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Lizenz zum Schnüffeln: wenn der Chef mitsurft

“Ich habe eine Menge Geld für die Hochzeit gespart, nachdem ich erfahren habe, dass meine Verlobte ‘oben ohne Bilder’ über das Internet versendet hat.” Solche und ähnliche E-Mails landen regelmäßig in der Mailbox von Protectcom. Die Firma, die in ganz Europa keinen ernsthaften Mitbewerber hat, betreibt einen blühenden Handel mit Überwachungssoftware. Namen wie ‘Spector’ oder ‘Orwell’ – unverhohlene Anspielung auf George Orwell, der den Big-Brother-Klassiker “1984” schrieb – lassen keine Zweifel am Einsatzgebiet.
Im Oktober vergangenen Jahres hätte – die Software – Orwell beinahe einer Frau aus der Nähe von Köln das Leben gekostet. Der eifersüchtige Mann hatte die 32-Jährige wochenlang am heimischen Computer bespitzelt. Die Software zeichnete lückenlos das mehrstündige Liebesgeflüster in einem Chat-Room des Internets zwischen Ehefrau und ihrem neuen Lover auf. Angetrieben von diesen handfesten Beweisen griff der Mann zum Küchenmesser und stach wie von Sinnen auf die Frau ein. Sie überlebte und der Mann kam mit einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren relativ glimpflich davon. Der Richter zeigte Verständnis für den Mann: “Das war eine Provokation.”

Automatische Alarm-Mail an den Chef

Die deutliche Mehrheit der Protectcom-Kunden – nämlich 80 Prozent – sind freilich nicht Privatleute sondern Unternehmen. Die ersten Produkte wurden 2001 auf den Markt gebracht, seitdem verzeichnet man in Saarbrücken zweistellige Wachstumsraten. 2003 stieg die Zahl der verkauften Lizenzen im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent. In diesem Jahr wird die Wachstumsrate mindestens wieder bei 50 Prozent liegen, schätzte Protectcom-Geschäftsführer Carsten Rau im Gespräch mit silicon.de. Das Geschäft mit Überwachungssoftware boomt in Deutschland wie kaum ein anderes.

“Am besten laufen die Produkte zur visuellen Überwachung, das heißt, es werden in regelmäßigen Abständen Bildschirmfotos gemacht, die zum Beispiel vom Chef abgerufen und kontrolliert werden können”, so Rau. Ist die Software einmal installiert, lässt es sich bequem vom Chefsessel aus spionieren. Webspy-Produkte analysieren die Logfiles der einzelnen Mitarbeiter und werten sie auch aus. So ist jederzeit nachvollziehbar, wer wie lange auf welche Webseite gesurft hat. Auf Wunsch kann auch eine Schlüsselworterkennung für E-Mails installiert werden. Schreibt ein Mitarbeiter eine Mail, in der Wörter wie ‘Bewerbung’, ‘Sex’ oder der Name des Chefs auftauchen, tropft bei demselbigen automatisch eine Mail ins Postfach.

Wirtschaftsflaute zwingt zur Effektivität

Die Unternehmensberatung Frost & Sullivan schätzt, dass der weltweite Umsatz mit Web-Filtern von momentan jährlich 331 Millionen Dollar auf 776 Millionen Dollar im Jahr 2007 steigen wird. Doch was treibt die Nachfrage derart in die Höhe? Carsten Rau meint eine Antwort gefunden zu haben. “Hintergrund für den Erfolg ist eindeutig die wirtschaftliche Lage. Je mehr gejammert wurde über die schwache Konjunktur, umso besser haben wir unsere Software verkauft. Gerade in kleineren Betrieben können es sich die Mitarbeiter nicht mehr erlauben, private Dinge am Arbeitsplatz zu tun. Man muss effektiver arbeiten.” Das gilt vor allem für kleine Unternehmen: Rund die Hälfte von Raus gewerblichen Kunden sind Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitern.

Die Furcht der Unternehmer vor Produktionsausfällen wird von diversen Studien gestützt. Sie besagen, dass privates Surfen in Deutschland jährlich Schäden bis zu über 50 Milliarden Euro anrichtet. Darüber hinaus schätzen Experten, dass 13 Prozent des Mail-Aufkommens in Firmen privaten Ursprungs ist. Dagegen machen sich die 50 bis 100 Euro für eine Lizenz zum Schnüffeln relativ harmlos aus.

Ob eine Überwachungssoftware auf dem Arbeitsplatzrechner installiert wurde, lässt sich laut Protectcom so gut wie nicht feststellen. Weder in der Benutzeroberfläche hinterlässt die Software verdächtige Spuren, noch andere Hinweise – wie etwa ein langsamer arbeitender PC – schüren das Misstrauen, so Rau. Wer Gewissheit haben möchte, muss zu einer “Anti-Spionagesoftware” greifen. Die Hamburger Softwareschmiede Elbtec hat beispielsweise ein Programm entwickelt, das Spionagetools enttarnt. Nach Angaben des Entwicklers Björn Kahle ist die kostenlose Software bisher 300.000 Mal von der Firmenhomepage heruntergeladen worden.

Keine gesetzliche Regelung

Doch soweit dürfte es eigentlich gar nicht kommen. “Grundsätzlich muss der Arbeitgeber über Kontrollmaßnahmen informieren, heimliche Überwachung ist unzulässig”, sagte Cornelia Brandt, Online-Expertin im Bundesvorstand der Gewerkschaft Ver.di gegenüber silicon.de. Sie ist dennoch überzeugt, dass viele Firmen Spionagesoftware heimlich einsetzen. “Nach unserer Einschätzung besteht tendenziell ein Informationsdefizit bei den Beschäftigten”, so Brandt.

Dazu trägt auch die undurchsichtige Rechtslage in Deutschland bei. Ein spezielles Gesetz, das den Einsatz von Überwachungssoftware regelt, gibt es nach Angaben der Ver.di-Expertin nicht. Stattdessen verwirrt eine Hülle von Vorschriften in unterschiedlichen Gesetzen und Entscheidungen diverser Gerichte sowohl die Mitarbeiter als auch die Vorgesetzten. Diese Erfahrung hat auch Protectcom-Chef Carsten Rau gemacht. “Viele Chefs wissen gar nicht, dass sie die Mitarbeiter über den Einsatz einer solchen Software informieren müssen.” Seine Firma weist die Käufer deshalb ausdrücklich darauf hin.

Kündigung darf nicht sein

Eindeutiger wird die Rechtslage, wenn private Web-Ausflüge im vorhinein in Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Konzerne wie Siemens, die Deutsche Bank oder die Telekom verbieten den Einsatz des Internets für persönliche Zwecke. Ähnlich handhabt das rund ein Drittel der Unternehmen, die zur Gewerkschaft Ver.di zählen. Ein weiteres Drittel regelt den Zugang über Betriebsvereinbarungen, lediglich ein Drittel macht keine Vorgaben. Nur wer gegen solch ein ausdrückliches Verbot verstößt muss mit einer Abmahnung oder im schlimmsten Fall einer Kündigung rechnen. Andernfalls hat eine Firma dazu kein Recht.

Trotzdem lauert hier eine potentielle Gefahr. Mitarbeiter, die bei der Überwachung negativ aufgefallen seien, könne man auch mit anderen Mitteln loswerden, argumentieren Arbeitsrechtler. Die Akzeptanz bei den Mitarbeitern für solche Maßnahmen ist dennoch erstaunlich hoch. Im Rahmen einer Ver.di-Umfrage gaben fast die Hälfte der Arbeitnehmer an, Verständnis dafür zu haben, wenn ihr Arbeitgeber mit Überwachungsprogrammen arbeitet. So manch einer erhofft sich möglicherweise auch eine bessere Position bei Gehaltsverhandlungen, schließlich enttarnt der virtuelle Spion auch besonders fleißige Mitarbeiter.

Vorbild USA

Fest steht: im Vergleich zu den USA steckt Mitarbeiterüberwachung in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Experten der American Management Association schätzen, dass in den USA fast 80 Prozent aller Computerarbeitsplätze großer Firmen überwacht werden. In den meisten US-Bundesstaaten müssen die Mitarbeiter nicht einmal darauf hingewiesen werden, dass sie am Arbeitsplatz kontrolliert werden. Auch Kündigungen, die auf den Ergebnissen der Überwachung basieren, sind meist erlaubt.

Datenschützer setzen sich seit Jahren vehement dafür ein, dass in diesem Fall die Kluft zwischen den USA und Deutschland so groß bleibt wie sie ist. “Allerdings besteht die Gefahr, dass sich in der Folge der Diskussion um Terrorbekämpfung die Situation dramatisch verschlechtern wird”, befürchtet Online-Expertin Brandt.

Doch auch wenn der deutsche Gesetzgeber Arbeitgeber an kürzere Ketten legt, wie in vielen anderen Bereichen geben die USA auch in Sachen Mitarbeiterüberwachung das Tempo vor. Tatsächlich vertreibt Protectcom die deutsche Version der Produkte der US-Firma Spectorsoft. Sie brachte vor fünf Jahren die ersten Produkte auf den Markt, heute beherrscht Spectorsoft den Weltmarkt. “Spectorsoft ist immer einen Schritt voraus, daran orientieren wir uns. Diesen Produkten entgeht inzwischen nichts mehr”, sagt Protectcom-Chef Rau und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: “Es soll auch Geschäftsführer geben, die plötzlich mehr mit der Überwachung ihrer Mitarbeiter beschäftigt sind, als mit ihrer eigentlichen Arbeit.”

Silicon-Redaktion

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