DRM: Vor den digitalen Rechten kommen die Rechte der Nutzer
Die Forderung nach freiem Zugang auf wissenschaftliche Inhalte verleiht der Diskussion um die digitalen Urheberrechte eine neue Qualität.Denn es darf nicht übersehen werden, dass nicht nur die Interessenlage von Verbrauchern und Verwertungsunternehmen unterschiedlich ist.
Wie so oft frisst die Revolution ihre Kinder. Während sich im zwanzigsten Jahrhundert mit Rotationsdruck, Rundfunk, Fernsehen und Kinofilm eine allgegenwärtige Medienindustrie entwickelt hat, die als scheinbar unabdingbarer Mittler menschlicher Kreativität fungiert, beginnt das 21. Jahrhundert mit Napster und der ‘Open Access’-Bewegung in der Wissenschaft.
Zumindest letztere dürfte richtungsweisend werden für die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Die Spitzen der deutschen und vieler ausländischer Forschungsinstitute (unter anderem der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft Hans-Jörg Bullinger, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss und der Präsident der Leibniz-Gesellschaft Hans-Olaf Henkel) stellen in der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen vom Herbst 2003 unter anderem die Forderung auf, dass “Autoren und Rechteinhaber […] allen Benutzern das freie, unwiderrufliche und weltweite Zugangsrecht erteilen und die Erlaubnis, die Veröffentlichung für jeden verantwortlichen Zweck zu kopieren, zu benutzen, zu verteilen, zu übertragen und abzubilden unter der Bedingung der korrekten Nennung der Urheberschaft […] sowie das Recht, eine beschränkte Anzahl gedruckter Kopien für den persönlichen Gebrauch zu machen”.
Die Open-Access-Bewegung wird von großen Teilen der weltweiten Wissenschaftler-Gemeinschaft getragen. Erst vor zwei Wochen hat sich auch das CERN in Genf, eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Elementarteilchenphysik (unter anderem aber auch die Geburtsstätte des World Wide Web) der Open-Access-Bewegung angeschlossen. Im Umfeld wissenschaftlicher Fachgesellschaften, vor allem in den Vereinigten Staaten, gibt es zwar noch Widerstände gegen den Open-Access-Gedanken, diese dürften indes immer mehr in eine Minderheiten-Position geraten, nicht zuletzt weil sie durch offenkundige wirtschaftliche Interessen, wie etwa enge Verbindungen zu kommerziellen Verlagen und anderen “Rechte-Verwertern” gesteuert sind.
User Rights Management
Ein digitales Urheberrecht, das einseitig an den Interessen der Gruppen orientiert ist, die sich in den letzten hundert Jahren als Mittler zwischen Urheber und Verbraucher herausgebildet haben, wird es zumindest im Bereich der Wissenschaft nicht geben. Dazu ist die weltweite Wissenschaftsszene trotz aller Konkurrenzkämpfe und Eifersüchteleien mittlerweile zu partizipatorisch-demokratisch strukturiert. Dazu ist auch die Wissens- und Erkenntnis-Gewinnung im wissenschaftlichen Bereich zu kooperativ angelegt.
Der Konstanzer Informationswissenschaftler Professor Rainer Kuhlen zum Beispiel hat schon vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der Urheberrechts-Richtlinie der Europäischen Union einen ‘informations-ethischen Diskurs’ gefordert , der “nicht zuletzt überprüfen helfen soll, ob gegenwärtige rechtliche Positionen […] sich nicht nur an alten medialen Kontexten (hier der analogen Publikationswelt) orientieren, sondern auch im Einklang mit den neuen medialen, die Zukunft von Wissen und Information bestimmenden Potenzialen der digitalen Räume stehen”.
Diese neuen Räume sind für Kuhlen unter anderem gekennzeichnet durch “die Ablösung singulärer, individuumsbezogener Werke zugunsten dynamischer, virtueller, kooperativ erstellter und genutzter Wissensnetze”. Auf der Tagung des Münchner Kreises zum Thema ‘Digital Rights Management’ Ende April meinte Kuhlen, dass im 21. Jahrhundert Digital Rights Management ohne User Rights Management ein Widerspruch in sich sei. Zu den Nutzer-Rechten zählt Kuhlen unter anderem die Wahrung von Anonymität und Privatsphäre, der Nutzung sowie Urheberrechtsregelungen in der Selbstbestimmung der Urheber/Autoren und der Benutzer, wobei nach Kuhlens Einschätzung “reputative Referenzierung wichtiger sein dürfte als monetäre Verwertung”.
Die legitimen Wünsche der Wissensgesellschaft
Nicht in jedem Sektor der (digitalen) Medienlandschaft sind die Beziehungen zwischen Urheber und Verbraucher, zwischen Wissens-Rezeption und Wissens-Produktion so eng und von solch fließenden Grenzen umgeben wie in der Hochschul- und Forschungsszene. In weiten Teilen der Musikszene ist die rein konsumtive Komponente stark ausgeprägt. Die Software-Industrie wiederum wird einerseits durch häufige Urheberrechtsverletzungen (Raubkopien) tangiert, andererseits hat das Open-Source-Modell in dieser Industrie viel mit dem Gedankengut der Open-Access-Bewegung in der Wissenschaft gemein: Der Grundgedanke ist dabei eben nicht in erster Linie ein monetärer, sondern stellt den gesellschaftlichen Charakter geistigen Eigentums in den Mittelpunkt. Letztlich ist diese “Eigentums-Produktion” das gemeinsame Werk vieler Forscher.
Mehr denn je geht es deshalb darum, “das gesellschaftliche Gleichgewicht zwischen den durch digitale Urheberrechts-Systeme gestaltbaren urheber- und eigentumsrechtlichen Ansprüchen der Rechtehalter auf der einen und den legitimen Wünschen weiter Bereiche der Öffentlichkeit nach freiem Zugang zu Informationen, Wissen und Kulturgütern auf der anderen Seite neu zu bestimmen, formulierte auf der Tagung des Münchner Kreises der Tagungspräsident Professor Arnold Picot vom Institut für Information, Organisation und Management der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die “legitimen Wünsche” der Wissens- und Kultur-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gehen in Richtung Offenheit. Der rein pekuniäre Ansatz vieler (nicht aller!) Unternehmen der traditionellen Medienindustrie wirkt trotz der hochmodernen technischen Ausrüstung eher unzeitgemäß. Diese Einschätzung gilt umso mehr, als viele DRM-Ansätze letztlich strukturell sehr einseitig den Verbotcharakter betonen und damit das Gegenteil von Offenheit sind (Ausnahmen bilden Systeme wie ‘Light-Weighted DRM’ des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie).
Interessensgegensätze unübersehbar
Es darf nicht übersehen werden, dass nicht nur die Interessenlage von Verbrauchern und Verwertungsunternehmen unterschiedlich ist, sondern auch in der Verwertungsschiene selbst gegenläufige Interessen vorhanden sind, wie Professor Dr. Thomas Hess vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien von der Ludwigs-Maximilians-Universität München auf der Tagung des Münchner Kreises betonte. So haben beispielsweise Rechte-Verwerter auf der einen Seite und Hardware-/Softwareanbieter sowie Telekom-Unternehmen auf der anderen nicht notwendigerweise die gleichen Interessen.
Vermutlich werden auf der Unterhaltungsebene trotz dieser Interessensgegensätze pekuniär ausgerichtete digitale Urheberrechts-Systeme eine gewisse Verbreitung finden. Auf der Tagung des Münchner Kreises war es vor allem Hubert Jakob von der Bertelsmann Music Group, der die Zukunftsträchtigkeit von “legalen Musik-Tauschbörsen” propagierte, aber er räumte auch ein, dass die Musikindustrie nicht nur in die IT-Technik, sondern vor allem auch in die Qualität des Inhalte-Angebots investieren muss.
Insgesamt dürfte die Entwicklung der Wissens- und Kulturgesellschaft des 21. Jahrhunderts aber eher in eine Richtung gehen, bei der sowohl fiktionale als auch nicht-fiktionale (wissenschaftliche) Inhalte auf Peer-to-Peer-Basis ausgetauscht werden. Der Grund ist klar: auch die Entstehung dieser Informationen ist in der vernetzten Gesellschaft letztlich ein gemeinsamer Peer-to-Peer-Prozess.