Hirnanhang-Devices
Ein Veteran ist, wer sich noch an die Anfangszeit erinnern kann. Daran, dass alles einmal ganz aufregend war. In der IT nun wird man sehr schnell zum Veteranen.
Vor gar nicht so langer Zeit beispielsweise, damals, als Supercomputer noch die Leistungsfähigkeit heutiger PDAs hatten, da pflegte man sich gerne und ausführlich über künstliche Intelligenz zu echauffieren. Die wesentlichen Positionen: Marvin Minsky – der KI-Forscher vom MIT – der war dafür und Joseph Weizenbaum dagegen.
Ersterer hätte auch allzu gerne einen Computer direkt an ein menschliches Gehirn gehängt, um den Rechner dann durch die schiere Kraft der Gedanken steuern zu lassen. Weizenbaum war entsetzt. Und auch die meisten der weniger prominenten Teilnehmer an jenem öffentlichen Diskurs taten’s ihm gleich.
Betroffenheit nannte man sowas damals. Die zu bekunden, kam immer gut. Deshalb taten’s viele auch im Übermaß und waren häufig geradezu sturzbetroffen. Mit Vorliebe wegen der ungeheueren Überlegungen, die irgendwelche spinnerten Computerwissenschaftler anstellten.
Heute regt sich darüber niemand auf. Es sind ja auch keine Spinnereien mehr: Bei fünf Probanten verlegt das US-Unternehmen Cyberkinetics in diesen Tagen einen Draht durch die Schädeldecke und verbindet deren Gehirne mit jeweils einem Rechner.
Cyberkinetics will Gehirnströme analysieren und in maschinenlesbare Signale übersetzen. Prothesen für funktionsunfähige Gliedmaßen sollen so einmal gesteuert werden.
Da sag mal jemand was dagegen! Aber daran liegt’s wohl nicht, dass es heute keinen Disput mehr über sowas gibt.
Über die profane Wirklichkeit zu diskutieren, ist halt einfach nicht so spannend. Der Unterhaltungs-stiftende Eifer kommt nur dann in eine Debatte, wenn sie eine quasi theologische Dimension hat.
Das ist schade, denn das Thema hat was. Mit ein bisschen Phantasie könnte man da auf einiges kommen.
Minsky wollte seinerzeit ja Geschichtsdaten mittels des Drahts ins Gehirn übertragen. Man denkt: “französische Revolution”, und der Rechner liefert: „14. Juli 1789 – Sturm auf die Bastille”, „17. Januar 1793 – Enthauptung Louis Capets, vormals Ludwig XVI”, „27. Juli 1795 – Entmachtung der Jakobiner“ usw.
Sowas wäre doch vor allem in der Adoleszenz sehr hilfreich. Eine Zeit, in der man nun wahrlich anderes im Kopf hat als die genauen Daten längst vergangener Events.
Die Attraktivität einer Mitschülerin schlägt da meist jene der historischen Erkenntnis um Längen. Menschen können sich halt einfach nicht merken, wozu sie – aus welchen Gründen auch immer – keinen Bezug haben.
Deshalb wäre es beispielsweise auch segensreich, wenn Frauen einige alltagsrelevante logische Grundregeln in einem externen Gedächtnis ablegen könnten. Etwa dass Automobile beim gegenwärtigen Stand der Technik zum Starten einen Zündschlüssel benötigen, weshalb man jenen tunlichst nicht beständig verlegen sollte. Oder dass es unmöglich ist, während der 25 Minuten, die einem bis zu einer Verabredung bleibt, eine – mit einer Stunde äußerst knapp veranschlagte – Toilette zu erledigen und darüber hinaus noch eine größere Wegstrecke zurückzulegen.
Männern wiederum, die ja beständig mit Großem und Wichtigem befasst sind, wären vielleicht ein paar Memory-Chips dienlich, in denen ihre Konfektions- und Schuhgröße persistent abgespeichert wäre. Und ein paar einfache Bekleidungsregeln könnten sicherlich ein nützliches Add-on abgeben: Keine weißen Socken! Keine schweinchenrosa Hemden! Krawatte heißt auch Langbinder, weshalb man sie so knotet, dass sie selbst bei einem ausgeprägten Bauchansatz nicht oberhalb desselben endet. Man trägt sie aber auch nicht in der Art eines Lendenschurzes.
Dem Bundeskanzler könnte man mit dieser Methode den Direktzugriff auf wichtige politische Basisinformationen ermöglichen. Beispielsweise, welcher Partei er angehört.
Und für den Wirtschaftsminister wäre ein bisschen externe Intelligenz ebenfalls sehr nützlich. Das ist der, der in ein paar Monaten öffentlichkeitswirksam sagen wird, dass die Bundesregierung alles für die abermals größere Zahl an Youngsters tun werde, die dann wieder keine Lehrstelle bekommen haben wird. Beim letzten Mal hat er ja noch hinzugefügt, dass wer sich bockig anstellt, aber auch keine Unterstützung mehr bekäme.
In dem Brain-attached Device des BMWi könnte man doch ein paar verständlich gehaltene Informationen zum sozialen Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland hinterlegen. Beispielsweise, dass nach der schon seit langem gültigen Rechtslage Anspruch auf Unterstützungszahlungen nur hat, wer zuvor in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden hat, also kein Berufsanfänger.
Das wäre doch schön, wenn Wolfgang Clement sowas wissen würde. Wenn nicht, glaubt ihm nämlich eines Tages keiner mehr. Nur noch Leute, die ein ähnlich gebrochenes Verhältnis zur sozialen Realität haben wie er selbst.
Also ein bisschen Intelligenz zumindest am Gehirn wäre in vielen Fällen schon eine feine Sache. Zugegeben: Neue Techniken bringen auch neue Gefahren mit sich. – So wie das Internet.
Man surft umher auf der Suche nach White Papers. Aber irgend ein Sauigel hat den Browser gehitchhiked zu einer Site, in der es nur um eines geht, und zwar in allen erdenklichen Variationen. Das muss man sich jetzt mal mit DMA (Direct Memory Access) vorstellen!
Allerdings sind das Risiken, die man sehr nüchtern abwägen sollte. Dass man oft nur dieses eine im Kopf – quasi innerlich vor Augen – hat, das liegt schließlich nicht an der IT. Die entsprechende Logik zumindest ist seit Urzeiten hochperformant in Neuronen implementiert. Dazu braucht’s keine Chips.
Ernsthaft Sorgen sollte man sich jedoch über die wirtschaftliche Seite von Innovationen machen. Was ist, wenn Microsoft drauf kommt, dass sich nicht nur auf dem PC-, Server- und Handy-Markt profitable Geschäfte machen lassen?
Vielleicht kommt ja nach Windows Home, Professional, for Data Center und for Smartphones auch mal eines für das extended und direct attached Memory. Doch, jetzt schon sollte man darüber nachdenken!
Weil: Wenn’s einmal soweit ist, dann ist’s zu spät, dann werden alle nur noch eines im Kopf haben: Alt+Cntrl+Del.