Befragt nach der Location für sein Video, dem Neuen Prager Hauptbahnhof, antwortet der allenthalben so genannte Superstar, es sei hier halt alles so “super-barock”.
Ein nun wirklich schlichter Satz eines ebensolchen Youngsters. Trotzdem wirft er gleich mehrere Fragen auf.
Die erste: Ist vielleicht doch etwas dran, an der vielbeklagten Bildungsmisere? Oder wie ist das alles sonst zu erklären? Da verdient ein Halbstarker mit Musik, also – wie immer man dazu stehen mag – mit Kultur, mehr Geld als andere Leute ihr Leben lang mit ehrlicher Arbeit. Und dann ordnet er eines der schönsten Jugendstilbauwerke der Welt dem Barock zu.
Auch eines der imposantesten Barockbauwerke der Welt steht übrigens in Prag. Auf der anderen Moldauseite. Die St.-Niklas-Kirche. Die steingewordene Gegenreformation.
Wer die mit offenen Augen gesehen hat, der weiß alles, was man über das Wesen des Barock wissen muss. Weshalb es auch sicherlich nicht didaktisch zu begründen ist, dass man in Dresden eine andere Barock-Kirche für über 100 Millionen Euro wieder aufgebaut hat.
Die zweite Frage: Wie schlimm ist es um das technische Grundverständnis unserer Jugend bestellt? Wie kommt jemand, der eine hiesige Schule durchlaufen hat, darauf, man habe während des Barock – also rund 100 bis 200 Jahre, bevor die erste Eisenbahnlinie errichtet wurde – ausgerechnet Bahnhöfe gebaut?
Und die entscheidende dritte Frage schließlich: Wieso reden die eigentlich alle so?
Der “Superstar” spricht von “super-barock” – in einer Sendung, die – fast selbstverständlich – von “Super-RTL” ausgestrahlt wird.
Es scheint so, dass ein adjektivisch gebrauchtes Präfix das einzig geläufige Eigenschaftswort der deutschen Sprache geblieben ist. Verständlich wär’s ja. Enthebt einem doch diese grammatikalische Konstruktion der intellektuellen Mühe, Adjektive zu deklinieren.
Wehmütig erinnert man sich da an kulturell noch etwas höher stehende Zeiten zurück. Und daran, welches Unrecht man seinerzeit dem Duo Gnadenlos, Maria und Margot Hellwig, getan hat. Das kannte immerhin drei Eigenschaftswörter – super, pfundig und super-pfundig.
Und es sind ja auch nicht irgendwelche Leute, die dergestalt fröhlich ihre sprachliche Verarmung zur Schau stellen. Sondern ausgerechnet solche, deren Job eigentlich die Kommunikation ist. Entertainer zum Beispiel.
Oder Verkäufer. “Suuupergünstig” heißt in dem Geschäft ja das alles schlagende Argument.
Einem Schöngeist tut sowas schon arg in der Seele weh. Aber beim Seelsorger der Nation findet man da auch keinen rechten Trost: 100 Treffer listet das Jürgen-Fliege-Forum bei der Suche nach “super”. Highscore!
Fast schon selbstverständlich, dass sich Politiker, denen schließlich auch aussagestärkere Begriffe leicht zur Phrase verkommen, ebenfalls gerne dieses inhaltsleeren, aber geschmeidigen Teilworts bedienen.
Der Bundeskanzler beschäftigt sich gern mit der Installation von Superministern und -EU-Kommissaren. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hans-Michael Goldmann lässt den Chefredakteur der heimischen Ostfriesischen Nachrichten wissen: “Dr. Westerwelle ist super.” Und der niedersächsische CDU-Chef Christian Wulff äußert sich gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen nahezu wortgleich über seine Bundesvorsitzende.
Bei den Grünen schließlich, die als pazifistische Partei angefangen hatten, um dann den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr mitzuverantworten, da hat man seinerzeit darüber diskutiert, ob das jetzt die “Super-Super-Ausnahme” – so der hessische Landesvorstand Hubert Kleinert – bleiben solle oder nicht.
Weitgehend verschont geblieben von diesem sprachlichen Super-GAU ist ja die Informationstechnik, also das Feld, von dem gemeinhin gesagt wird, auf ihm tummelten sich bis zum Autismus kommunikationsarme Eigenbrödler herum. Stimmt nicht!
Gut, das wohl wichtigste Branchenereignis diese Woche war wieder mal die Vorstellung der Top500, der aktuellen Liste der stärksten Supercomputer. Aber da ist es klar definiert, was super ist: eine Maschine, die es – Linpack-vermessen – auf mehr als 624 Milliarden Gleitkomma-Berechnungen pro Sekunde bringt.
Und ansonsten pflegt man in der IT sehr bunte Sprachbilder: Einem Außenstehenden ist ein Chip nicht mehr als eine Ansammlung winziger Transistoren und Kondensatoren. Dem Prozessor-Architekten hingegen erschließt sich dieser Mikro-Wust in Form von Registern, Caches und – Pipelines!
Pipeline – eine wunderschöne Metapher: Der Chip arbeitet wie am Fließband Befehle ab. Alle stecken in der Röhre. Aber verschieden weit. Genauso funktioniert ein Prozessor!
Oder die Datenübertragung. Elektromagnetische Wellen halt, sagt der Ignorant. In der Vorstellungswelt des Experten hingegen entstehen daraus Bits, Rahmen, Pakete, Sitzungen – auf jedem höheren Layer des ISO/OSI-Referenz-Modells ein phantastischeres Gebilde.
Besonders phantasievoll sind ja immer die Softwerker. Die, die entscheidungsunterstützende Systeme entwickeln, nennen beispielsweise eine denormalisierte Datenbanktabelle – also eine mit mehr als zwei Spalten – einen multidimensionalen Hypercube. Wow! Das muss man sich mal vorstellen: einen übermäßigen Würfel, der breit, hoch, tief und etliches andere mehr ist.
Besonders schön auch: die Virtualität, quasi die Spiritualität des Rechners. So wie der Mensch im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte irgendwann einmal beginnt, in sich mehr zu sehen als einen Verbund von Knochen, Muskeln und Organen, so gebärdet sich in der IT die Festplatte plötzlich als Arbeitsspeicher, ein Stück Software als Maschine und ein verschlüsselter Datenstrom als “private network” – alles virtuell, versteht sich.
Es ist eine bunte, phantasievolle Welt, die Welt der Computerei. Ihre gedanklichen Konstruktionen transzendieren die Beschränkungen der physischen Welt. Eine Oase in der ansonsten um sich greifenden sprachlichen Super-Wüste.
Ach ja. Getragen von dieser Erkenntnis surft man dann zur Site des VDI, klickt “Invent a Chip 2004” an – und was muss man da lesen? – “Deutschland sucht den Super-Chip.” – Na, super!
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