reichweite. Ein Übertragungssystem, welches diese Kapazität ausnutzt, benutzt heute eine sehr hohe Zahl von 10 Gbit/s-Kanälen, beispielsweise im aktuellen Siemens-System bis zu 320 Kanäle”, holt er aus. “OADM wird also WDM nicht ablösen, sondern beide Techniken werden sich in zukünftigen Systemen ergänzen, um dem Kunden den geringsten möglichen Preis pro Bandbreite anzubieten.” Und er wagt im Gespräch mit silicon.de sogar eine echte Voraussage: Bei weiter erfolgreichem Forschungsverlauf könne in etwa 5 Jahren mit der Marktreife der flinkeren Leitung gerechnet werden.

Auch die durchaus gravierenden Einschränkungen durch die Gesetze der Physik sollen die neue Technik nicht aufhalten. “Die Dispersionstoleranz verringert sich zwar mit dem Quadrat der Datenrate. Das heißt, ein 160 Gbit/s-System ist 256 mal dispersionsempfindlicher als ein 10 Gbit/s System”, beschreibt er die Fallgruben. Doch erste Prototypen, die solchen Streueffekten und Ablenkungen der Datenströme entgegensteuern, seien bereits in der Testphase und sollen auf jeden Fall auch in fünf Jahren fertig sein.

Bis die Funken schneller fliegen

Die einfache Methode, 160 Gbit/s Transferrate durch Bündelung zu erreichen, stößt bei Rohde nur auf ein geringes Maß an Zustimmung. “Heute wird diese Bündelung betrieben. Die Verwendung einer einzigen Wellenlänge mit 160 Gbit/s verspricht aber deutliche Kostenvorteile für zukünftige Systeme. So reduziert sich beispielsweise die Zahl der Laser von 16 auf einen einzigen.” Und diese Kostenvorteile seien es, die der voll optischen 160 Gbit/s-Technik über TD-OADM oder andere Methoden den Weg bereiten werde.

Die anfallenden Probleme bewirken, dass die Klarheit der übertragenen Daten prozentual mit der Steigerung der beiden anderen Werte abnimmt. Optische Verstärker könnten da heute nur wenig auf der Langstrecke ausrichten, beziehungsweise sind noch zu teuer für massenhaften Einsatz.

Grobe zieht hingegen die Netz-Historie heran, um die Argumente von Adva zu stützen. “Als vor etwa 15 Jahren der optische Überlagerungsempfang heiß diskutiert wurde, glaubte die Fachwelt auch nicht daran, dass WDM siegen werde – aber nach zwei Jahren Live-Projekten war offensichtlich, wie gut WDM  funktioniert und heute ist der optische Überlagerungsempfang Geschichte.” Ähnliches erwartet er für flexible Techniken und für OADM außerhalb der kleinen Metro-Ringstrukturen. Für ihn steht fest: Lieber mehrere physische Fasern mit weniger Transferrate gebündelt als eine einzige Datenleitung, auf der so manches schwer zu trennen ist. Auf der Weitstrecke sieht er dies auch in naher Zukunft nicht.

Silicon-Redaktion

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