Indien ist zum Synonym für Offshore-Business geworden – in der IT-Welt und darüber hinaus. So manche Unternehmen der Fortune 100 haben in den vergangenen Jahren damit offensichtlich große Erfolge erzielt. In der Zwischenzeit versuchen mehr und mehr Länder, sich im weltweiten Offshore-Geschäft zu positionieren. China, Russland, Südafrika und selbst Länder wie Madagaskar, die Emirate oder Ägypten sind plötzlich im Gespräch. Gleichzeitig ist der Begriff ‘Offshore’ allerdings schon wieder veraltet und nicht mehr so richtig zutreffend.
Dies wurde neulich bei meinem Besuch in Indien sehr offensichtlich. Die großen führenden Offshore-Anbieter wie Wipro, Infosys, TCS, Satyam, Cognizant, HCL, Patni, um nur einige zu nennen, entwickeln sich mehr und mehr zu globalen Anbietern von Professional Services.
Globale Service-Anbieter
Der Ausdruck Offshore wird immer ungenauer und verschwimmt, je mehr diese Anbieter auch in den lokalen Märkten Kompetenz aufbauen. Gleichzeitig beginnen auch die traditionellen Unternehmen für Professional Services wie IBM, HP, EDS, CSC und auch T-Systems, weltweites Sourcing einzusetzen. Das heißt, die Anbieter nähern sich in ihren gegenseitigen Business-Modellen an. Die Offshore-Unternehmen beginnen zunehmend Beratungs-Know-how, tiefgehende Branchenkenntnisse, sowie Account- und Kundenmanagementfähigkeiten aufzubauen.
Dabei wird sowohl auf organisches Wachstum als auch auf Akquisitionen gesetzt. Gleichzeitig sind die globalen Service-Anbieter wegen des anhaltenden und teilweise zunehmenden Preisdruckes gezwungen, ihre Sourcing-Strategien genau zu überprüfen, zu überarbeiten und zu erweitern. Nur damit können sie bei manchen Projekten preislich mithalten, beziehungsweise die geforderten Gewinnmargen erzielen.
Politischer Druck
In den vergangenen Jahren wurde in den westlichen Industrieländern über das Thema Outsourcing heftig debattiert. Insbesondere in Wahljahren bringt es der hart geführte und auf unentschlossene Wähler ausgerichtete Wahlkampf immer wieder zu seltsamen Auswüchsen. Plötzlich werden alle wirtschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre vergessen und die Diskussion auf dem Level einer Stammtischdiskussion nach reichlich Alkohol geführt.
Sicherlich ist es immer schwierig, dem Einzelnen, der seinen Arbeitsplatz verloren hat, durch Verweise auf die gesamtwirtschaftliche Situation und den höheren internationalen Wettbewerbsdruck inklusive eines erweiterten globalen Käufermarktes Trost zu spenden. Insbesondere in Deutschland machen sich die IT-Leiter wesentlich mehr Gedanken über diesen sozialpolitischen Aspekt als in anderen Ländern. Grundsätzlich ist eine proaktive Kommunikation sicherlich empfehlenswert und nie verkehrt. Aber trotz all dieser Diskussionen und des so genannten politischen ‘Backlash’, also der Negativauswirkungen, wachsen die indischen Offshore-Unternehmen ungebremst zwischen 30 bis 60 Prozent.
Qualität
War vor Jahren das Thema Qualität noch eines der ersten Gesprächsthemen und vielfach von westlichen und noch nicht ‘offshore-erfahrenen’ Unternehmen in Zweifel gestellt, ist es heute nur noch ein ‘Hygienefaktor’ – etwas, was man einfach hat oder haben muss. Die indischen Offshore-Anbieter sind im Bereich CMM, Six Sigma und ISO unübertroffen. Die vorhandenen Unternehmen mit CMM Level 4 und 5 haben sich im Markt herumgesprochen. Auch Six Sigma, das auf den Dienstleistungsbereich erweitert wurde, ist bestens implementiert, und jedes Unternehmen kann bis zu über 100 Black Belts nachweisen.
Ist damit die Qualität garantiert? Nein, absolut nicht, aber die Frage ist weniger, ob das indische Offshore-Unternehmen in der Lage ist, die Qualität zu liefern, sondern inwiefern das westliche Unternehmen die Reife dazu hat, sie wahrzunehmen. So braucht ein CMM-Level-5-Unternehmen die richtigen ‘Dolmetscher’ und umgekehrt, um mit einem CMM-Level-2-Unternehmen richtig kommunizieren zu können. In Deutschland liegt der CMM-Level im Finanzsektor bei 1,8 und damit weit entfernt von einem CMM Level 4.
Problematisch ist weiterhin, dass oft die internen Prozesse nur sehr vage formuliert sind und die Prozesstreue im eigenen Unternehmen zu wünschen übrig lässt. Die richtige und konservative Erwartungshaltung (zum Beispiel Einsparungen von 30 statt 50 Prozent), der fähige Projektleiter und die richtige Auswahl des ersten Projektes, Bereiches, oder Prozesses sind weitere wichtige Erfolgsfaktoren. Grundsätzlich sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass Kosteneinsparungen nur die Spitze des Eisberges der potenziellen Vorteile solcher Offshore-Projekte darstellen.
Nachwuchs
Während in Deutschland oft die vorhandenen Ressourcen für ein Projekt ausschlaggebend sind, werden diese in Indien typischerweise einfach eingestellt und eingearbeitet. Das Ausbildungssystem ist sehr eng mit den Anforderungen der Unternehmen verknüpft und bildet eine ausgezeichnete Basis für tiefergehendes Produkt- und Prozesstraining. Sprachtraining und Training für das kulturelle Verständnis des jeweiligen Kundenumfeldes gehören zum Standardangebot aller Unternehmen.
Beeindruckend ist zudem die immense Bautätigkeit auf Firmengeländen oder direkt daneben. Auf die Frage, was dort passiert, erhält man typischerweise immer die gleiche Antwort: “Wir stellen im nächsten Jahr circa 10.000 neue Studienabgänger ein und benötigen mehr Bürofläche”.
Der Kostendruck auf die Unternehmen ist nicht so extrem wie oft im Westen dargestellt, da es genügend Studienabgänger gibt und die Differenzierung der Unternehmen stark über weiche Faktoren passiert. Die Anzahl der Schulpflichtigen und damit potenziellen Studienabgänger in Indien übertrifft China bei weitem, da es dort keine Kinderquoten gibt.
Trotz all dieser Fortschritte ist Indien in weiten Teilen davon völlig unberührt geblieben und hat heute weniger Anteil am weltweiten Exportmarkt als vor 80 Jahren. Dies ist überall klar erkennbar und liefert einen interessanten und für so manchen Besucher auch erschreckenden Kontrast.
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