Radio Frequency Identifikation (RFID) vermittelt jedem Gegenstand ein Abbild in der IT-Welt, so die Theorie. Doch die Pipeline zwischen realer und virtueller Welt bedarf noch einiger Tüftelei. Die Cambium Forstbetriebe, Hesseneck-Schöllenbach, brauchen Kontrolle über jeden gefällten Baum. So sollen die Mitarbeiter schon zur kommenden Saison den Stämmen Transponder anheften.
Anders als EAN- oder Barcodes bekommt Ware, die mit einem Funkchip bestückt wird, eine Identität, die sich zudem mittels Radiowellen mitteilen kann. Mit Hilfe bisheriger Auszeichnungsverfahren lassen sich maximal Chargen durch Logistikprozesse schleusen und zurückverfolgen, jedoch kein einzelner Artikel. Um die Abläufe zu kontrollieren, braucht es neben den Tags auch Reader, Schreib-Lesegeräte, die elektronisch Meldung machen, wenn ein Funketikett mit einem solchen Gerät Kontakt aufnimmt. Da jeder einzelne Artikel zum Beispiel bei jedem Warenübergang ein solches Ereignis erzeugt, entsteht eine Flut an Informationen.
Mark Palmer, RFID Evangelist bei Objectstore, einem Geschäftsbereich von Progress Software, schätzt, dass der Reader-Einsatz zur Verfolgung von Paletten, Kisten und Einzelartikeln innerhalb eines Unternehmens bis zu 1000 Mal größer sein wird als beim Barcode-Verfahren. In einem Feldversuch des Auto-ID-Center, einer mit RFID befassten Forschungsabteilung des Massachusetts Institute of Technology (MIT), hätten die Forscher die Datenmengen künstlich reduzieren müssen, um die 15.000 RFID-Ereignisse, die ein Schreib-Lesegerät pro Sekunde generiert, überhaupt verarbeiten zu können, erläutert er. Die US-Handelskette Wal-Mart rechnet damit, dass durch den Einsatz von RFID-Tags in der Warenverteilung zusätzlich mindestens 7 Terabyte täglich an operationalen Daten anfallen.
Pilotanwendungen zum Geldsparen
Erfolgreiche Pilotanwendungen gibt es derzeit zum Beispiel bei Infineon in der Wafer-Fertigung und in Bibliotheken. Professor Elgar Fleisch, Research-Direktor M-Lab von der Universität St. Gallen, berichtet von zwei Anwendungsfällen bei VW. Der Konzern verwendet Spezialbehälter, in denen das Material für den Herstellungsprozess transportiert wird. Der Verlust von solchen Behältnissen kostet den Konzern pro Jahr rund 15 Millionen Euro.
Dazu kommen jährliche Kosten für Maschinen-Stopps, Extra-Touren und das manuelle Erfassen der Kisten in Höhe von 10 Millionen Euro. Da lohnt sich die Einführung von RFID-Tags zur Kennzeichnung der Metallbehälter. Zudem stattet VW die Neuwagen mit einem Anhänger aus, der einen Transponder enthält. Das ermöglicht auf den riesigen Abstellflächen das Wiederfinden eines Autos und eine aktuellere Übersicht über den tatsächlichen Bestand. Im Versuch werden derzeit 12.000 Autos temporär mit Tags ausgestattet. 50 Reader, die sich in Fahrzeugen befinden, und 100 Reader, die in Handhelds eingebaut sind, erleichtern das Aufspüren.
Bei diesen Beispielen fällt es schwer, zwischen operativem Einsatz und Pilotanwendung zu unterscheiden. Denn hier geht es um “echte Business Cases”, die laut Fleisch jeweils die unabdingbare Voraussetzung für die Einführung einer RFID-Infrastruktur sind. Zudem erübrigt sich eine vergleichsweise theoretische Diskussion über generelle Hemmschwellen, wie der noch relativ hohe Chip-Preis und die fehlenden RFID-Standards, wenn sich mit der Technik Millionen sparen lassen. “Die nächste Herausforderung der Informationstechnik besteht dann”, so Fleisch, “in einer konsistenten Integration von unternehmensübergreifenden Prozessen auf der Basis einer Netzinfrastruktur.”
Cambium bekämpft den Schwund
Einen solchen Entwicklungsschritt sieht auch Gerhard Friemel, Inhaber der Cambium Forstbetriebe, für seine Branche voraus. Denn in seinem Pilotprojekt sind jetzt schon ein Transportunternehmen und ein Sägewerk eingebunden. Das 19-Personen-Unternehmen aus dem Odenwald ist ein Dienstleister für Waldbesitzer und erledigt die Beförsterung, die Holzernte sowie den Holztransport und -verkauf. Zur Holzernte gehört das Fällen der Bäume und das so genannte ‘Rücken’, bei dem die Stämme zum Abtransport auf Waldwege gezogen werden. Außerdem beauftragt die Firma Transportunternehmen, die das Holz bis zu einem Sägewerk beziehungsweise Zellstoff- oder Furnierwerk fahren. Der Jahresgesamteinschlag beträgt rund 70.000 Kubik- beziehungsweise Festmeter. Dabei wird eine Fläche von rund 12.000 Hektar (1 Hektar = 10.000 Quadratmeter) bearbeitet.
Friemels Problem ist der Schwund oder manchmal auch die “wundersame Vermehrung”, die dabei vonstatten geht. Forstfachleute schätzen die Genauigkeit der Prozesskette in der Holzwirtschaft in Abhängigkeit des Sortiments auf teilweise unter 90 Prozent. Wertvolle Buchen, aus denen Furnier wird und die pro Stück rund 500 Euro kosten, kommen seltener abhanden, weil jedem Baum größere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das RFID-Projekt der Cambium-Forstbetriebe hat das Ziel, eine Genauigkeit von 95 Prozent zu erreichen.
Bisher kennzeichnen Waldarbeiter die Stämme mit aufgesprühten Kennziffern oder wertvolleres Gehölz mit Plastikfähnchen. Letztere können abreißen, der Rücker ordnet nicht nach diesen Nummern und findet vielleicht nicht alle geschlagenen Bäume, der Transporteur spielt ein falsches Spiel und liefert nur einen Teil des Holzes korrekt ab. Das sind nur einige Gründe, die das Tracking einzelner Stämme unsicher machen. Letzten Endes stimmen die Daten von Waldbesitzer oder Cambium mit denen von Transporteuren und Abnehmern nicht überein.
Außerdem geschieht die Datenerfassung im Wald und bei jedem Warenübergang manuell. So werden im Wald bei bis zu plus 40 Grad und minus 25 Grad, bei Hochwasser und meterdickem Schnee die Bäume vermessen, Länge und Dicke, Baumart sowie Qualität vermerkt. Insgesamt geht es um zehn bis zwölf Merkmale.
Daten-Management im Kescher
Diese müssen in der IT in Verbindung zu Artikelnummern gebracht werden. Normalerweise übernimmt diese Aufgabe das ERP-System des jeweiligen Unternehmens. In diesem Fall setzt das am Pilotprojekt beteiligte Sägewerk R/3 von der SAP AG ein und Cambium eine aus Schweden stammende Branchensoftware für Forstbetriebe. Der Transporteur nutzt eine Eigenentwicklung, erläutert Michael Groß, Geschäftsführer des von Cambium beauftragten Systemhauses Dabac. Doch um die Backend-Systeme zu entlasten, gehen im Falle Cambiums die Reader-Daten per Java Messaging Service zunächst an einen Messaging-Bus, der vom Progress-Ableger Sonic Software stammt. Über diesen gehen die Daten dann an einen RFID-Manager, dessen Grundlage die objektorientierte Datenbank ‘Objectstore’ ist.
Diese ist dafür zuständig, alle Events und Leseereignisse zu sammeln und zu filtern. Ein von Dabac gebauter Cache ermöglicht dann eine Vorbearbeitung. “Das ERP-System muss nun nur noch einmal die Holzeigenschaften mit einer Produktnummer ‘verheiraten'”, beschreibt Groß den Vorteil. Diese Verbindung bleibt im Cache und bei allen folgenden Ereignissen erhält das ERP-System nur noch Informationen zur Art des Ereignisses.
Laut Objectstore-Evangelist Palmer sind Formen solcher Betriebsdatenarchitekturen bisher etwa in der Finanzbranche weit verbreitet. So erfassten Handelssysteme Daten nicht nur in Echtzeit, sondern erlaubten auch eine automatische Erkennung von Geschäftsfällen und das Einleiten adäquater Maßnahmen.
Das Auto-ID-Center hat für RFID-gestützte Vorgänge im Zusammenhang mit dem Electronic Produkt Code (EPC), einem Identifikationscode für Handelswaren, das Konzept für ein RFID-Netzwerk entwickelt. ‘Savants’ empfangen Daten von RFID-Lesegeräten, filtern sie, prüfen auf Fehler und kritische Events, ergänzen um Produktdaten und senden die Informationen an Datenbanken oder ERP-Systeme. Nachrichtenorientierte Middleware und Möglichkeiten für Integration in Enterprise-Anwendungen ergänzen auch hier die Cache- und Store-Funktionen.
Um sich an den Sonic Enterprise Service Bus einzuhaken, brauchen die an der Prozesskette beteiligten Firmen lediglich einen Java Messaging Adapter, führt Groß aus. So sei es möglich, den Bus direkt bei Cambium anzusiedeln oder von einem Applications Service Provider (ASP) hosten zu lassen.
Identifikation ohne Standard-Code
Die Einführung von EPC-Schlüsseln hält Groß für unnötig. “Bei EPC geht es mehr um Fragen der Produkthaftung, Umweltschutzauflagen und Garantieansprüchen”, sagt er. Das sei hier derzeit noch irrelevant. Auch einen Chip, der sich mehrfach beschreiben lässt, sondert der Damac-Geschäftsführer aus. “Der Chip muss so billig wie möglich sein. Schließlich wird er an der Verarbeitungsstätte zerstört.” So wird der Transponder, zumindest im Pilotprojekt, lediglich eine eindeutige Kennung übermitteln. Weitere Informationen speichert die beschriebene IT-Infrastruktur.
Die Datenerfassung selbst geschieht mittels Pocket-PCs, mit denen die Arbeiter und Fahrer ausgestattet werden. Durch einen integrierten Reader können sie zudem die Stämme identifizieren. Die Übermittlung soll drahtlos auf der Basis von WLAN- und dem GSM-Standard funktionieren. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart ermittelt, wie die Transponder verpackt sein müssen und angebracht werden können. Denn die Technik muss auch im Wald funktionieren. Die Sensortechnologie stammt von der Metallux AG.
Cambium-Inhaber Friemel sieht neben der Reduktion des Schwunds eine Reihe weiterer Vorteile in der RFID-Technik. So entfalle die gesamte manuelle Übertragung der Daten und die jeweils damit verbundenen “Signiererei”. Die Leistung der Waldarbeiter lasse sich mindestes tagesaktuell und genau dokumentieren. Der Transporteur könne für jede vollbrachte Leistung Rechnungen stellen und nicht erst, wenn der gesamte Auftrag ausgeführt sei. Insgesamt erhielten alle Beteiligten einen aktuelleren Einblick in das Geschehen vor Ort. Die RFID-Testinstallation hat Mitte August begonnen.
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