Die Bäume verbiegen sich. Heftige Schauer aus grau-schwarzen Wolken ergänzen den Dauersprühnebel. Vor den Toren aber wuselt es: nervöse Taxifahrer, die eigentlich nicht einmal halten dürften, Sicherheitskräfte in blauen Anzügen und Knopf im Ohr, Bobbys, gelassen und wachsam zugleich, Volk in Regenjacken oder das Wetter missachtend in edlem Tuch. Junge Leute in leuchtendem Rot laden im Auftrag eines Süßstoffanbieters zum Probieren gezuckerter Erdbeeren an. Heute wirken sie verloren, obwohl die Frucht zu Wimbledon gehört wie die jährliche Tennismeisterschaft selbst.
Tatsächlich beginnt im Stadion ein Tag ohne Tennis, die Plätze bleiben mit Planen verhüllt, über Lautsprecher entschuldigt sich die Leitung mit Hinweisen aus der Londoner Wetterzentrale für Regen und Wind. Damit bleibt es auf den Anzeigetafeln auf dem Gelände und der Wimbledon-Website www.wimbledon.org ruhig. Das sei jedoch die Ausnahme, versichert Mark McMurrugh, IBM Wimbledon Projekt Director. Er muss es wissen; denn IBM stellt als Sponsor der Lawn Tennis Championships und Geschäftspartner des All England Lawn Tennis Club (AELTC) die IT der 14-tägigen Tennismeisterschaft – seit 15 Jahren von den Informationen auf den Anzeigetafeln bis zur Website.
Spiel, Satz, Sieg auf der Website
Etwa 4,2 Millionen Benutzer besuchten die Site im vergangenen Jahr. Das entspricht rund 28 Millionen Visits und 231 Millionen Page-Views. Die nächstgrößten Grand-Slam-Turniere, an denen IBM ebenfalls beteiligt ist, zeigen weit weniger imposante Eckdaten. Zum Beispiel besuchten nur 2,4 Millionen Fans die Site der US Open, 1,8 Millionen die Australian Open und 2,9 Millionen die French Open.
McMurrugh ist das ganze Jahr über vor Ort und tüftelt das IT-Konzept aus. Zurzeit steht ihm ein Team von 20 Mitarbeitern zur Verfügung. Wie viele Besucher die Wimbledon-Website in diesem Jahr haben wird, kann McMurrughs Team trotzdem nur schätzen. Damit aber ist unklar, wie hoch die für den Betrieb bereitgestellte Rechnerkapazität in Spitzenzeiten sein muss. Somit sei Wimbledon als Kunde und Marketing-Kandidat geradezu prädestiniert für das IBM-Konzept ‘Computing on Demand’, führt der Projekt-Leiter aus. Hierbei gehe es darum, Rechenleistung dann zur Verfügung zu stellen, wenn sie gebraucht werde.
Um zu sehen was IBM aufsetzt, wenn der Anbieter als Sponsor zugleich Kunde ist, lohnt sich ein kleiner Ausflug in die Geschichte. 1990 jedenfalls sorgte IBM für gerade einmal 20 tragbare 286er PCs mit je 16 Megahertz und 6 Megabyte Speicher, beziehungsweise 20 Megabytes Plattenplatz. Zudem sorgt der IT-Lieferant seit jeher auch für Grafiken für die Fernsehberichterstattung. Es gab zehn verschiedene für sechs Tennisplätze.
Computerfachleute als Medienprofis
Jetzt versorgt IBM nebst Intra- und Internet vor allem die BBC mit etwa 700 verschiedenen Grafiken und Statistiken. Die Resultate ergänzen dynamisch mit Hilfe Künstlicher Intelligenz die Berichterstattung. Diese entstehen praktisch online. IBM verfügt über eigene Tennis-Experten, die in Echtzeit die Spiele von sieben Tennisfeldern mündlich wie schriftlich aufnehmen, auswerten und die Daten registrieren. Sie sind selbst mittlerweile kleine Berühmtheiten, die Interviews geben müssen. Die dokumentierten Ereignisse sind in fünf Sekunden weltweit verfügbar. Auch die Tennisspieler profitieren von dem umfangreichen Statistikmaterial. Sie bekommen direkt nach ihrem Spiel einen Bericht darüber in Form eines 5- bis 30-seitigen Folders, inklusive persönlicher Leistungskennzahlen.
Diese beinhalten etwa auch die Ballgeschwindigkeit, die IBM seit 1991 misst. Seit 1992 haben die Kommentatoren der verschiedenen Medien Zugriff auf die Statistiken; das sind heute etwa 750 Häuser. Ein DB2-Datenbanksystem verwaltet die Wimbledon-Historie. So können Medienvertreter aus dem 1999 eingeführten Intranet auf Knopfdruck etwa in Erfahrung bringen, dass der jüngste Gewinner 1985 im Herren-Einzel-Wettbewerb im Alter von 17 Jahren und 227 Tage den Sieg errang, Boris Becker hieß und dass von 110 Damen-Einzel-Turnieren nur acht Frauen aus Deutschland aber 49 aus den Vereinigten Staaten kamen. Seit 1995 werden immer mehr Informationen auch für das Internet aufbereitet. Heuer gibt es zudem einen neuen Online-Shop.
Linux ist anwenderfreundlich
Seit 1999 nutzt IBM das Open-Source-Betriebssystem Linux. 2004 läuft Linux etwa auf Rechnern der X-Serie, die für die Web-Server zuständig sind. Linux dient auf Rechnern der X-Serie außerdem als Grundlage für die IBM-Middleware Webshpere Business Integrator und den Event Broker. Auf derselben Kombination läuft auch das DB2-System, zum Beispiel für die Scoring-Datenbank der Internet-Anwendung, sowie der Staging-Server, mit dessen Hilfe die statischen Teile in die Website eingefügt werden, Fotos und Artikel beispielsweise. Auch das Browser-basierte Web Information System, das die Medienvertreter nutzen, ist auf Linux-Maschinen der X-Serie installiert. Das Unix-Derivat AIX von IBM auf Rechnern der P-Serie dagegen sorgt für den Betrieb der Tivoli-Monitoring-Software sowie anderer Administrations-Lösungen.
John Kent, IBM Technical Programme Manager for Worldwide Sponsorship, erinnert sich, warum IBM vor sechs Jahren auf Linux wechselte: “Wir wollten damals einfach das Verhältnis von Preis und Leistung verbessern und wollten unbedingt eine Intel-Plattform zur Verfügung haben.” Heute sei Linux vor allem deshalb im Einsatz, weil es auf so vielen verschiedenen Systemen laufe und damit für den Kunden, den AELTC, größtmögliche Flexibilität in der Infrastruktur gewährleiste.
Preis und Flexibilität gälten auch für das On-Demand-Konzept, so Kent. Die Rechner-Kapazität und die Bandbreite, die den Wimbledon-Anwendungen zur Verfügung stehen, stellen drei IBM-Rechenzentren in den USA bereit. Die Ressourcen werden remote verwaltet und von zwei weiteren Anwendungen genutzt. Eine davon ist die eigene Unternehmens-Site www.ibm.com.
Regeln sorgen für Automation
“Normalerweise”, erläutert Kent, “ist die Redundanz lediglich durch ein weiteres Rechenzentrum beziehungsweise ein weiteres System gewährleistet. Wir erreichen durch die drei Zentren jedoch eine Kapazität von 150 Prozent, zum Beispiel um das Caching und die Bandbreite sichern zu können.” Wann welche Anwendung auf die Ressourcen zugreifen kann, regelt das Tool Tivoli Intelligent Orchestrator. “Mit Hilfe des Werkzeugs lassen sich Regeln definieren. Diese erlauben einen Großteil der Verwaltung zu automatisieren”, erläutert Steve Wojtowecz, Director Strategy Tivoli Software. Die meisten Kunden, nutzten Orchestrator derzeit als Hilfe für die Beschaffung neuer Ressourcen, nicht für den Lastenausgleich.
Bei IBM habe das Tool seine Feuertaufe im Echtzeitbetrieb aber schon hinter sich, erzählt der Tivoli-Fachmann – bei den Australian Open. Über das Jahr brauchen die dortigen Anwendungen nur drei Server, doch für den einen Monat im Jahr, in dem der Tenniswettbewerb stattfindet, werden 16 gebraucht. In dieser Zeit macht der Veranstalter rund 95 Prozent seines Umsatzes. Auch in diesem Fall liefen zwei andere Applikationen auf den dezidierten Servern. Die wesentliche Vereinbarung bestand darin, dass, sollte die Auslastung durch die Anwendungen der Australian Open unter 30 Prozent sacken, der Server für die anderen Anwendungen frei zu geben war.
Tivoli Monitoring Tools überwachten etwa die Antwortzeiten, die Speicher- und CPU-Auslastung. Administratoren konnten den aktuellen Stand und den Verlauf abgebildet in Kurven auf einem ‘Dashboard’, eine Art virtuelles Cockpit, verfolgen. Elf bis 30 Minuten hat es gedauert, bis mit Hilfe von Vorlagen (Images) ein neues Betriebssystem aufgespielt, eine Applikation in einen neuen Server-Pool, den Storage-Devices sowie ins Netzwerk eingebunden war. Ist das Replizieren unmöglich, weil ein Master-Image fehlt, dauert das Einrichten länger. Nach Auskunft von Wojtowecz wurde der Schwellenwert von 30 Prozent oft über- und unterschritten. Zehn bis zwölf mal sei die volle Kapazität ausgereizt worden und fünf bis sechs Tage seien ausschließlich die Anwendungen der Australian Open auf den 16 Servern gelaufen.
Für die IBM-Manager McMurrugh, Kent und Wojtowecz scheint es kein Widerspruch zu sein, Kunde und Testpilot zu sein. Denn nicht ausschließlich für die Automatisierung via Orchestrator dienen die Sportveranstaltungen als Integrationstests, sondern auch für neue Techniken insgesamt. Alle drei sagen dazu: “Wir sammeln Erfahrungen, vor allem was die Robustheit, die Skalierbarkeit und Sicherheit angeht.”
Tennis gucken auf dem Taschencomputer
Seit dem vergangenen Jahr etwa können die akreditierten Fotografen in Wimbledon ihre digital aufgenommenen Bilder direkt vom Center Court und Court Nr. 1 drahtlos in eine Datenbank spielen. Von dort rufen weltweit Redaktionen die Fotos ihrer Auftragnehmer ab. Während 2003 nur ein Dutzend Fotografen diesen Service in Anspruch genommen haben, sind in dieser Saison Hunderte für diesen Dienst registriert. Die 802.11g-LAN-Struktur mit 40 Access-Points für die Abdeckung im Center Court, Court Nr 1 und dem Medienzentrum stellt Cisco.
Dagegen spielt in diesem Jahr der Einsatz von Pocket-PCs und Wireless LAN eine wichtige Rolle. Rund 60 O2-XDA-II-Geräte für spezielle Gäste in Wimbledon befinden sich im Feldversuch. Neben den in Echtzeit abrufbaren Spielstatistiken können die Handhelds Videos in Echtzeit empfangen. Vor zwei Jahren gab es zum ersten Mal Informationen für Pocket-PCs. Sie konnten jedoch ausschließlich per GPRS empfangen werden. Dennoch haben im Jahr 2003 bereits 9000 Personen den Service genutzt.
Auch die Identifikation mit Hilfe von RFID-Ausweisen und –Etiketten (Radio Frequency Identification) spielt in den Überlegungen von Wimbledons IBMern eine Rolle. Im vergangenen Jahr gab es einen ersten Versuch, teures Equipment mit Hilfe der intelligenten Tags zu sichern. Im laufenden Turnier kommen jedoch keine Funkchips zum Einsatz. “Zu teuer, zu umständlich”, heißt es lapidar.
Für den Tennis-Fan McMurrugh ist es das letzte Wimbledon-Turnier als Director und für IBM läuft ein mehrjähriger Vertrag mit AELTC aus. Es muss neu verhandelt und ein neues IT-Konzept erstellt werden – nur nicht zu revolutionär, wünscht sich der Club. Für die radikalste Neuerung sorgt dieser selbst: Ein transportables Dach für den Center Court soll ab 2009 auch Tennis im Regen ermöglichen.
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