HAL’s graue Enkel
Was waren das doch für Zeiten, als es noch Mainframes gab. Richtige! Nicht die von heute, die der Laie eigentlich nur noch am Preis von einem PC – oder einem PC-Server – unterscheiden kann.
Was waren das doch für Zeiten, als es noch Mainframes gab. Richtige! Nicht die von heute, die der Laie eigentlich nur noch am Preis von einem PC – oder einem PC-Server – unterscheiden kann. (Und vielleicht noch dadurch, dass dem Mann, der dafür verantwortlich ist, der Affengriff nicht geläufig zu sein braucht.)
Starkstrom und Wasserkühlung hatten die. Die richtigen Mainframes. Ist inzwischen ja alles nicht mehr nötig. Eigentlich schade drum.
Die IBM hat vor ein paar Jahren ihr ehemaliges Rechenzentrum in Böblingen zu einer Kantine umgebaut. Das hat sich angeboten – wegen der Wasser- und Starkstrom-Anschlüsse. Aber einem alten Mainframer muss sowas doch das Herz brechen.
Eine wirklich schöne Kantine haben die IBMler, großzügig angelegt. Platz war ja genügend da. Das, was früher eine Halle voll imposanter Mainframes gerechnet hat, wird heute in einem einzigen dieser gewöhnlichen, Kleiderschrank großen Kästen erledigt.
Profan ist sie geworden, die Computerei. Kein Wunder, dass kein Mensch mehr von Rechnern respektvoll als von Elektronengehirnen spricht. Wär’ ja auch zu albern zu einem PC vom Schrauber oder zu einem – vor allem teureren – Rechner von IBM Elektronengehirn zu sagen.
Deswegen aber gibt es auch diese wunderbar gruseligen Geschichten nicht mehr – von Computern, die die Macht übernehmen. Wie die von HAL beispielsweise, dem unfehlbaren und unendlich bösen Großrechner in “2001 – Odyssee im Weltraum”.
HAL ist zwei mal gestorben. Mit einem erbärmlichen Winseln das erste Mal, als der einzige überlebende Astronaut des Raumschiffs, das er in seine Gewalt gebracht hatte, ihm die Speichermodule herausdrehte. Bekleidet von einem Gähnen das zweite Mal, als ihn die Alltäglichkeit dahinraffte.
Eigentlich haben Rechner heute ja noch viel fiesere Tricks drauf als weiland HAL: Wenn die entsprechende Überwachungs-Software installiert ist, dann wissen sie bald alles über die Leute, die vor ihrer Tastatur sitzen.
Aus regelmäßigen Leistungseinbrüchen männlicher Beschäftigter lässt sich darauf schließen, dass ihre Freizeitaktivitäten mit Bier- und Spirituosenkonsum verbunden sind, aus dem Ausbleiben regelmäßiger Leistungseinbrüche weiblicher Beschäftigter auf deren Familienplanung.
Oder: Pharisäerhafte und technisch wenig bewanderte Surfer klagen ja gerne über viele xxx-Werbe-Pop-ups. Was sie halt nicht wissen: dass Doubleclick alles über sie weiß und dass sich der Ad-Server schon was dabei denkt, wenn er solche Werbung schickt.
Die verschiedenen Pay-back-, die ja eigentlich Cream-off-Karten heißen müssten: Wer sich bei T-online Dieter Bohlen – Greatest Hits (12,95 €) heruntergeladen und im KaDeWe Daniel Kübelböck: “Ich lebe meine Töne” (16,99 €) erstanden hat, der gerät bei T-mobile leicht in den Zielmarkt für Superstar-Alexander-Klaws-Klingeltöne (1,49 € monophon). Wegen der IT in diesen neuartigen Rabattmarkenheftchen.
Letzteres ist zwar nicht weiter schlimm, weil sowohl das falsche, als auch das berechtigte Schamgefühl von Leuten, die sowas kaufen, vermutlich allzu ausgeprägt nicht ist. Aber dem Surfer mit der Vorliebe für nackige JEPGs wäre es wohl doch peinlich, wenn er draufkäme, dass jemand seine geheimen Präferenzen im Web kennt.
Eigentlich ist IT heute viel unheimlicher als zu HALs Zeiten. Was hingegen niemand im Ernst von den traurigen Computern behaupten würde, aus denen sie besteht. Ersteres ist ungut. Zweiteres unschön.
Wobei: Für dieses Problem – das kleinere – zeichnet sich ja eine Lösung ab. Sie kommt wie viele Innovationen – die Computergrafik und Multimedia etwa – aus den Kinderzimmern.
Auf der Games Convention, der großen Spielemesse, zu Beginn der Woche in Leipzig konnte man’s ja wieder beobachten: Virtuelle Unholde zu massakrieren, ist schließlich ein rechenintensives Geschäft, das einem Computer alles abverlangt.
Und deshalb hatten die dort gezeigten Monsterschlachthäuser in PC-Form auch etwas von den alten Elektronengehirnen. Grafikkarten beispielsweise für die nur ein gewöhnlicher Stromanschluss nicht mehr ausreicht. Außerdem braucht man für eine richtig übertaktete CPU auch wieder eine Flüssigkeitskühlung.
Und das alles wird dann nicht hinter grauem Plastik versteckt. Sondern in einem durchsichtigen Gehäuse mit Neonlampen ausgeleuchtet. Eine Art Glashaus – wie zu Mainframer-Zeiten. “Casemodding” nennen die Youngsters das.
Das Schönste aber: Casecons – individuell entwickelte Rechnergehäuse. In Leipzig gab’s welche, die wie ein Kühlschrank oder wie ein Bierfass aussahen.
Da könnte man doch… Genau! Warum sollte man den Allerwelts-Pentium und das CMOS-Fizzelzeug eigentlich nicht mal in einen S/360-Frame packen? Oder in einen Starfire-Schrank.
In ein T3E-Gehäuse könnte man dann auch noch gleich die Einbauküche integrieren. Und in dem von einer Cray 1 fände zumindest noch die Hausbar Platz.
Besser würde sie dadurch ja nicht, die Welt von HAL’s Commodity-Erben – aber schöner.