Da wird man immer so sentimental, holt sich einen Glühwein an den Rechner und blickt zurück. “War das erst dieses Jahr …?” sinniert man dann, während dampfender Glühwein am Monitor kondensiert.
Es ist eine melancholische, alle Jahre wiederkehrende und eigentlich recht dumme Frage. Man braucht schließlich nur in den Datei-Informationen nachzuschauen. Da steht ja genau, wann es war – mit Datum und Uhrzeit.
Und während man so durch die Directories browst, passiert dann ein Jahr Revue: Der Frühling heuer, die Zeit, in der die Gefühle erwachen. Diese bunten, Varianten-reichen zwischenmenschlichen Gefühle.
Aber jede Variante bei jedem Browser-Start gleich detailliert bebildert auf dem Monitor zu sehen, das war dann doch etwas viel. Deshalb hat man damals CWShredder und HijackBlaster installiert, um den widerlichen Browser-Hijacker wieder loszuwerden.
Wenn man in die dunkle Welt der absonderlichsten sexuellen Deviationen entführt wird, dann ist da ja – technisch gesehen – meist eigentlich nur ein sogenanntes Browser-Helper-Object zugange. Weshalb der BHODemon sehr nützlich sein kann. Den hat man sich denn auch gleich aus dem Netz geholt.
Ein dramatisches Jahr war es. Ein Riese begann zu wanken: der Internet-Explorer, herausgefordert vom Firefox. Der soll sicherer sein. Installationszeit: 10. November, 4 Uhr früh.
Das Sicherheitsbedürfnis steigt einfach, wenn man in die Jahre kommt. Früher – ganz früher, im jugendlichen Überschwang – da war man anders.
Da hat man’s sogar ohne gemacht: Ohne Firewall ist man damals ins Internet gegangen. Inzwischen aber nimmt die zusammen mit den Updates vom zuende gehenden Jahr auch schon etliche Megabyte auf der Platte ein.
Wobei so eine Firewall ja auch etwas Beunruhigendes an sich hat: Dauernd sagt sie einem, dass irgendein Prozess ins Internet wolle, und fragt, ob man das jetzt erlaubt.
Deswegen war auch der 5. Februar heuer ein guter Tag. Da kam das neue Mainrelease des Spyware-Suchprogramms Ad-aware heraus. Seitdem ist die Firewall nicht mehr gar so nervös.
Ja, und dann der 12. Oktober. Da ist es dann ja besonders heftig gekommen: Gleich 21 Sicherheits-Patches hat Microsoft an dem Tag ins Netz gestellt. Wenn man sich das im Nachhinein so in der Systemsteuerung anschaut, dann stellt man fest, dass das meiste, was man sich heuer wieder auf dem Rechner gepackt hat, Hotfixes und Service-Packs aus Redmond waren.
Gut, ein bisschen Back-up-Software und ein paar System-Wiederherstellungs-Tools waren auch noch dabei. Die braucht man schließlich ebenfalls. Es soll ja vorkommen, dass nachdem man ein Service-Pack aufgespielt hat, gar nichts mehr geht. Na ja, und dann noch einige Port-Scanner, Registry-Werkzeuge, neue Virensignaturen, Spamfilter, Popup-Blocker, einen Security-Taskmanager, ein Verschlüsselungsprogramm …
Die staade Zeit, das ist, wenn die Tage kurz und die zu Jahresbeginn angeschafften Festplatten voll geworden sind. Und dann sitzt man mit dem Glühwein vorm Rechner und ist melancholisch.
Die ehedem so heile PC-Welt, sie ist böse und bedrohlich geworden. Wirklich! Man kann’s ausgooglen: Wenn man ‘Virus’ ins Suchfester eintippt, dann kommt erst an 48. Stelle ein Link auf eine medizinische Site. Zuvor nur Seiten von Anti-Viren-Entwicklern.
Und man selbst: Man ist alt geworden, alt und ängstlich, wie man anhand der Liste der installierten Software eindeutig nachvollziehen kann.
Was waren das doch noch für Zeiten, als man jung war und sich neue Programme auf den Rechner geholt hat, um damit was zu schaffen – oder um Spaß zu haben. Kein einziges war heuer dabei.
Halt, doch, eines: die DOS-Box, entwickelt innerhalb eines Open-Source-Projekts. Darin laufen die alten PC-Spiele noch, mit denen man sich während der Studienzeit immer die Nächte um die Ohren geschlagen hat.
Und das wiederum ist ein Vorteil, den Leute, die in die Jahre gekommen sind, gegenüber heutigen Youngstern haben: Sie wissen, mit DOS-Befehlen umzugehen.
Während der Dampf aus dem frisch eingeschenkten Glühweinglas sich auf dem Bildschirm niederschlägt, lädt das Programm. Und dann erscheint da wieder dieselbe Tür wie früher. Und man weiß: Dahinter lauert es, das absolute Hyper-Monster.
Die Tür geht auf. Und da ist es. Der gleiche blöde Blick wie früher, während man es ins Fadenkreuz nimmt.
Aber: Es muss auch schon in die Jahre gekommen sein, das Hyper-Monster. Wahrscheinlich würde es viel lieber seinen niedlich schleimigen Enkeln aus seiner Jugend im letzten Jahrtausend erzählen, als sich von einem mittlerweile alten Mann – aus schierer Nostalgie – erneut niedermähen zu lassen.
PC-Monster haben’s halt auch nicht leicht. Gerade im Alter.
Und während der Glühwein-Dampf diese Szene der Schwäche gnädig einhüllt, drückt man dann die Escape-Taste. – Ach ja. Die staade Zeit. Da wird man immer so sentimental.
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