RFID: Für wen und wann lohnt sich der kurzfristige Einsatz?
Die neue Technik wird viele Vorteile bringen, wenn sie in großem Maß implementiert ist. Doch wann und für wen lohnt sich der Einsatz?
Viele deutsche Unternehmen experimentieren inzwischen mit der RFID-Technologie (Radio Frequency Identification). Kostensenkungen und eine höhere Qualität sind dabei die treibenden Faktoren. Fallstudien und Pilotprojekte zeigen, was derzeit möglich ist. Bis die Vision eines Internet-gestützten Austauschs von RFID-Bewegungsdaten Realität wird, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Neben wirtschaftlichen Überlegungen spielen dabei auch Fragen der Standardisierung eine wichtige Rolle.
Für den Versandhändler Otto beispielsweise stehen bei den Überlegungen zum RFID-Einsatz mögliche Einsparpotenziale und Verbesserungen in den Prozessen im Vordergrund. Natürlich sei entlang der Lieferkette bereits ein hoher Grad der Automatisierung erreicht, sagt Roland Nickerl, Bereichsleiter Logistik Systementwicklung bei Otto in Hamburg. “Aber vielleicht ergibt die Summe der Einsparungen entlang der Supply-Chain einen Betrag, der die Tag-Kosten rechtfertigt.”
Die Ausgangssituation ist dafür nicht schlecht, schließlich hat Otto pro Jahr durchschnittlich 3000 Lieferanten, deren Ware letztlich beim Kunden landen soll. “Wir sind beispielsweise nicht in der Lage, für jeden dieser Lieferanten Edifact-Protokoll und -Verbindung aufzubauen”, verdeutlicht Nickerl. “Die Pflege so vieler Konverter, die die Datenformate für die Logistik in unsere IT-Landschaft umsetzen, ist bei dieser Größenordnung schwer zu handhaben.” Bis man sich bei Otto solchen Fragen zuwenden kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Vorerst testet und pilotiert man in kleinen Schritten.
“Eine Spur von ROI”
So lief im Warenverteilzentrum Haldensleben Anfang des Jahres ein Techniktest mit dem Ziel, die Eignung der hauseigenen Förderanlagen für die RFID-Technik zu ermitteln. Diese Förderbänder transportieren die Waren mit mehr als zwei Meter pro Sekunde; die RFID-Scanner müssen dabei trotzdem in der Lage sein, die Tags von 10 bis 30 Artikeln in einem Karton zu lesen.
Da dieser Test erfolgreich war, läuft nun von August bis Dezember im Warenverteilzentrum Hamburg ein Pilotprojekt mit Artikeln aus dem Bereich Unterhaltungselektronik. Auf den RFID-Tags sind dabei lediglich die Inventarschlüssel und die Sendungsidentifikationsnummern hinterlegt.
“Derzeit betrifft dies nur 0,2 Promille aller 200 Millionen Artikel, die von Otto ausgeliefert werden”, stellt Nickerl klar. Doch wenn das Projekt auch nur “eine Spur von Return on Investment” zeige, werde man es weiterführen. Zunächst kann es allerdings nur um eine RFID-Einführung bei “lohnenden” Artikeln gehen, deren Warenwert so hoch ist, dass sich der Einsatz rechnet.
Denn der finanzielle Aufwand einer RFID-Lösung für den Handel ist vor allem durch den Preis der Tags bestimmt. Derzeit kostet ein Transponder noch rund 40 Cent. Damit sich der Einsatz bei Otto für eine größere Zahl von Artikeln rechnet, muss der Tag-Preis auf weniger als 20 Cent fallen. “Bei einem Preis von 5 Cent pro RFID-Etikett könnten wir die Hälfte aller Artikel auszeichnen”, sagt Nickerl.
Kein geschlossener Kreislauf für Tags
Das Problem für den Handel liegt darin, dass sich die RFID-Tags nicht wieder verwenden lassen: Ist die Ware beim Kunden, ist das intelligente Etikett verloren. Der stationäre Handel denkt daher über Recyclingsysteme nach, die allerdings noch weit von einer Realisierung entfernt sind – für den Versandhandel, also auch für Otto, ist das natürlich keine gangbare Alternative.
Steffen Binder, Analyst bei Soreon Research und Autor einer Studie zum RFID-Einsatz im deutschen Handel, bezweifelt allerdings, ob sich ein geschlossener Kreislauf für die Tags tatsächlich lohnt. “Rein rechnerisch natürlich schon, aber bei anderen Pfandsystemen sieht man ja, was dadurch für ein Overhead entsteht”, gibt Binder zu bedenken.
Die Marktforscher haben verschiedene Szenarien für den RFID-Einsatz durchgerechnet und kommen zu klaren Aussagen: So schlagen auf drei Jahre gerechnet beispielsweise die Kosten für Transponder bei einem Textilhersteller mit 1,1 Millionen Euro zu Buche – bei 1,6 Millionen Euro Ausgaben für das Gesamtprojekt. Eine typische Supermarktfiliale wiederum ließe sich für 80.000 Euro RFID-fähig machen, wobei mehr als 60 Prozent der Kosten auf Software und Installation entfielen. Soreon hat in der Studie auch klar Gewinner und Verlierer eines frühen RFID-Einsatzes ausgemacht. “Es lohnt sich für die Handelsunternehmen, mit Einschränkungen für die Logistiker und für die Hersteller überhaupt nicht”, resümiert Binder.
Natürlich mache RFID bei einzelnen Herstellern Sinn. Es gebe beispielsweise Bierbrauer die durch intelligente Etiketten auf ihren Fässern, den Graumarkt-Handel weitgehend unterbunden hätten. Das seien jedoch Spezialfälle, so Binder.
Wenn sich Information und Ware synchron bewegen …
Der Analyst glaubt auch nicht, dass der Handel dank RFID große Einsparungen in seiner Lieferkette machen kann, da dort der Automatisierungsgrad bereits ganz gut sei. “Das größte Einsparpotenzial besteht am Point of Sale, weil dort noch viel manuell erledigt wird”, so Binder. “Ohne Zweifel werden wir mittelfristig RFID-Projekte am Point of Sale sehen, die signifikante Effizienzsteigerungen für den Handel bringen.”
Mit einer ganz anderen Situation sehen sich Speditionen beim Einsatz der RFID-Technologie konfrontiert. Hier geht es primär um eine Verbesserung der Qualität und der Prozesse. Direkte Kostensenkungen sind noch kein vorrangiges Thema. Natürlich lohne sich RFID trotzdem, so Alexander Unruh, Internationaler RFID-Projektmanager beim Logistikdienstleister Kühne + Nagel in Hamburg. “Denn die Möglichkeit, dass die Information mit der Ware synchron bewegt wird, eröffnet schon interessante Perspektiven”, verdeutlicht Unruh die andere Betrachtungsweise.
Kühne + Nagel hat zusammen mit einem Kunden, dem Druckerhersteller Océ, Ende 2003 einen gemeinsamen Business Case erarbeitet. Seit Ende September 2004 sammelt man nun in dem Pilotprojekt Erfahrungen, das einen RFID-Einsatz entlang der Lieferkette zwischen Deutschland und den USA umfasst. Am Océ-Produktionsstandort bei München werden dazu Drucker mit RFID-Transpondern versehen. Die verwendeten Tags lassen sich sowohl mit den europäischen als auch den amerikanischen Frequenzstandards lesen.
Wird eine Sendung verladen, passiert sie zuvor einen RFID-Scanner, der die Informationen liest und dem Track-and-Trace-System von Kühne + Nagel zur Verfügung stellt. Im Lager der Spedition am Münchner Flughafen passiert die Ware einen weiteren RFID-Kontrollpunkt, bevor sie an das Luftfrachtunternehmen übergeben wird. Auf US-amerikanischem Boden befinden sich dann zwei weitere Kontrollpunkte, bevor die Ware an das Océ-Distributionszentrum geliefert wird.
Wie schreibt man ‘Hamburg’?
Die gesamten Bewegungsdaten liegen in den Systemen von Kühne + Nagel ständig aktuell vor, so dass sich ein gesicherter Warenübergang gewährleisten lässt. “Hätte man nur Barcodes für die Erfassung, so müsste man die Ware jeweils von den Paletten abladen”, verdeutlicht Unruh. Derzeit läuft der Datenaustausch dieser Lösung allerdings nur bilateral zwischen Océ und dem Logistikdienstleister. Für einen Internet-basierten Datenaustausch, das Ziel der internationalen Standardisierungsbemühungen im RFID-Umfeld, sind verschiedene Fragen noch nicht geklärt.
Natürlich gehe es dabei auch um technische Standards, die noch nicht verabschiedet worden seien, so Unruh, aber letztlich sei der Inhalt der Daten das größte Problem. Ein einfaches Beispiel seien Ortsbezeichnungen, die derzeit nach verschiedenen internationalen Empfehlungen – aber nicht kompatibel zueinander – umgesetzt werden würden. Während ein Dienstleister “Hamburg” mit “HAM” abkürze, verwende der andere “HH” und wieder ein anderer “HBG”. Unter solchen Inkompatibilitäten leide ein Internet-basierter Datenaustausch, so Unruh.
Im Rahmen des ‘Licon Logistics Ident Consortium’ will man gemeinsam mit anderen Logistikdienstleistern die Entwicklung eines Internet-basierten Datenaustauschs vorantreiben. Mit im Boot sitzt unter anderem auch SBS. “Wir wollen dabei existierende Standards verwenden und dort, wo diese nicht ausreichen, den entsprechenden Gremien weitere Vorschläge zur Standardisierung machen”, erläutert Unruh.