Tim Berners-Lee feiert kein Pfingsten. Warum? Weil er der Kirche der ‘unitarischen Universalisten‘ angehört. Unitarier glauben nicht an die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, sondern an den “einen Gott”. Deshalb feiern sie auch kein Fest der Ausschüttung des Heiligen Geistes. In den USA gibt es nach Angaben der ‘Deutschen Unitarierer‘ etwa 150.000 bis 180.000 Anhänger, in Deutschland dürften es weniger als 5000 sein.
Was hat der Glauben von Berners-Lee mit dem Internet zu tun? Sehr viel, stellt Berners-Lee auf seiner Homepage fest. Denn: Das Internet ist laut Berners-Lee ähnlich strukturiert wie die Unitarische Kirche. Dezentralisierung, Toleranz, Wahrheit und Hoffnung: Diese Prinzipien der Unitarier sieht Berners-Lee in der Internet-Technik verwirklicht.
Unitarisch sei die dezentrale Struktur des Internets, sagt Berners-Lee. “Die Internet-Communities und das Internet selbst sind dezentral aufgebaut, Newsgroups haben keinen zentralen Server und es gibt keine zentrale Instanz, die bestimmt, was in den Newsgroups diskutiert wird.”
“In dieser dezentralisierten Welt ist Toleranz das wichtigste Prinzip”, so Berners-Lee. Er habe gehört, dass Vint Cerf, ein weiterer Web-Veteran, das Prinzip der Toleranz für das Internet zuerst formuliert habe, also: “Sei konservativ in deinen Taten und liberal in deinen Erwartungen.” Das sei die Grundregel für das Design der Internet-Protokolle: “Sage ‘http’, aber verstehe auch ‘HTTP’.”
“Stellen Sie sich vor, jemand hat ein System entwickelt, das dem World Wide Web sehr ähnlich ist”, fährt Berners-Lee fort. “Stellen Sie sich vor, er nennt es ‘Multi Media Mesh’, und es beruht auf den ‘Media Resource Identifiers’, dem ‘MultiMedia Transport Protocol’ und der ‘Multi Media Markup Language’. Was passieret, wenn sich das Web und das Mesh treffen? Kommt es zu einer großen Schlacht, mit einem Verzicht auf Projekte und einem Verlust von Daten oder zu einer Teilung der Welt in zwei ‘Gemeinden’? Oder zu einer reibungslosen Integration von Web und Mesh?”
Es kommt zu einer Integration, weil das Internet “tolerant” aufgebaut ist, behauptet Berners-Lee. “Wir können die Uniform Ressource Indentifiers [URLs] sofort um “mmtp://” erweitern oder “http://” in die ‘Media Resource Identifiers’ einbauen. Das Uniform Ressource Identifier-Konzept ist universal. Aber es muss nicht das einzige Konzept bleiben.”
Für den Medientheoretiker Claus Pias ist der unitarische Glaube die “Religion der Medien”. Er biete “lediglich eine Infrastruktur, innerhalb derer alle möglichen Glaubensäußerungen erscheinen können und Protokolle, die diesen Verkehr regeln”, so Pias in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Unitarier seien wie die Telekom oder das Internet nicht für die Inhalte verantwortlich, sondern nur für das Funktionieren der Übertragung. Das unitarische ‘World Parliament of Religions’, das 1893 erstmals tagte, sei mit dem 100 Jahre später gegründeten ‘World Wide Web Consortium’ von Berners-Lee vergleichbar.
Der Unitarier Berners-Lee habe erst das Genfer Kernforschungszentrum CERN bekehrt, und dann den Rest der Welt. “Das Internet ist eine gelungene Verhandlung, ein diplomatisches Unternehmen, und sein historisches Testfeld war das europäische Forschungszentrum CERN”, so Pias. Bevor Berners-Lee URL, http und HTML vorstellte, habe am CERN noch ein babylonisches Gewirr von Hardware, Betriebssystemen, Programmen und Fachsprachen geherrscht. “Internet heißt technisch implementierte Konsensfähigkeit”, meint Pias.
Während also Berners-Lee Prinzipien wie Toleranz und Konsens in eine welt-verbindende Technik gegossen hat, scheinen Bill Gates, Steve Jobs und Linus Torvalds vor allem die Fundamente ihrer eigenen “Communities” zu zementieren.
Schon im Jahr 1994 hatte Umberto Eco die Fehde zwischen Apple und Microsoft als einen “Religionskrieg” bezeichnet. “Ich bin der festen Überzeugung, dass der Macintosh katholisch und DOS protestantisch ist”, so Eco ironisch. Der Macintosh sei heiter, freundlich und entgegenkommend, er sage dem Gläubigen, wie er Schritt für Schritt vorgehen solle. Die Offenbarung sei in verständliche Formeln und bunte Ikonen gefasst. DOS sei dagegen protestantisch, ja calvinistisch. Es verlange schwierige persönliche Entscheidungen und nehme hin, dass nicht jeder zum Heil gelange. Um das System funktionieren zu lassen, seien Exegesen des Programms erforderlich.
Inzwischen haben sich die Dinge etwas geändert. Folgt man Ecos Diktion, ist Microsoft zum Katholizismus konvertiert, und Linux hat die Fackel des Calvinismus übernommen. Windows biete jetzt “üppig ausgestattete Kirchen”, lästert Spiegel-Autor Volker Berding. Steve Jobs sei der “Messias der Apfelsekte” und die Linux-Anhänger gingen so weit, “ihren Glauben dorthin zu tragen, wohin selbst Microsoft kein Windows bringen würde: auf den Mac”.
“Sektenführer” wie Bill Gates, Steve Jobs und Linus Torvalds scheinen sich aber nur wenig um religiöse Prinzipien zu scheren. “Religion ist nicht besonders effizient”, sagte Bill Gates dem Times Magazin. Er sehe keinen Beweis für die Existenz Gottes. “Es gibt eine Menge Dinge mehr, die ich am Sonntag Vormittag tun kann”, so Gates. Seine Frau sei allerdings katholisch und gehe in die Kirche.
Steve Wozniak, einer der Apple-Gründer, bezeichnet sich auf seiner Homepage als “Atheist oder Agnostiker”. Er sei niemals in einer Kirche gewesen und ziehe es vor, selbst zu denken. Laut Wozniak ist Steve Jobs, der andere Apple-Gründer, ein “Fan östlicher Philosophien”. Das werde aber niemals offensichtlich und er, Wozniak, habe niemals gehört, dass Jobs eine Kirche besuche.
Auch Linus Torvalds ist die Religion suspekt. “Ich bin ein völlig unreligiöser Atheist”, sagte Torvalds dem Linux Journal. “Ich befürchte, dass eine organisierte Religion zum Missbrauch von Macht führt”. Es sei in gewisser Weise widerlich, wenn Religionen vorschreiben, was man zu tun und zu lassen habe. Der Katholizismus sei ein Beispiel für diese Intoleranz.
So steht Tim Berners-Lee mit seinem religiösen Bekenntnis allein auf weiter Flur. Als Unitarier glaubt er jedoch an ein weiteres Prinzip: die Hoffnung. Berners-Lee: “Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Web und den Universalisten. Die Entwicklung des Web passierte nicht auf Beschluss einer Autorität, sondern als Ergebnis der Arbeit von Tausenden, die alle einen kleinen Teil beigesteuert haben. In den ersten Jahren hatten diese kein direktes Ziel, sondern nur eine Ahnung davon, dass sie auf dem richtigen Weg sind. In der Philosophie der Universalisten ist es wichtig, dass diese Dinge passieren, damit wir in einer besseren Lage sind, wenn jeder seinen kleinen Teil beigesteuert hat.”
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