Totgesagte leben länger – Herkules kommt wieder

Die Vernetzung der Bundeswehr ist – vorsichtig ausgedrückt – eines der größten IT-Abenteuer des Bundes. Weniger vorsichtige Zeitgenossen sprechen von Desaster. Im Juli 2004 haben sowohl Politiker als auch Wirtschaftsvertreter das Projekt offiziell als gescheitert erklärt. Doch jetzt zeigt sich, dass sich Herkules nicht so leicht in die Knie zwingen lässt. Anfang Februar wird beim Bundesverteidigungsministerium ein neues Angebot für das milliardenschwere Projekt eingehen. Einen entsprechenden Bericht des Handelsblatts bestätigte ein Siemens-Sprecher gegenüber silicon.de.
Eigentlich war das Industriekonsortium TIS – zu dem T-Systems, IBM und Siemens gehören – bereits vor rund zwei Jahren mit seinem Angebot gescheitert. Dem Bund war der Anteil der IBM-Dienstleistungen vergleichsweise zu teuer. Das Wettbewerber-Konsortium ISIC 21, bestehend aus IT-Dienstleister CSC, dem europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS und Mobilcom, hatte damals die Nase vorn.

Allerdings nur bis Juli vergangenen Jahres – dann scheiterten die Gespräche ebenfalls an unterschiedlichen Preisvorstellungen. Es ging um 500 Millionen Euro, die der Bund nicht draufzahlen wollte. Bereits kurz darauf munkelten deshalb Branchenexperten, dass TIS seine Chance nutzen wolle.

“Wir werden ein modifiziertes Angebot vorlegen, schließlich hat sich in den vergangenen zwei Jahren sowohl technisch als auch kostenspezifisch auf beiden Seiten etwas getan”, sagte jetzt Siemens-Sprecher Wolfram Trost. Nähere Details darüber, wo genau nachgebessert wurde, wollte er nicht nennen.

Die Entscheidung für die Abgabe eines Angebots wird als Zeichen dafür gewertet, dass es die Industrie diesmal für machbar hält, die Anforderungen des Ministeriums zu erfüllen. Dabei hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass der Name für das Projekt nicht hätte besser gewählt werden können: schließlich ist es im wahrsten Sinne des Wortes eine Herkules-Aufgabe, das chaotische EDV-System der Bundeswehr zu modernisieren.

Tausende von Computernetzen sind es, die nur ausnahmsweise miteinander kompatibel sind. 100.000 Rechnerarbeitsplätze plus 300.000 Telefonanschlüsse. Dieses elektronische Tohuwabohu zu lösen wird mindestens 6,6 Milliarden Euro kosten. Da der Staat das nicht bezahlen kann, soll die Privatwirtschaft die anfallenden Investitionskosten tragen, die der Bund dann ratenweise abstottert.

Unterschiedliche Vorstellungen bei allen Beteiligten hatten jedoch die Verhandlungen mit ISIC 21 im vergangenen Sommer scheitern lassen. Vertreter des Konsortiums beklagten wiederholt, dass während der zweijährigen Verhandlungen seitens der Bundeswehr immer neue Wünsche hinzukamen, die Risiken in die Kalkulation brachten. So habe die Armee beispielsweise “modernste und leistungsfähigste Technologie in allen zu liefernden PCs” gefordert. Das hätte auch die Standards in der Wirtschaft bei vergleichbarer Nutzung weit überstiegen.

Jetzt sollen die Chancen besser sein, heißt es. Wie das zuständige Bundesamt für Informationsmanagement und Informationstechnik der Bundeswehr berichtet, kamen seit dem Abbruch der Verhandlungen mit ISIC 21 keine Forderungen mehr hinzu. Positiv wirke sich außerdem aus, dass die Preise für Hardware, Software und IT-Services permanent sinken. Hinzu kommt, dass Bundesverteidigungsminister Peter Struck inzwischen die Schließung von 100 weiteren Bundeswehrstandorten angekündigt hat. Das reduziert die Kosten für die nötige Vernetzung.

Hoffnung gibt auch die Aussage von Insidern, wonach die Verhandlungspartner aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hätten. Vor allem das komplizierte öffentliche Vergaberecht hatte immer wieder zu Verzögerungen und Schwierigkeiten bei Verhandlungen geführt. Im Falle einer Einigung könnte der Bundestag über das gesamte Projekt noch vor Ende der Legislaturperiode abstimmen.

Trotz der verbesserten Voraussetzungen gehen Marktbeobachter jedoch davon aus, dass das Projekt für TIS nur einen geringen oder gar keinen Gewinn abwerfen könnte. Der wahre Grund für das erneute Bemühen, sei deshalb an anderer Stelle zu suchen, sagen die Ovum-Analysten Dan Bieler und Katharina Grimme in einer gemeinsamen Stellungnahme.

“Nach dem Toll-Collect-Fiasko wollen die TIS-Mitglieder – die gleichzeitig auch alle dem Toll-Collect-Konsortium angehören – möglicherweise ihr Image aufpolieren. Toll Collect wurde Anfang des Monates gestartet und funktioniert offenbar reibungslos. Das Projekt hat jedoch eine äußerst unrühmliche Geschichte und wird den Ausrüstern wohl nicht viel Geld bringen.” Dies versuchten die TIS-Mitglieder mit dem neuen Herkules-Angebot möglicherweise auszugleichen.

Über allem schwebt die latente Gefahr, dass die Bemühungen zu spät kommt. Denn das Projekt steht unter enormen Zeitdruck: Herkules bildet die Basis für die Einführung von SAP-Software bei der Armee. Das Projekt mit dem Kürzel ‘SASPF’ steckt bereits in der Erprobungsphase, der groß angelegte Rollout ist für das Jahr 2007 geplant. Ohne Herkules würden aber auch diese Pläne scheitern.

Silicon-Redaktion

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