Mobilfunker sind die Gewinner des Micro-Commerce
Für Klingeltöne und andere Spielereien geben Europäer rund 570 Millionen Euro aus, mit neuen Geschäftsideen könnten es noch viele Euros mehr werden
“Ich glaube, dass uns momentan einfach noch ein bisschen die Fantasie fehlt”, sagte Alexander Linden, Vice President Research Emerging Trends & Technologies bei dem Marktforschungsunternehmen Gartner. Diesen Mangel bezieht er auf Anwendungen, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen, die sich in den nächsten Jahren im Micro-Commerce entwickeln werden. Der Mobilfunkanbieter Vodafone beflügelt hingegen unsere Vorstellungskraft mit Plänen für Musiktauschbörsen über UMTS-Geräte und führt als erster Carrier einen Kopierschutz für getauschte Songs ein.
Bis 2015 prognostizieren die Marktforscher zwischen 60 und 240 Milliarden Dollar Umsatz bei Geschäftsabschlüssen unter 5 Euro. Diese Voraussage bezieht sich lediglich auf neue Produkte und Dienste, nicht auf traditionelle Felder des Micro-Commerce. Die Marktforscher stützen sich bei ihrer Annahme auf eine Weltbevölkerung von einer Milliarde Menschen und einer durchschnittlichen Transaktionsgröße von einem Dollar. “2003 wurden im Consumer Markt bereits 1,5 Milliarden Dollar mit Micro-Käufen umgesetzt, das ist auch nicht so ganz wenig”, erklärte Linden im Gespräch mit silicon.de. Und das zu einem nicht geringen Teil mit Klingeltönen, Logos oder Bildschirmschonern.
Bislang gebe es in diesem Bereich Wachstumsraten bis zu 20 Prozent. Für die Zukunft rechnen die Prognostiker bei Gartner mit einer deutlich stärkeren Entwicklung. Diese werde auch von sinkenden Transaktionskosten getragen. Im Zuge dieser Entwicklung würden dann auch ganz neue Geschäftsideen rentabel. Dieser Trend wird allerdings für traditionelle Geschäftsfelder nicht ohne Folgen bleiben. So zitiert Linden als Beispiele Apples iTunes und das Bezahlsystem der Stiftung Warentest. “Das sind alte Produkte und alter Content, allerdings in einer neuen Granularität.” Die Kunden kauften nicht mehr einfach die neue U2-CD, erklärt Linden sondern griffen sich einzelne Songs heraus. Über diesen Vertriebsweg falle auch die gesamte Logistik weg: “Sie überspringen einfach die Warenkette, daraus ergeben sich wesentliche Kostenvorteile”, weiß Linde.
Offenbar sind die Marktforscher von Gartner und die Strategie-Abteilung bei dem Telekommunikationsanbieter Vodafone der gleichen Ansicht, wenn es um das Potential neuer Vertriebswege bei niedrigen Preisen geht. “Das Tauschen von Musikdateien wird einen wichtigen Teil unserer Einnahmen ausmachen”, erklärte Edward Kershaw, Musikchef bei dem Mobilfunkanbieter gegenüber der Financial Times Deutschland. Die technischen Voraussetzungen seien bereits vorhanden, dennoch befinde sich das Projekt noch in einer sehr frühen Phase, vor allem an der Nutzerführung müsse noch gefeilt werden, erklärt Kershaw. So könnten UMTS-Nutzer gekaufte Lieder an andere weitergeben. Die Bezahlung seitens der Empfänger werde über das Gerät selbst sichergestellt. Das geschieht auf der Basis des Kopierschutzverfahrens OMA DRM 1.0 (Digital Rights Management), das von dem Mobilfunkverband Open Mobile Alliance spezifiziert wurde und bereits von neueren Geräten unterstützt wird.
Bis Vodafone mit dem Angebot an eine größere Öffentlichkeit herantrete, werde aber noch einige Zeit vergehen, so Kershaw weiter. Vor allem aber müsse die Technik perfektioniert werden. Schließlich müssten sich Kunden mit dem neuen Angebot erst anfreunden. “Die Nutzer sind bereits heute daran gewöhnt, SMS und Bilder untereinander zu tauschen. Musik ist eine natürliche Erweiterung dieses Gedankens.” Zudem biete sich eine interessante Marketing-Option für Netzbetreiber, indem sie ihre Kunden für das Weiterverbreiten von Liedern belohnen. Noch sind aber nicht alle Fragen beantwortet, sollte sich der Dienst erst zu einem industrieweiten Standard etablieren. Wie etwa die Bezahlung bei einem Austausch in andere Netze.
So ist auch der ständig verfügbare “Zugang zu physikalischen und sozialen Infrastrukturen, die einen Marktplatz für Käufer und Anbieter bereitstellen”, wie es in der Gartner-Studie heißt, mit verantwortlich für diese Entwicklung. Gemeint sei damit E-Commerce über PC und kabellose Netzwerke wie UMTS aus dem Vodafone-Beispiel. Daneben leistet aber auch das “automatisierte Auffinden von gewünschten Inhalten und Diensten” einen Beitrag.
Die Möglichkeit, über das Handy den Standort zu bestimmen, nutzt schon jetzt der Londoner Taxi-Rufdienst Zingo. Über einen Knopfdruck gibt ein Fahrgast zu erkennen, dass er ein Taxi sucht. Ein Vodafone-Dienst lokalisiert das Handy und gibt die Daten über Zingo an ein Taxi-Unternehmen weiter. Anhand der Daten wird ein freies Fahrzeug in der Nähe des Passagiers zu diesem gelotst. Das Taxi-Unternehmen überweist dann an Zingo einen Micro-Betrag und der Taxi-Rufdienst schuldet Vodafone für die Lokalisierung ebenfalls einen Kleinst-Obolus. “Vorstellbar sind auch Concierge-Dienste”, visioniert Linden weiter. Zum Beispiel schnelle Kinderbetreuung im Einkaufszentrum, die über das Handy angefordert werden kann, oder ein Kaffee-Bringdienst für gestresste Autofahrer im Stau.
Die oben genannten Beispiele zeigen, dass vor allem Betreiber von kabellosen Netzen, seien diese WLANs oder Mobilfunknetze, gute Karten haben, von der vorausgesagten Entwicklung zu profitieren. Gartner rät den Betreibern solcher Infrastrukturen, die Möglichkeiten der “ortsbasierten Cluster neuer Geschäftsideen aggressiv zu verfolgen”. Die anderen potentiellen Gewinner sind nach Ansicht der Marktforscher Anbieter von E-Commerce-Diensten im Netz. Mit kommerziellen Angeboten wie Wettervorhersagen oder Fahrplanauskünften, oder der Bereitstellung von Inhalten gegen Bezahlung, wie das auf den Internetseiten der Stiftung Warentest bereits praktiziert werde, ließen sich laut Garnter ebenfalls neue Einnahme-Quellen erschließen. Auch hier schlummerten noch “viable Modelle, die bisher nicht existierten”.