Der Oberbürgermeister von Moskau hat seine eigene Vorstellung vom Internet. Zumindest vermittelt er der Bevölkerung, im WWW tummelten sich nur gefährliche Kreaturen, die Drogen, Gewalt, Menschenhandel, Kinderprostitution und weltweiten Terrorismus über die Menschheit brächten. “Eine Zensur ist gar nicht mehr notwendig, weil sich viele Menschen ohnehin nicht unvoreingenommen an das neue Medium herantrauen”, sagt jetzt Katy Teubener vom Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Teubener beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema ‘Kultur und Neue Medien’. Zusammen mit der Slawistin Henrike Schmidt von der Ruhr-Universität Bochum und mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung hat sie die Mechanismen kultureller Identitätsbildung im russischsprachigen Internet untersucht und legt unter anderem die Erkenntnis auf den Tisch, dass selbst die Nutzer in Cafés das Internet mit Begriffen wie ‘Müllhalde’ assoziieren.
Dass dem so ist, dafür sei die russische Regierung wahrscheinlich mehr als dankbar. Sie versuche nämlich trotz des ohnehin eingeschränkten Zugangs, das Internet weiter unter ihre Kontrolle zu bringen. “Aktuell wird wieder einmal darüber diskutiert, alle Internetnutzer zu registrieren. Aber im Grunde hat die Regierung bereits mit dem von ihr verbreiteten Bedrohungsszenarien einen sehr effektiven Weg gefunden, um den Zugang zu kontrollieren”, so die Soziologin.
Das weltweite Web ist offenbar doch nicht so grenzenlos, und doch, kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede erlauben so manchem Webseitenbetreiber liberaler zu sein als anderswo. “Anders als beispielsweise in den USA werden sehr viele Publikationen als Volltext ins Netz gestellt. Dahinter steht offensichtlich die Idee eines offenen Zugangs zu Informationen, eben nicht nur für eine kaufkräftige Elite.” Und, so Teubener, das Urheberrecht sei in Russland weniger stringent als beispielsweise in Westeuropa.
In Russland verfügen laut Teubener nur 6 bis 8 Prozent der Bevölkerung überhaupt über einen regelmäßigen Internetzugang, der allergrößte Anteil davon sitzt in den russischen Metropolen. In den Provinzstädten müsse der Zugang hart erkämpft werden. Aufgrund fehlender Erfahrung ließen sich viele von den Aussagen der Politiker blenden.
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