Gaukler geben vor etwas oder jemand zu sein, der sie in Wirklichkeit nicht sind und unterhalten so die Leute. ‘Virtual Tapes’ haben zumindest die Gaukelei mit den Jahrmarkt-Akteuren gemeinsam. Virtual Tapes sind Festplatten, die kurzfristig in die – zugegeben weniger unterhaltsame – Rolle von Magnetbändern schlüpfen und als Backup-Medium dienen. Die Emulation, wie das Gaukeln im IT-Fachjargon heißt, ist nicht neu, entpuppt sich aber immer wieder als hilfreiches Mittel, um das Manko einer Technik mit den positiven Eigenschaften einer anderen auszugleichen.
Der direkte Weg ist es, ein Backup unmittelbar auf Bänder zu machen und ins Archiv oder die Bandbibliothek zu legen. Das ist kostengünstig und sicher. Es ist aber nicht schnell und effektiv. Die Steuerung des Autoloaders braucht Zeit zum Auffinden und Spulen. Außerdem werden die Bänder meistens nur halb vollgeschrieben wieder in die Bibliothek geschoben. Festplattenspeicher dagegen sind schnell und effektiv. Die Zugriffszeiten sind kürzer und das Backup ist schneller abgeschlossen. Allerdings sind sie teurer und, anders als Tapes, nicht für die Langzeitarchivierung geeignet.
Eine Kombination aus beiden Konzepten sehen Hersteller in den ‘Virtual Tapes’. Seit Jahren im Einsatz haben sie in jüngster Zeit neuen Aufwind erhalten durch die immer präsenter werdende Virtualisierungsidee in der Speicherlandschaft. Werden hier Schlagworte wie Kostenreduktion und Konsolidierung gebraucht, um das Konzept zu vermarkten, gelten für die Virtual Tapes exakt die gleichen Argumente.
Was das eine nicht kann, kann das andere
‘Virtual Tape Server’ (VTS) oder ‘Virtual Tape Libraries’ (VTL) – die Begriffe sind herstellerabhängig – sind im Grunde nichts anderes als eine Hardware-Box mit einer variierenden Anzahl von Festplatten, einem integrierten Server, einer Virtualisierungssoftware und Schnittstellen zu anderen Speicherkomponenten, vor allem zu den Bandbibliotheken. Sie emulieren Bandlaufwerke und gaukeln beim Backup-Vorgang der Anwendung oder dem Betriebssystem vor, Bänder zu sein, auf die Daten abgelegt werden.
In Wirklichkeit landen die Daten zunächst in einem schnellen und RAID-geschützten Disk-Cache. Erst nach einer gewissen Zeit schreibt die Lösung die gesammelten Informationen auf Magnetbänder. Und das dann in einem Rutsch. Jedes Band wird erst wieder in die Bibliothek oder ins Archiv geschickt, wenn es voll oder annähernd voll ist. Welche Bandtechnologie – LTO, SDLT oder andere – dahinter geschaltet ist, ist dem VTS/VTL egal. Das gilt auch für künftige Laufwerksgenerationen. Fujitsu-Siemens formuliert in einem Whitepaper zum Thema: “Auf Grund der Entkopplung von der realen Speicherperipherie könnte ohne Rückwirkung auf die Hostsysteme und Anwendungen bei einem Generationswechsel die jeweils neueste Laufwerkstechnologie implementiert werden.”
Diese Unabhängigkeit erreicht man durch Virtualisierung. Die Technik koppelt physische Elemente von der logischen Ebene ab mit dem Vorteil, logisch mehr Komponenten – bei den Virtual Tapes: Bänder – zur Verfügung zu stellen als physisch vorhanden sind. Damit ist die wichtigste Intention für die Virtual Tapes gefunden. Sie sollen die Speicherumgebung verschlanken, sie effizienter machen und, besonders auf Archivebene, günstiger. Die angesprochenen halb leeren Bänder nämlich haben wenig mit einer effektiven Ressourcen-Ausnutzung zu tun.
Der Disk-Cache soll genau dieses Problem lösen. Er erlaubt es, Daten über einen bestimmten Zeitraum zu puffern und später in einem Zug auf die Bänder zu schreiben. Weil so jedes Band weitmöglichst voll beschrieben wird, braucht man insgesamt weniger Kassetten. Auf diese Weise kann ein Unternehmen sowohl die Budget-Enge als auch die rein physische Enge entschärfen. Bandbibliotheken nämlich beanspruchen rein physisch gesehen auch viel Platz im Gebäude. Jens Hoschke, Manager Storage Solution Sales Central Region bei IBM rechnet vor: “Unser Virtual Tape Server kann 512 virtuelle Laufwerke zur Verfügung stellen. Im Backend braucht man dann statt 512 physischen Laufwerken nur einen Bruchteil davon.” Als Beispiel nennt er das IBM-Projekt mit der Commerzbank. Dort habe man die Anzahl der Kassetten von 10.000 auf 3000 reduzieren können. Siemens wirbt mit ebenfalls 512 logischen Bändern in ihrer Lösung, die auf 32 reale Bänder schreiben.
Den Zeitpunkt, wann der Buffer geleert wird, kann der Admin mit Regeln definieren. So kann das Verschieben nach einem bestimmten Zeitpunkt oder aufgrund von einem länger nicht mehr erfolgten Zugriff passieren. Alles, was dann auf dem Tape gespeichert ist und wieder beschafft werden muss, hat länger Zeit als ein paar Sekunden. Beispielsweise können Patientendaten unter Umständen längere Ladezeiten beanspruchen, weil sich der Arzt in der Zwischenzeit mit dem Patienten unterhalten kann. “Eine Minute kommt einem während einer kurzen Unterhaltung weniger lang vor als wenn ein Anwender vor dem Bildschirm sitzt und auf einen wichtigen Datensatz wartet”, fühlt der IBMler nach.
Was ist jetzt mit der Ablöse?
Es drängt sich nach alldem doch der Gedanke auf, Magnetbänder auf lange Sicht aus dem Archiv zu verdrängen und den Festplatten das Feld zu überlassen. Platz- und Ressourcen sparend sind sie und auch nicht mehr viel teurer als Bänder. Man könnte die Virtual-Tape-Technik als lukrativen Zwischenschritt für die Hersteller sehen. Wer nicht Knall auf Fall sein Archiv umstrukturieren und voll auf Platten setzen will, lässt sich darauf ein. Schließlich ist Geld in Bänder und Autoloader investiert worden.
IBM, Siemens oder auch Storagetek werben seit langem für ihre Emulierer. Weil es früher eher proprietär zuging und jeder sein eigenes Süppchen kochte, waren die Virtual Tapes in der sich heterogen einstellenden Speicherwelt nicht so populär. Dieses Manko haben die Hersteller inzwischen erkannt und arbeiten mit Hochdruck an verbesserten herstellerunabhängigen Lösungen. Jüngere Lösungen wie die von FalconStor sind dazu gekommen. Soll also wieder einmal eine Mainframe-Funktion die Zukunft der Netzwelt bereichern? Alle, vom Marktforscher bis zum Hersteller, sind sich aber einig: Bänder sind so weit von der Ablöse entfernt wie Leipzig von den Olympischen Spielen.
Das jüngst gegründete ‘Storage Consortium’, dem Hersteller wie Adic, Hewlett-Packard, IBM und Storagetek angehören, glaubt an einen “Paradigmenwechsel im Speichermarkt”, wie es auf deren Webseite heißt. Das gelte für D2D-Backup, also die Datensicherung rein auf Festplatten. Aber: “Auf die nächsten fünf Jahre (2007/8) gerechnet, wird D2D-Backup das Tape nicht komplett verdrängen, sondern komplementär ersetzen. Bandtechnologien sind für die Archivlagerung als tertiäres Speichermedium auch wegen der Medienportabilität ein wichtiger Bestandteil jeder verantwortungsbewussten Sicherungsstrategie.
Voraussichtlich würden sogar eher Platten den Kürzeren ziehen. “Der Preisverfall von Tapes und Festplatten läuft parallel nach unten, das heißt, Bänder werden immer billiger sein als Platten”, so Hoschke. Das wäre aber nicht das einzige K.-o.-Kriterium. Gerade beim Thema Archivierung sind Magnetbänder einfach überlegen. Sie sind robuster. Der Admin kann sie bewegen, in einen Bunker tragen zum Beispiel, ohne dass sie Schaden nehmen. “Versuchen Sie einmal ein RAID-geschütztes Festplattensystem abzutransportieren mit der Garantie, dass die Daten da bleiben, wo sie sollen”, zeichnet Hoschke ein Szenario nach. Spätestens beim Restore werde es Probleme geben. Generell verschleißen Platten schneller, weil sie durch ihren ewigen Online-Betrieb dauerhaft Wärme ausgesetzt sind.
Außerdem: Langzeitarchivierung heißt nicht, zehn Jahre oder zwanzig. Die Rede ist von 50 bis mehr als 100 Jahren. Versicherer beispielsweise müssen Policen noch Jahre nach dem Ableben des Versicherten aufheben. Und noch ein wichtiges Kriterium spricht für die Langzeitarchivierung auf Bändern: die Halbwertzeit von Speicherplatten. Hoschke sieht die Notwendigkeit, auf eine neue Generation von Bändern zu migrieren, bei sieben bis neun Jahren. Für Festplatten gilt, dass die Unterstützung einer veralteten Technologie schon nach zwei bis drei Jahren zum Thema wird. Das heißt, der Admin müsste schlimmstenfalls im Zweijahres-Rhythmus auf ein neues System migrieren, wollte er die Daten auch nach weiteren zwei Jahren noch auslesen und wiederherstellen können. Ob er darauf Zeit und Geld verwenden will, muss er letztlich selbst entscheiden. Unterhaltsam wäre das jedenfalls nicht.
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