Online-Buchpirat wird man oft schneller als man denkt. So ist in Berlin eine ganze Schulklasse unfreiwillig zur digitalen Piratenbande geworden. Die Schüler übersetzten das englische Original des vierten Harry-Potter-Bandes ins Deutsche und stellten die Übersetzung ins Internet – noch bevor damals die deutsche Version offiziell auf den Markt gekommen war. Time Warner Entertainment, das sämtliche Vermarktungsrechte an Harry Potter besitzt, reagierte prompt und schickte der Klasse eine Verwarnung. Der Fall ist zwar kurios, verweist jedoch auf ein ernstes Problem.
Britische Experten der Anti-Piraterie-Firma Envisional schätzen, dass inzwischen 25.000 bis 30.000 raubkopierte Bücher im Internet kursieren, darunter auch Neuheiten von internationalen Bestsellerlisten. Die meisten davon in englisch, doch auch deutsche, französische und spanische Literatur sei im Überfluss vorhanden, sagte Envisional-Forscher David Price der New York Times. Es sei allerdings schwer zu schätzen, wie viele Personen auf derartige Download-Angebote zurückgreifen. “Die meisten Studien zeigen, dass Musik-Piraterie am populärsten ist, gefolgt von illegalen Video- und Film-Downloads”, so Price. “Buch-Piraterie bewegt sich sicher nicht auf diesem Niveau, aber sie ist populär genug, um den Verlegern Sorgenfalten auf die Stirn zu treiben.”
Der deutsche Branchenverband ‘Börsenverein des deutschen Buchhandels’ beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Problem. “Auch in Deutschland werden Bücher illegal aus dem Internet heruntergeladen, noch wird es aber nicht im großen Stil gemacht”, sagte eine Sprecherin des Börsenvereins gegenüber silicon.de. Die Einbußen, die die Verlage durch solche illegalen Praktiken haben, ließen sich derzeit nicht beziffern.
Das Phänomen Buch-Piraterie erstaunt auch Experten, schließlich ist es ein ziemlich beschwerliches Unterfangen ganze Bücher zu digitalisieren. Immerhin muss jede Seite einzeln eingescannt, mit Hilfe eine speziellen Software ins Netz gestellt und das Buch anschließend nochmals komplett Korrektur gelesen werden. Der illegale Austausch der Bücher findet dann vor allem über Newsgroups, Internet Relay Chats (IRC) und Peer-to-Peer (P2P) Netzwerke statt. Von letzteren geht nach Ansicht von Experten die größte Gefahr aus, weil die User mit der Verwendung von P2Ps durch Musikdownloads bereits besser vertraut sind. IRCs verlangen darüber hinaus größeres technisches Geschick.
Vor allem Studenten lassen sich aber auch dadurch nicht abschrecken. Wissenschaftliche Literatur ist meist teuer und in den Bibliotheken oft gerade dann vergriffen, wenn man sie braucht. Gerade wissenschaftlichen Verlage beschert der neue Trend deshalb Einbußen, schätzt der Börsenverein des deutschen Buchhandels. Verstöße gegen das Urheberrecht ließen sich in diesem Bereich auch kaum rechtlich verfolgen, weil die meisten Raubkopien nur im Intranet der Universitäten stünden. Das erschwert Zugriff und Kontrolle.
Am härtesten trifft das Problem jedoch einen Branchenzweig, der sich gerade in den vergangenen Jahren über einen sprunghaften Umsatzanstieg freuen konnte: Hörbuchverlage. Immer mehr Menschen lassen sich Bücher lieber von Prominenten oder den Autoren vorlesen, anstatt selbst die Nase zwischen die Seiten zu stecken. So bieten illegale Tauschbörsen inzwischen fast alles, was das Hörbuchherz begehrt – von Kinderbüchern über die Biographie von Dieter Bohlen bis zu Dostojewski.
“Viele Verlage verschließen derzeit noch die Augen, weil sie Hörbücher nicht als mp3, sondern auf CD anbieten. Sie denken, deshalb ist die Gefahr nicht so groß”, so die Sprecherin des Börsenvereins. Ein gefährlicher Trugschluss, den die Konvertierung ins passende Format ist ein Kinderspiel. Der Lübbe-Verlag hat inzwischen reagiert und mehrere Anwälte engagiert. Als Online-Polizei wollen sie nun das World Wide Web nach Buch-Piraten durchforsten.
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