Die schlimmsten IT-Sünden des Bundes

Am meisten Geld verliert der Bund bei IT-Projekten, weil er nichts davon versteht. Misswirtschaft, Gutgläubigkeit, Bürokratie und Papiersucht sind die Krankheiten der Ämter.

Jährlich gehen dem Bund unvorstellbar hohe Beträge verloren. Ein Grund dafür ist die mangelnde Sachkenntnis in IT-Fragen. Die bekannteren Sünden heißen Herkules und LKW-Maut – aber es gibt in nahezu jedem Zweig der Bundesregierung genug Amtsschimmel für eine dicke Rüge des Bundesrechnungshofes. In seinem Bericht für das Jahr 2004 sind allein sechs mal verlorene Steuergelder in Millionenhöhe nachgewiesen, die aus den verschiedensten Gründen verschwendet worden sind.
Beispielsweise, so der Bundesrechnungshof, kennt sich das Amt für Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in seinen eigenen IT-Projekten nicht mehr aus. Es lässt zudem lieber wahllos die gewinnversprechendsten Vorhaben sterben, statt die Ärmel hochzukrempeln und Ordnung ins Haus zu bringen. Das Amt, so heißt es in dem Bericht, plane seit dem Jahr 2000 eine papierarme Umgebung. Dieser begrüßenswerte Ansatz, einfache Bürotätigkeiten elektronisch abzuwickeln, musste im Jahr 2002 schon als gescheitert in die Tonne wandern. Und zwar deshalb, weil eine klare Priorisierung weder angedacht noch umgesetzt worden war. Der Grund laut Bundesrechnungshofbericht: “Die Kapazität des Fachpersonals war durch die gleichzeitige Arbeit an mehreren Großprojekten erschöpft.”

Entsprechend forderten die Prüfer, dass das Verkehrsministerium “schnellstens seine IT-Vorhaben zu reihen” habe und erst auf dieser Basis über Wohl und Wehe der laufenden Projekte entscheiden solle. Weiter forderten sie, dass gerade das genannte Projekt genau berechnet und schnellstens umgesetzt werden soll. Es verspreche schließlich einen hohen Rationalisierungsgrad. Der Bundesrechnungshof spricht von einem Betrag von 55 Millionen Dollar, der innerhalb von zehn Jahren damit zu sparen sein dürfte.

Sein Fett bekam auch ‘Herkules’ ab. Das Projekt mit dem gigantischen Namen war gedacht, um für einen Betrag von ursprünglich 11 Millionen Euro Software einzukaufen, die den Datenaustausch zwischen Systemen mit unterschiedlichen Sicherheitsbestimmungen schneller, weil automatisiert, abwickeln sollte. Doch heute, vier Jahre nach dem geplanten Abschluss des Projektes, ist noch kein Ende des Debakels in Sicht. Die Prüfer monieren, dass neben der Zeitüberschreitung eklatante Fehler gemacht worden seien: Die jetzt eingebaute Software ist völlig veraltet, das Budget wurde um bisher 4 Millionen Euro überschritten und der Bund erfüllte nicht wie vereinbart bei dem Projekt im Verteidigungsministerium seine Verpflichtungen – das alles wirkt sich derzeit in Schadenersetzforderungen des Dienstleister-Konsortiums an den Bund in Höhe von monatlich 62.000 Euro aus. Die sollen jetzt abgewendet werden, was zunächst auch wieder Geld kostet.

Eine Prüfung des Bundesrechnungshofs im Jahr 2003 hatte ergeben, dass der Bund im Laufe des Projekts mehrfach und offenbar sehr unkoordiniert und wahllos die Kriterien verändert hatte, die die Software erfüllen müsse. Diese ständige Nachjustierung führte dazu, dass die Software nicht einmal im Jahr 2002, also zwei Jahre nach offiziellem Projektschluss, irgendeine der technischen Kriterien erfüllte, geschweige denn verschiedene Systeme durchdringen konnte. Auch der Einsatz in einem homogenen System brachte demnach kein Ergebnis – nur innerhalb einer abgeschirmten Testumgebung. Acht Jahre Entwicklungsdauer und zusätzliche 4 Millionen Euro haben ein unfertiges, ineffektives, veraltetes und vielleicht auch längst nicht mehr benötigtes Techniksystem hervorgebracht, dessen Weiterleben nichts desto trotz vom Bundesverteidigungsministerium mit allen Mitteln und wenig greifbaren Argumenten verteidigt wird. Der Halbgott wird den Bundesrechnungshof daher wohl auch im nächsten Jahr wieder beschäftigen.

Auch das Zentralregister im Bundesjustizministerium geht nicht leer aus. So kann es nach Ansicht der Prüfer zunächst einmal alte Kamellen über Bord werfen: “Die aktuelle Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Bundeszentralregistergesetzes aus dem Jahre 1985 geht noch von der Papierform der Anträge aus.” Sie erlaube zwar die elektronische Antragstellung, aber diese Kann-Bestimmung sei ineffektiv. Der Bundesrechnungshof empfiehlt dringend eine ausschließlich elektronische Abwicklung. Und ein IT-gestützter Workflow zur Vorgangsbearbeitung sei auch nicht verkehrt.

Zwar erreichen dem Bericht nach 70 Prozent der Anträge die Dienststelle mittlerweile elektronisch. Doch die digitale Erkennungssoftware habe selbst nach einer drei Jahre verschlingenden Nachbesserung immer noch eine Fehlerquote von 43 Prozent beim Erfassen und Weiterverarbeiten der Anträge. Für die manuelle Erfassung dieses “verweigerten Materials” sind dreißig Beamte abgestellt. Die Prüfer empfehlen aber einen IT-gestützten, durchgängigen und funktionsfähigen Workflow. Die im Januar ausgeschriebene Belegerfassungs-Software, die dies alles können soll, ist derzeit noch nicht gefunden. Eine übergreifende Analyse der Geschäftsprozesse würde den Auswahlprozess erleichtern und nicht den nächsten Gau produzieren, raten die Prüfer. Und die Beamten dort sollen sich von den überholten Gesetzen verabschieden.

Kleine Luxusgeschöpfe sitzen dagegen dem Bericht nach im Bundeskanzleramt: “Das Presse- und Informationsamt ersetzte seine Arbeitsplatzcomputer vielfach bereits nach zwei Jahren ohne nachvollziehbaren Grund.” Wohl gemerkt, hier geht es nicht um notwendige Updates, zu denen man die Beamten beglückwünschen könnte, sondern um teure Hardware. Außerdem gibt es offenbar dort eine Vielzahl nicht nachvollziehbarer und bei weitem nicht aufeinander abgestimmter IT-Beschaffungsmaßnahmen mit hoher Redundanzquote. Dies liegt nach Ansicht der Prüfer daran, dass es keine Organisation für die zentralisierte Entscheidung über solche Anschaffungen gibt. Eine ausreichende Dokumentation dessen, was die angeschaffte IT überhaupt leisten soll, fehle ebenfalls völlig. Zuweilen fand sich im ganzen Amt nur ein einziger Mitarbeiter, der über eine Anschaffung überhaupt  informiert war – von einer Analyse der Bedürfnisse in den einzelnen Sektionen also keine Spur.

Geradezu tölpelhaft müssen die Verantwortlichen in IT-Verträge gestolpert sein. Hardware- und Software-Einkäufe schlossen sie dem Bericht zufolge zu den ungünstigsten Bedingungen ab. Was jeder CIO bei Strafe seines Untergangs zu beachten hat, scheint in Berlin eine ganz neue Erkenntnis zu sein: Das Amt hat schließlich dem Bericht zufolge zugelassen, dass die Dienstleister und Lieferanten ohne Prüfung selbständig ihre eigenen Liefer- und Kostenpunkte nachbessern konnten – zu ungunsten des Bundes natürlich. Mehr Abstimmung und Dokumentation und darüber hinaus klare Entscheidungswege empfehlen die Prüfer hier dringendst.

Doch löblich muss sich dagegen das Bundeszentralregister im zur Neige gehenden Jahr verhalten haben: Die Beamten haben hier durch eine – vom Bundesrechnungshof letztes Jahr empfohlene – Nachbesserung der IT-Leasing-Verträge einen Schaden von 220.000 Euro abgewendet und sparen zudem weitere 100.000 Euro im Jahr. Aber nur, wenn sie die Hardware, wie für Regierungsstellen vorgeschrieben, mindestens fünf Jahre nutzen. Derzeit nutzt das Zentralregister sie nur drei Jahre, was Kosten in Höhe von 280.000 Euro im Jahr verursacht. Auch die könnten noch eingespart werden.

Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat die Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit. Etwa 98 Millionen Euro hat sie dem Bundesrechnungshof zufolge in den Wind geblasen. Die Jobbörse sei trotzdem so schlecht, dass bis zu 44 Prozent der Suchabfragen falsch sind. Der eigentliche Zweck der Stellenvermittlung werde nur ungenügend erfüllt. Logisch, dass nicht einmal die Mitarbeiter der Agentur die Seite nutzen. Funktionstüchtigkeit und Benutzerfreundlichkeit lassen ebenfalls zu wünschen übrig. Diese Seite, die von einem Computermagazin auf der CeBIT 2004 mit einem Anti-Preis für Kundenunfreundlichkeit, Kostenfresserei und Nutzlosigkeit ausgezeichnet wurde, wird auch weiterhin auf der Tagesordnung der Experten im Bundesrechnungshof bleiben.