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CA reanimiert Ingres durch Open Source

Mit dem neuen Ingres-Release r3 glaubt der Hersteller Computer Associates (CA) die Konkurrenz vom Schlage einer Oracle längst überrundet zu haben. Auch dadurch, dass Ingres ja seit einigen Monaten für die Entwickler nutzbare Open Source ist. Die Datenbank, die zuvor nicht viele Freunde hatte, soll jetzt Fans in der ganzen Welt zählen – genau 11.127 waren es übrigens am 6. Oktober um 09.30 Uhr. Und das allein durch das Engagement, das Computer Associates plötzlich der Open-Source-Bewegung entgegen bringt. Das vorläufige Fazit: Kasse wird wieder gemacht mit der angestaubten Dame, auf die die Entwickler seit 20 Jahren nur immer eine neue, zeitgemäße Lackschicht aus Funktionen auflegen.
Der Name Ingres steht für ‘Interactive Graphics Retrieval System’. Und als die Entwickler Michael Stonebraker und Eugene Wong im Jahr 1973 an dem ‘System R Project’ teilnahmen und Ingres aus der Taufe hoben als eine der ersten relationalen Datenbanken – zu neu, um für viele interessant zu sein – da ahnten sie wohl noch nicht, dass der Weg der Ingres-Technik von der offenen Programmier-Bewegung in Universitäten zunächst extrem proprietär werden würde. Nur um dann wieder zum Open Source zurückzukehren.

Robin Bloor, Chefanalyst bei dem Marktforschungsunternehmen Bloor Research, berichtet, dass bereits das erste Release als Prototyp auf das Anwender-Feedback baute. “Aber 1980 waren etwa 1000 Kopien von Ingres im Umlauf und die ersten kommerziellen Organisationen benutzten den Code für den Aufbau einer eigenen Produktlinie für relationale Datenbank-Verwaltungssyteme (RDBMS).” Er nennt alle Großen der Branche und ihre Produkte: IBM mit DB2 und den Vorläufern, Hewlett-Packard mit Allbase und allen voran Oracle. Sogar Microsofts MSSQL bezeichnet Bloor letztendlich als einen “Urenkel von Ingres”.

Enkel besiegen die Großmutter

Erst die Gründung von Ingres als Firma beteiligte Michael Stonebraker an den Umsätzen, die überall mit Ingres zu machen waren. Die Folge: Das Projekt wurde zahm und proprietär. Bloor hält der Technik zugute, dass sie innovativer gewesen sei als beispielsweise das “Ingres-Derivat Oracle”. Jedoch habe das Produkt, egal unter welcher Führung (schließlich wanderte die Datenbank durch einige Hände), den Marketing-Kampf gegen Oracle von Anfang an unterschätzt und somit immer wieder verloren. Allerdings habe die Optimierung der Queries mit der Ingres-Mannschaft begonnen. Ebenso habe die Technik von allen Datenbanken zuerst echte verteilte Datenbankfunktionen aufgewiesen und sei der Konkurrenz auch beim Thema Sicherheits- und Ressourcenkontrolle nicht selten eine Nasenlänge voraus gewesen. Ab 1990 rechnet Bloor den Niedergang von Ingres – möglicherweise auch in technischer Hinsicht.

Seit 1994 ist die Datenbank in den Händen des unabhängigen Softwarehändlers Computer Associates (CA), der sie nun wieder in die Hände der Entwickler zurückgelegt hat. Nach dem Willen von CA soll Ingres die vorherrschende Datenbank der eigenen Softwareklasse werden und sich sowohl im Enterprise-Markt, als auch bei den Mittelständlern gegen proprietäre Systeme durchsetzen. Doch das geht heute nicht mehr ohne zumindest teilweise offenen Quellcode. Als nächste Schritte sind wegen der Partnerschaft mit Scope, Plone und JBoss mehr Anteile im Markt für Content und Document Management Systeme sowie bei den Java-basierten Entwicklungsumgebungen geplant. Auch dies bedeutet, den proprietären Konkurrenten, die bereits den Markt unter sich aufgeteilt haben, etwas den Boden streitig zu machen.

Relationaler, offener Goldesel, streck dich!

Die größere Verbreitung ist bei CA die große Hoffnung, denn Open Source macht die Lösung nicht nur billiger und besser, sie nützt auch dem Support, weil die Kunden mittlerweile anfangen, dem offenen Quellcode auch in geschäftskritischen Anwendungen zu vertrauen. Und die kommerziellen Absichten gibt CA auch offen zu: “Wir wollen Ingres Open Source machen, wir wollen Ingres siegen sehen und wir wollen wieder mit Ingres Geld verdienen”, fasst Emma McGrattan, Vice President Development Ingres, zusammen.

Sie bemüht eine bekannte Wahrheit, die sie zugunsten der Ingres-Datenbank auslegt: “Es werden sehr viele Oracle-Entwickler gesucht und kaum Entwickler für Ingres. Das heißt doch, dass mit Oracle etwas nicht stimmt, mit Ingres aber schon – Anpassungen wären zum Beispiel etwas, das viele Entwickler fordert.” Doch der wahre Grund dafür dürfte tiefer liegen. Robin Bloor ist da ganz offen: “Gerade im Zeitraum vor dem Jahr 2000 hatten sich die Neulizenzen für Ingres sehr rar gemacht und daher musste CA einen Weg finden, Neukunden zu gewinnen, die verhinderten, dass Ingres nur noch von Computer Associates selbst genutzt wird.”

Zwar taugt die Software als Basis aller wichtigen Software wie ‘Unicenter’ und inzwischen kann keine Software bei CA ohne die zentrale Datenhaltung per Ingres gebaut werden. Aber die strategische Entscheidung, die ein Unternehmen in einer solchen Situation zu treffen hat – alleinstehendes Produkt oder wertvolle Grundlage für alle Produkte – traf CA nun mit der Öffnung zugunsten des Produktgedankens. Doch kann man bei Open Source überhaupt noch von einem CA-Produkt im klassischen Sinne sprechen? Vor allem dann, wenn Ingres gerade nach zehn Jahren bei CA als unantastbar galt?

Entwickler an der kurzen Leine

Ja, man kann. Denn laut CA-Aussagen bleiben die Rechte an Ingres wie auch die Rechte an den Neuentwicklungen, die vielleicht eines Tages sehr zahlreich sein mögen – bei CA. Ganz nach dem alten Motto: Appetit kannst du dir holen, aber gegessen wird zuhause. So ist die eine Seite der Medaille, dass die Anwender, die vielleicht schon CA-Geschäftspartner sind, ihre neue Open-Source-Datenbank mit umfangreichen Funktionen, Rechten und Pflichten mit dem gewohnten Support verbinden können. Anpassungen können sie selbst machen, sofern die Expertise dazu im Haus ist. Das kann ein echter Hingucker für Datenbänker sein.

Die andere Seite ist, dass die CATOSL (Computer Associates Technology Open Source Licence) zwar weniger restriktiv als die stringente OSL ist, aber die Rechte an Modifikationen werden bei CA eingereicht und verbleiben dann auch dauerhaft bei CA – die wiederum verdienen dann Geld damit. Und es ist nicht die Gemeinde, die über die Aufnahme von Modifikationen entschiedet, es sind die CA-Entwickler; sie behalten auch weiterhin wie gehabt die letzte Entscheidung über den weiteren technischen Weg der Ingres-Datenbank fest in Händen. Da macht Chefentwicklerin Emma McGrattan, die schon bei dem zwischenzeitlichen Ingres-Besitzer ASK für das Ingres-Development zuständig war, der Zuhörerschaft auf der Kundenveranstaltung InfoXChange 2004 keine Illusionen.

Selbst die offensichtlich mit Hintergedanken in den Raum geworfene Andeutung, dies sei möglicherweise nicht die letzte Open-Source-Produktentscheidung von CA, stimmt die OS-Gemeinde (McGrattan titulierte die Engagiertesten unter ihnen als “Jeder-darf-alles-Fraktion”) sicher nicht nur freundlich. Einer der Besucher der Konferenz, eine ausgewiesener OS-Fan aus dem Banken-IT-Bereich, brachte es am Rande der Veranstaltung so auf den Punkt: “Die wollen nur ihre alten Kamellen loswerden.” CA wird sich genau auf die Finger gucken lassen müssen.

Silicon-Redaktion

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