Nur wenige Fachredaktionen besetzen solche Termine. Solche, auf denen es keine Ankündigungen gibt. Nur Ankündigungstermine gelten ja in der I+K-Industrie als wichtig. Weil man da Zeuge werden kann, wenn die branchenüblichen Welten entstehen.
Wie in der Astronomie: Wirklich existent ist eigentlich nur ein bisschen Nebel. Aber unter dem Eindruck einer Supernova – die kann man sich am besten als ganz heiße Luft vorstellen – da verspricht eine neue Galaxie, daraus zu werden.
Den Nebel, also das Rohmaterial für die neue Welt, den liefern die ankündigenden Unternehmen – meist auf Powerpoint-Folien. Die eignen sich besonders gut, um Nebulöses zu präsentieren.
Auch Agilent hat sich schon des öfteren als Nukleus neuer High-Tech-Galaxien empfohlen. Für die Welt des All-Optical-Networking (AON) etwa. Das ist die, in der es keine Elektronen mehr gibt, sondern nur noch Photonen, die nach Herzenslust geswitcht, geroutet und gemultiplext werden.
Alles, was man im kleinen Hochtechnologie-Universum für sowas braucht, war bei der Entstehung der AON-Welt reichlich vorhanden: Genügend TLAs (Three Letter Acronyms) wie beispielsweise AOS (All-Optical-Switching) und MEM (Micro Electro Mechanical Systems); gleich mehrere Fixsterne, die damals darum konkurrierten, zum Zentrum der neuen Welt zu werden – neben Agilent noch Lucent und Trellis Photonics – und natürlich jede Menge Nebel.
‘Champagne’ taufte Agilent damals das Flüssigkeits-Luft-Gemisch, mit dem man Lichtwellen umlenken kann. Und Lucent gab ihrer Konkurrenztechnik, die das gleiche macht, gar den Namen Lambda-Router. Angesichts der Eruptionen während der Entstehung einer Galaxie schießt man halt schon mal ein paar ISO/OSI-Layer über das Ziel hinaus.
Für die heiße Luft in entwicklungsgeschichtlich derart entscheidenden Phasen ist die Journaille zuständig. Seinerzeit am konsequentesten war die Computerworld, die sich ihre Headline stilsicher aus der Genesis entlieh: “Let there be Light” (1. Buch Mose, Kapitel 1, Vers 3 und Computerworld vom 2. Mai Anno Domini 2000).
Journalisten lassen sich halt gerne die Hand führen – von PR-Leuten, die ihnen das Gefühl geben, wichtig, weil bei der Entstehung einer neuen Welt dabei zu sein.
Das aber stand bei der Agilent-Technology-Night nicht zu erwarten. Es war ja kein Ankündigungstermin. Fachredaktionen schicken da – wenn überhaupt – ihre ausgemusterten Alt-Schreiber hin, die von der sich ständig wiederholenden IT-Schöpfungsgeschichte etwas müde geworden sind und sich deshalb nicht mehr so recht um wichtige Ankündigungstermine reißen mögen.
Was diese aber doch noch umtreibt, ist der Wunsch, mal ein schwarzes Loch zu sehen. Sowas entsteht, wenn eine Welt in sich zusammenfällt.
Das aber geht eigentlich gar nicht, so ein Phänomen mitanzuschauen, weil aus einem schwarzen Loch kein Licht nach außen dringt. Beim Untergang einer großen astronomischen Galaxie ist das genau so wie bei einer im kleinen I+K-Universum. Dort halten PR-Abteilungen derartiges im Dunkeln.
Geht wirklich nicht? Doch, geht! Bei der Agilent-Technology-Night.
Da möchte der Cheftechniker eigentlich über die neue Laser-Maus seines Unternehmens sprechen, aber dann beantwortet er doch auch Fragen zum hauseigenen AON-Nebel aus Zeiten, die – an den Maßstäben der schnelllebigen Branche gemessen – Lichtjahre zurückliegen.
Man habe die Technik fein säuberlich dokumentiert und dann auf Eis gelegt. Der Markt sei nicht in der Verfassung, die schieren Lichtgestalten des Netzwerk-Equipments aufzunehmen. Lucent – erfährt man später – sieht’s genauso. Die Erde hat sie wieder, die Himmelsstürmer.
Vom dritten Star der AON-Welt, von Trellis-Phontonics, gibt es sogar nur noch Spuren im Cyberspace. Das Internet ist da ja wie das All. Auch was längst schon untergegangen ist, kann man noch sehen.
Im Fall von Trellis sind’s einige begeisterte Artikel in den Archiven von Web-Publikationen und ein Hinweis auf der Site trellisphotonics.com: “This domain name expired.”
Ein ganz seltenes Erlebnis! Der Zyklus ist komplett. Oder wie’s der Mephistopheles im Faust so schön formuliert hat: “Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.”
Mit einem leicht erhabenen Gefühl geht man nach Hause. Nur wenigen ist es schließlich vergönnt, so etwas miterleben zu dürfen.
Na ja, und es ist auch ein gutes Gefühl, dass man seinerzeit, während des All-optic-Hypes, alles Wissen, das man über AOS und MEMs zusammengetragen hatte, reichlich in Artikel gegossen hat. Weil: Heute würde einem da niemand mehr auch nur einen Cent dafür bezahlen.
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