Besonders prächtig entwickelt hat sich der Devotionalien-Handel. “Merchandising” heißt das moderne Wort dafür. Der Hauptstand ist gleich neben dem Registrierungs-Desk aufgebaut.
Das herrlichste Stück im Sortiment: ein cirka Halbmeter großer Plüsch-Pinguin. Mollig wie die Pausbackenengel einer Barock-Kirche.
“Suche neues Zuhause”, steht – augenzwinkernd gemeint – unter der sämtliche Kindchen-Schemata implementierenden Open-Source-Putte. 120 Euro soll sie kosten.
Wer die kauft, dessen Glaube muss groß sein. Ja, ja, der Euro im Beutel klingt, die Seele Redmond von der Schippe springt.
Die Familie der Heiligen der Open-Source-Gemeinde ist inzwischen so unüberschaubar geworden wie jene der katholischen Kirche nach Karol Woytila. Der Tex-Löwe, das Wappentier der alternativen Textverarbeitung, wird feilgeboten, “Fred the Dragon Fly”, Konqui, der Schutzpatron der KDE-User und -Developer, das Suse-Chamäleon, das GNU-Gnu…
Sogar Abbilder von Dämonen sind vereinzelt zu sehen. Auch jene haben ja, die ihnen zugedachten Aufgaben zu erfüllen an den Orten, an denen Gläubige sich zu versammeln pflegen.
Am Grabmahl Papst Benedikts XIV im Petersdom etwa gemahnt ein Putto mit Fledermausflügeln und Teufelsschwanz die Nachfolger Petri, doch vom Nepotismus zu lassen. Auf den Dächern gotischer Kathedralen sind sie als Wasserspeier zugegen – und auf dem Linux-Tag in Form des BSD-Teufelchens.
Jenes ist fast so putzig wie Tux, der Hauptheilige der Gemeinde. Dessen Bild haben die wahren Gläubigen stets vor Augen.
Es prangt von Kaffeetassen, Feuerzeugen und Flaschenöffnern. Auf einer Uhr ist er abgebildet, deren stetes Ticken an die Vergänglichkeit allen Seins erinnert.
Und besonders apart: der silbernere Pinguin an einer Halskette. So wie manche sich eine Kette mit einem Kreuz umhängen. Im Decollete einer schönen Programmiererin sieht auch das sicherlich sehr reizvoll aus.
Die Gläubigen bekennen sich auf dem Linux-Tag. Die Purpur-Träger von Red Hat gehen in Rot. Die Zisterzienser von Debian in asketischem Schwarz. Geheimnisvolle Botschaften verkünden ihre T-Shirts: “1 + 1 = 10”?
Das verstehe, wer will. Es sei denn, er ist Informatiker. Dann braucht er gar nicht sonderlich zu wollen. Dann versteht er’s auch so. Was er in dem Fall allerdings nicht so recht versteht: was daran komisch sein soll.
Die feilgebotene Literatur ist fromm: die “Linux-Bible” aus dem Wiley-Verlag etwa. Oder “Beginning Linux Programming” von Wrox. So fröhlich lächelnde Krawatten-Träger wie auf dem Umschlag dieses Buchs kennt man ansonsten nur aus dem ‘Wachturm’.
Die meisten derjenigen, die ihre Botschaft verbreitet wissen wollen, haben kleine Schoß-Altäre mitgebracht. IT-Diptychen. Das sind quasi Triptychen – also dreiflügelige Altarbilder – mit einem Flügel weniger.
Von den verbliebenen zwei Flügeln gibt einer das Keyboard, einer das Display ab. Vor diesen Schoß-Altären sitzen die Aussteller, tippen – häufig völlig entrückt – geheimnisvolle Zeichenfolgen ein und kümmern sich nicht um die Suchenden.
Sinnsprüche an der Wand warnen vor den Gefahren der Welt und versprechen Erlösung: “Open-BSD – a secure operating system for a hostile internet”.
Ja, die Welt, sie ist böse. Und das Böse hat einen Namen: “Kill Bill” steht auf einem T-Shirt.
Bill aber ist nicht nur böse. Er hat auch noch seine Leute geschickt. Gleich ein Dutzend davon. Wohl die besten und tapfersten. Microsoft hat zum zweiten Mal einen Stand auf dem Linux-Tag.
Das heißt, es ist weniger ein Stand als eine Wagenburg. “Hallo”, lächelt einen morgens sehr früh, gleich nach Eröffnung der Messe, einer aus Bill’s Avantgarde an.
Sonst sagt er nichts, weil es gibt nur einen auf dem Microsoft-Stand, der mit der Presse reden darf. Die andern könnten schließlich was Falsches sagen. Und der, der darf, ist gerade unterwegs.
Als er dann ankommt, stellt er sich als sehr eloquent heraus. Muss er ja, denn er gehört schließlich zu Bill’s Besten, den Leuten, die der Journaille alles erzählen können.
Trotzdem merkt man’s ihm an, dass er abseits steht. Man hört das. Und er weiß das. Sonst würde man’s ja nicht hören.
Dem Christenmenschen tun sie von Hause aus leid, diese Zöllner, Ketzer und Sünder. Und man hat ihn in solchen Fällen ja immer gleich in der Nase, diesen Geruch von verbranntem Fleisch.
Was das Schöne auf dem Linux-Tag ist: Es könnte auch Wurst sein, der Geruch vom Bratwurststand her. Etliche Bierbänke und -tische sind zur Erquickung der Labsal-Suchendenden zwischen der Schwarzwald- und der Karlsruher Stadthalle aufgestellt worden.
Und da fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Und die geheimnisvolle Botschaft auf dem T-Shirt der Schwarzgewandeten erschließt sich: “cd/pub – get beer”.
Ja, es ist eine Offenbarung. Halleluja!
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