Bei Google ist bemerkenswert, dass es im vergangenen Jahr hierzulande erstmalig das Arbeitsamt unter die Top 10 der Suchbegriffe geschafft hat. Wohlgemerkt: die althergebrachte Josef-Stingl-Bezeichung und nicht die Florian-Gester-Notation “Agentur für Arbeit”. Die gemeine Wirklichkeit ist nun mal äußerst resistent gegen modernes Marketing.
Klar, dass da das – private – Fernsehen sich ebenfalls dieses Themas angenommen hat. Und es tat das mit demselben Gespür für Geschmack, den es schon unter Beweis stellte, als es Daniel Küblböck ins Kakerlaken-Bad tauchte. Auch Entertainment-mäßig war 2004 das Jahr des Arbeitsmarkts – mit den Shows “Hire and Fire” auf Pro 7 und “Big Boss” von RTL.
Bild hat sich um das neue Genre insoweit verdient gemacht, als dass das Fachblatt für Feingefühl vergangene Woche noch einmal die “witzigsten Sprüche” von “Big Boss” Reiner Calmund zusammengestellt hat. Platz 1: “Man muss auch Dreck fressen können.” Zivilisiertere Umgangsformen haben halt keinen Unterhaltungswert.
Für die Show-Finalistin Sandra Trögl – ein lasziv, aber dennoch Leistungsorientierung ausstrahlend im Business-Kostüm auf dem Schreibtisch sich fläzendes Blondchen – waren derartige Pöbeleien “eine lehrreiche Lebenserfahrung”, wie sie im Interview mit Spiegel-online bekannte. “Das Wichtigste ist und bleibt aber die Message: Ärmel hochkrempeln und anpacken … Wenn sich nur ein einziger Arbeitsloser denkt: Also wenn die das schaffen, schaff’ ich das auch, und mit anpackt, ist die Sendung für mich ein voller Erfolg.”
So sind sie, unsere Leistungsträger! Immer einen sozialen Verantwortungsspruch auf den Lippen. Selbst in Callis Dschungelcamp für den Manager-Nachwuchs.
Sogar mehr als bloß die Ärmel haben die angehenden Akademiker von der Bamberger Studenten-Initiative Feki.de hochgekrempelt. Für ihren Kalender “Aktstudien 04/05. Ausgezogen für eine bessere Bildung”.
Da werden doch die verschwitztesten Personalerträume wahr – angesichts von solch prächtigen potentiellen Bewerbern. Und nicht nur die von Machos.
Auch für das lüsterne Auge weiblicher Führungskräfte offeriert Feki.de etwas: den Kalender “13 Akademiker mit Muskeln”, ausgestattet jeweils “mit typischen Insignien ihrer Fächer”. (Der Waschbrettbauch mit der Sonnenblume vorm Schniedel möchte demnach wohl mal Botaniker werden.)
Das ist halt was anderes als die 68er Demos damals im schmuddeligen Parka. Die “Message” – jetzt die der Nackigen aus Bamberg: Bildungsnotstand kann auch sexy sein.
Aber auch für diejenigen aus dem Nachwuchs, die nicht so schön gewachsen sind, gibt’s was: jede Menge Bewerbungstipps. 449.000 listet Google.
Beispielsweise jene der Site Wassollwerden.de, der gemeinsamen Web-Kampagne des Clip-Broadcaster MTV und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Letztere wiederum ist eine 100 Millionen Euro schwere PR-Aktion des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.
Es wird schon werden, macht Wassollwerden.de Ausbildungsplatzsuchenden Mut, wenn “man sich an die deutschen Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung erinnert”.
Das tun auch die Personaler. Anstatt wie früher eingereichte Bewerbungsunterlagen oft einfach zu verschlampen, weisen die nämlich heute ordentlich darauf hin, dass “wir aus organisatorischen Gründen keine Bewerbungsunterlagen zurücksenden können”, wie’s immer öfter in Ausschreibungen heißt. Was soll werden, beziehungsweise was wird der Wassollwerden-Träger wohl sagen, wenn Ausbildungsplatz-suchende Youngsters auf die Idee kommen, die Sache mit den deutschen Sekundärtugenden ähnlich zu interpretieren?
Weit über 100.000 von ihnen waren zum Jahreswechsel noch ohne Lehrstelle – die meisten davon in so genannten “berufsvorbereitenden Maßnahmen” geparkt. “Der Ausbildungspakt war ein voller Erfolg”, hat der Bundeswirtschaftsminister letzte Woche dazu gesagt.
Auf sowas kommt der nicht etwa, weil er zu dumm zum Rechnen wäre. Das würde nicht ausreichen, um so daneben zu liegen. Er hat vielmehr sehr clevere Leute in seinem Ministerium, die er rechnen lassen hat. Das braucht man schon, um so eine Aussage zustande zu bringen und in den Medien zu platzieren.
Ja, und dann war da eben noch zu Jahresbeginn das Finale von “Big Boss”. Der absolute Höhepunkt der allgemeinen bundesdeutschen Qualitainment-Show.
Der ist jetzt auch gelaufen. Die Einschaltquote hat allerdings wohl nicht ausgereicht. “Big Boss” ist durchgefallen wie zuvor schon “Hire and Fire”.
Reiner Calmund sucht mal wieder nach neuen Aufgaben. Und der Holtzbrinck-Verlag übernimmt das – fürsorglich, wie er ist – für Callis Assistenz-Trainer Roland Tichy. Für dessen Verwendung soll eine hausinterne Lösung in der Handelsblatt-Gruppe gefunden werden.
Tichy ist übrigens ein echter Ausnahme-Journalist. Zuerst hat er – jeweils als Chefredakteur – das Anlegerblatt Telebörse an die Wand gefahren und dann die Auflage des Magazins Euro heruntergewirtschaftet. Jetzt hat Springer Euro übernommen. Ohne Tichy, versteht sich.
Für den sorgt weiterhin sein alter Verlag. So einen nachsichtigen Arbeitgeber braucht man schon im Rücken, wenn man für Calli den Hilfs-Terrier macht. Und selbst das war ja nicht sehr erfolgreich: “Big Boss” ist Geschichte, Mediengeschichte, zumindest ein unappetitliches Detail davon.
Ein Problem des deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkts zumindest ist somit zu Beginn des neuen Jahres gelöst – wenn auch nur ein ästhetisches.
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