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Call-Center-Zombies

Sie wiederum, die ihm früher jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat, ignoriert sein offenkundiges Lesebedürfnis, um ihm statt dessen mitzuteilen, die Kinder bräuchten neue Anoraks und bei den gerade eingezogenen Nachbarn handele es sich um ganz komische Leute. Worauf er mit einem “Hmmmm…” antwortet, möglichst langgezogen, um sich bis zum Absatzende zu retten und um den Zeitpunkt, an dem er dann wirklich zuhören muss, weil es sonst Ärger gibt, so weit, wie es geht, hinauszuschieben.
Sowas ist grausam. Tun die beiden sich doch das Schlimmste an, was Menschen sich antun können. Sie missachten sich.

Deprimierend wirken derartige Szenen auch deshalb, weil sie einem ein unabwendbares Schicksal vor Augen halten: Jeder, jede und jedes muss einmal sterben. Und das gilt auch für die vitalste Sache der Welt: die Faszination, die zwei Menschen – meist verschiedenen Geschlechts – für einander aufzubringen und lustvoll auszuleben in der Lage sind. Die stirbt manchmal sogar schon zu Lebzeiten, der Beteiligten.

Die meisten haben schließlich Angst vor dem Tod. Und nicht jeder analysiert jene so brillant hinweg wie weiland Epikur. Der hat ja gesagt: “Warum sollte man Angst vor dem Tode haben? Solange wir sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir nicht mehr.” Damit war die leidige Angelegenheit für ihn erledigt, und er hat sich wieder Wichtigerem zugewandt, nämlich dem Lebensgenuss.

Jemandem, der nicht über die geistige Schärfe des alten Griechen verfügt, gelingt diese Trennung nicht so leicht. Deswegen existieren in der menschlichen Phantasie auch diese grausigen Hybride von Lebenden und Toten wie Zombies und Vampire. Davor gruselt man sich.

Die Produzenten von Horrorfilmen machen aus diesem intellektuellen Defizit ein lohnendes Geschäft. Aktuell im Kino: “Van Helsing”, der Produktionskosten in Höhe von 160 Millionen Dollar einspielen muss.

Entsprechend teuer sind die Karten. Wenn man alte Eheleute beobachtet, kann man diesen Horror sehr viel preisgünstiger bekommen.

Oder man lässt das moderne Marketing etwas auf sich wirken, das Geschäft, das vitale Zwischenmenschlichkeit mumifiziert, um damit Geld zu machen. Keine Werbung kommt ja heute mehr ohne persönliche Anrede aus.

“An Sie als Lotto-Interessiertem im Haus…” von einem der Gottschalk-Brüder mit dem goldenen Haaren und den ebensolchen Händchen geht ja noch. Da merkt man gleich, wenn man auf einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium war, deswegen ein bisschen rechnen kann und aus diesem Grund den Unsinn mit den organisierten Glückspielen seit jeher gelassen hat, dass man nicht gemeint sein kann und deshalb das ganze nicht echt ist.

Aber die Bank, der man sein Geld anvertraut hat, schickt einem ja auch Briefe ins Haus, die ganz persönlich mit “Sehr geehrter Herr…” überschrieben sind, um darin ansonsten in IT-basiert hektographierter Form nachzufragen, ob man vielleicht eventuell doch zu den Deppen gehören könnte, die die schlecht laufenden Investment-Zertifikate des entsprechenden Finanzinstituts zeichnen würden.

Und dann gibt’s da auch noch dieses Telefon-Marketing, bei dem der Anrufer einen mit einem freudigen “Hallo” begrüßt und man erst, nachdem die Sprache wieder auf die leidige Lotto-Geschichte kommt, feststellt, dass es sich um einen Tonband-Zombie handelt. Da gruselt’s einen dann schon ein bisschen.

Dass man sich auf eine Geisterbahnfahrt begibt, sollte man hingegen vorab wissen, wenn man seinerseits versucht, mit seiner Bank in Kontakt zu treten. “Herzlich willkommen” begrüßt einen dann eine Tape-Mumie und geleitet einen mit Sätzen wie “Sagen Sie ‘eins’, wenn Sie mit einem Kundenberater verbunden werden möchten” durch die moderne Schattenwelt.

Irgendwann, nach einer unendlichen Odyssee, gelangt man dann zu einer weiteren Untoten, deren grausiges Schicksal sich einem sofort erschließt: Zeitarbeitsvertrag, lausige Bezahlung und deswegen auch Null Bock. “Meine Name ist…” sagt sie, um einem vorzuspiegeln, sie sei von dieser Welt. Mehr, diese Lokation betreffend, erfährt man von ihr nicht.

Ach ja. Ehen kann man scheiden. Und gegen Vampire hilft Knoblauch. Besonders zu empfehlen in dem Zusammenhang: Huhn mit eingeweichten Semmeln, Weißwein und eben Knoblauch – reichlich.

Aber was soll man gegen die Untoten aus dem Marketing tun? Epikur fehlt einem doch sehr. Aber der fürchtet sich ja schon lange aus dem zweiten Grund nicht, weil er nicht mehr ist.

Silicon-Redaktion

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