Eine Menschenmenge bahnte sich am Mittwoch den Weg durch Brüssel. Die meisten der Demonstranten tragen gelbe T-Shirts mit dem Slogan: “Keine Softwarepatente – Alle Macht dem Parlament.” Parallel dazu haben sich auch – meist kleine oder mittelständische Unternehmen – an einer Web-Demo beteiligt, die noch eine Woche weiterlaufen soll. Statt ihrer Startseite erscheint bei den Wesites der Unternehmen, die sich an der Aktion beteiligen, erst mal ein Aufruf auf einer rabenschwarzen Seite, gegen die Pläne des Ministerrates zu demonstrieren.
Das andere Lager macht unterdessen auch mobil: Mit der Unterschriftenaktion “Aufruf zum Handeln” drängt Nokia auf eine schnelle Umsetzung des Vorschlages der irischen Ratspräsidentschaft. “Ohne eine ausgewogene gemeinsame Position, wie sie von der irischen Ratspräsidentschaft im März 2004 vorgeschlagen wurde, wird die Innovation in Europa schwer getroffen werden”, heißt es in dem Schreiben.
Die Industrie-Lobby sieht sich unter Zeitdruck und die Konkurrenz in Übersee und Japan schläft nicht. Die Richtlinie jedoch ist eine Auseinandersetzung zwischen Ministerrat und Parlament, da beide Gremien gemeinsam gesetzgebend sind. Daher ist es nötig, dass jetzt ein ausgewogener Kompromiss gefunden wird, nachdem sich Rat und Parlament nicht einigen konnten. Doch scheinen sich die Positionen eher von einander weg zu entwickeln.
Doch auch technisch ist das EU-Parlament kaum handlungsfähig, denn schon Ende April wird es sich auflösen. Eine neue Direktive auf den Weg zu bringen, würde aber mehrere Monate dauern. Neuwahlen für das Parlament gibt es dann im Juni. Vor dem Herbst wird sich dann wohl in dieser Sache auf EU-Ebene erst mal nichts mehr tun.
Eine EU-nahe Quelle nannte gar 2005 als den frühesten möglichen Termin für einen neuen Vorschlag. Bis zur Implementierung der Richtlinie in Landesgesetze würden dann noch einige Jahre vergehen. Mit einer allgemein gültigen neuen Gesetzgebung wäre so erst in ein paar Jahren zu rechnen.
Aus Insiderkreisen konnte silicon.de erfahren, dass die TK-Industrie damit drohe, Investitionen in Höhe von 5 Milliarden Euro abzuziehen, falls es zu einem Beschluss kommen sollte, der auch nur annähernd dem des Parlamentsvorschlages entspräche. Darin würde generell das Recht, auf Software ein Patent zu bekommen, ausgeklammert, was gegen jedes Grundgesetz verstoße, unter anderem gegen das Eigentumsgesetz.
So sei auch der Vorschlag des Parlaments handwerklich nicht besonders gut gelungen. Und es sei zu vermuten, dass sich in einem neuen Entwurf nicht allzu viel an der bestehenden Gesetzgebung verändern werde, “und damit könnte die Industrie sehr gut leben”.
Ministerrat und Parlament stehen sich mit extrem gegensätzlichen Positionen gegenüber, was letztlich zum Scheitern der Direktive geführt hat. Im Ministerrat sind Positionen vertreten gewesen, die sich an die Gesetzgebung in den USA anlehnten. Diese sieht vor, dass nicht nur auf Softwarefunktionen Patente vergeben werden, sondern auch auf Geschäftsmodelle, wie das viel bemühte Beispiel Amazon zeigt. Das Online-Versandhaus hat sich den Bestellvorgang ‘one click buy’ schützen lassen. Eine Funktion, die sich im Prinzip auch mit anderen Softwaremechanismen als die von Amazon nachbilden lässt.
Doch es ist eher unwahrscheinlich, dass sich bei der derzeitigen Interessensvielfalt, die vom Cyber-Anarchisten bis hin zum Konzern-Multi reicht, sowohl im Parlament als auch im Ministerrat eine derartige Position durchsetzen lässt. Aufgabe des Parlaments und des Ministerrates ist nun, eine für die Allgemeinheit annehmbare Lösung zu finden, und die Kommission hat auf beiden Seiten darauf hinzuwirken.
Doch ein neuer Entwurf wird vielleicht schon früher zu Konsequenzen führen. Denn ist die Direktive erst beschlossen, tritt ein sogenanntes Stillhalteabkommen in Kraft. Das bedeutet, dass schon während dieser Zeit keine Patente, die der Direktive widersprechen, erlassen werden dürfen.
Softwarepatente, die derzeit die Gemüter erhitzen, dürfte es eigentlich gar nicht geben, geht man von derzeitigem Recht aus. Dennoch erklärt der Förderverein FFII (Foundation for a Free Information Infrastructure), dass das Europäische Patentamt bereits de facto 10.000 Patente auf Software vergeben hätte. Und der Ministerrat verfolge weitgehende Patentierbarkeit, so der Vorwurf des FFII. Auch die Kommission wolle eine Auflockerung der bestehenden Gesetzgebung. Dennoch sollten auch europäische Unternehmen nicht gegenüber Firmen aus USA oder Japan dadurch benachteiligt werden, dass sie keinen Rechtsschutz für ihre Entwicklungen bekommen können, heißt es.
Die Kommission ist bemüht, das Thema an sich differenzierter und verständlicher zu machen. “Die Direktive wird keine Patente auf Software selbst erlauben”, erklärt Frits Bolkestein, amtierender EU-Binnenmarktkommissar. Es gehe vielmehr um Patente für technische Erfindungen, die Computer mit einschließen und Software benutzen. “Erfindung kann hier definiert werden als eine neue Information, die eine Lösung für ein technisches Problem bringt.” Software alleine sei aber keine Erfindung, so der Kommissar.
“Voraussetzung für die Patentierbarkeit von Software ist, dass die so genannte Technizität vorhanden ist. Das bedeutet, dass ein bestimmter technischer Beitrag von der Software geleistet wird. Schlichte Programmabläufe oder gar einzelne Code-Zeilen oder Befehle als solche sind in der Regel nicht patentfähig. Es ist jedoch möglich, Patentschutz zu bekommen, wenn durch die Software ein bestimmter technischer Beitrag geleistet und ein bestimmtes technisches Problem gelöst wird”, erklärte Boris Kreye, Rechtsanwalt für Patentrecht einschließlich Softwarepatenten bei der Kanzlei Bird & Bird, gegenüber silicon.de.
Kreye vermutet, dass die Patentierbarkeit von Software sich weiter entwickeln und vereinheitlicht werde. Verhältnisse wie in den USA seien jedoch auch nach der geplanten Richtlinie voraussichtlich nicht zu befürchten. Die Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden, die in den USA grundsätzlich möglich ist, sei auch nach dem derzeitigen Richtlinienentwurf nach wie vor ausgeschlossen, so Kreye weiter. “Auch wird nach der geplanten Richtlinie das Erfordernis eines technischen Beitrags der Software weiterhin bestehen bleiben.”
Dennoch glaubt Kreye, dass die Bedeutung von Patentverletzungsverfahren weiter zunehmen werde. Doch kann der Experte für Softwarepatente die Befürchtung vieler selbständiger Entwickler und kleiner Softwarefirmen, durch ein mehr an Patenten vom Markt verdrängt zu werden, zerstreuen. So solle nach der jetzigen Fassung der Richtlinie die Anforderungen an die Patentfähigkeit gegenüber dem jetzigen Stand im wesentlichen nicht verändert, sondern nur vereinheitlicht werden. Auch nach der neuen Version sei nicht jedes Programm per se patentfähig.
“Entweder sie wollen ein Patent anmelden oder nicht”, kontert er die Frage, ob durch die Anmeldung von Patenten vor allem große Firmen einen Wettbewerbsvorteil bekommen. Mit Softwarepatenten, wie mit Patenten allgemein, sieht er auch für kleine Firmen die Möglichkeit, sich gegen Ideenklau von großen Unternehmen zu wehren.
Doch auch bei Patenten auf computerimplementierte technische Lösungen gibt es immer wieder Probleme. Harald Springorum, Patentanwalt und Informatiker, hat gegenüber silicon.de zwei Problemgruppen identifiziert: “So genannte Trivialpatente, die keine ausreichende Erfindungshöhe aufweisen oder Patente auf Geschäftsmodelle, wie etwa durch das Amazon-Patent illustriert, oder sehr umfassende oder grundlegende Techniken.”
Die andere Gruppe, die oft zu Problemen führe, seien ‘patentierte Probleme’. Vor allem in der Vergangenheit, als es noch sehr wenige Informatiker und Computer-Know-how bei den Patentanwälten gab, wurden viele Patente auf Probleme und nicht auf Lösungen erteilt. Die Qualität der Prüfung habe sich hier mittlerweile verbessert, sagte Springorum. Doch gibt es noch immer Patente, die weiter gefasst sind, als die eigentliche Lösung reicht. So würde nach wie vor im deutschen Patentamt kein Informatiker als Patentanwalt arbeiten.
“Bedrohungsszenarien für kleinere Unternehmen sehe ich nicht, die Marktsegmente sind ja meist ganz andere”, so Springorum. Patente könnten jedoch für kleine Unternehmen durchaus hilfreich sein, um gegen größere Konzerne Ansprüche durchzusetzen. Genau das zweifeln aber Kleinunternehmen und eine ganze Reihe von Bürgerrechtsorganisationen in Deutschland und der EU an. Patente bedeuten für sie erst mal hohe Prozess- und Anwaltskosten und ein hohes Maß an Ablenkung vom eigentlichen Geschäft. Welcher Mittelständler kann sich das schon leisten?
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