Diktatur oder Demokratie: Open Source am Scheideweg
Die Linux-Prominenz diskutiert – nein, philosophiert – dieser Tage über die eigene Zukunft. Fast scheint es, als fürchtet man sich vor der eigenen Courage.
Das Fehlen einer übergeordneten Aufsichtsinstanz ist eins der Hauptargumente gegen Linux und Open-Source-Software. Quasi als lebenden Gegenbeweis präsentierten sich zu Anfang der Woche einige der größten Koryphäen der Community auf dem ‘OSDL (Open Source Development Labs) Enterprise Summit’ in Kalifornien. Diskutiert wurden Zukunftschancen und Risiken der Open-Source-Bewegung.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Linux-Vater Linus Torvalds, dessen ‘rechte Hand’ Andrew Morton, der Mitbegründer der Apache Foundation Brian Behlendorf und Mitch Kapor, Chairman der Mozilla Foundation und der ‘Open Source Application Foundation’. Sowohl bei der Frage nach der Notwendigkeit einer zentralen Autorität für die Open-Source-Gemeinde als auch beim Thema Software-Patente gingen die Meinungen zwischen den prominenten Teilnehmern auseinander.
So sagte Kapor, der Mangel einer zentralen Aufsicht über die einzelnen Bereiche sei “eine der größten ungelösten Herausforderungen der Zukunft”. Die erfolgreichsten Projekte würden die Arbeit der Beteiligten koordinieren, argumentierte er. So gebe es beispielsweise rund um Mozilla jede Menge verschiedene Strömungen. Bei Firefox habe man sich dagegen für eine Kerntruppe entschieden.
Dagegen sagte Torvalds, es sei eine der größten Stärken von Linux, dass alle Projekte gleichzeitig stattfinden, teilweise ohne miteinander zu kooperieren. “Es gibt konkurrierende und sehr oft symbiotische Beziehungen zwischen den einzelnen Projekten, und das hat einen positiven Effekt. Das entkoppelte System ist lebensnotwendig für den Erfolg.” Demnach habe sich Open Source in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem IT-Ökosystem entwickelt, das langfristig alles abdeckt, statt den derzeitigen Flickenteppich.
Dennoch sei es immer schwerer, den Überblick zu bewahren, so Morton. Um gegen die straff organisierte Konkurrenz von Microsoft anzukommen, setzt er jedoch nicht auf eine autoritäre Aufsichtsbehörde, sondern auf gut definierte Standards, um die Interoperabilität sicher zu stellen. Langfristig müssen die verschiedenen Linux-Distributoren nach seiner Meinung als Manager über die gesamte Open-Source-Software fungieren.
Passend dazu hat die ‘Open Source Initiative’ (OSI) jetzt angekündigt, ihre Aktivitäten über die Zertifizierung von Open-Source-Lizenzen hinaus auszuweiten. Künftig werde man auch alle Software-Projekte registrieren und einen ‘Open Standard’ definieren, der in Einklang mit Open Source steht. Gleichzeitig wurde das Management der Initiative umstrukturiert. Grund sollen Streitigkeiten zwischen den Führungskräften gewesen sein.
Ein weiteres Thema auf dem Linux-Gipfeltreffen war auch eine möglicherweise durch Softwarepatente drohende Gefahr. Mehrere Ankündigungen in diesem Bereich haben hier in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen gesorgt. So will IBM aus seinem reichhaltigen Portfolio Open-Source-Entwicklern 500 Patente frei zugänglich machen, Sun Microsystems kündigte freien Zugang zu 1600 Patenten seines Unternehmens an, und auch in der EU wird seit einigen Wochen wieder heftig über das Für und Wider von Softwarepatenten gestritten. Vor allem aber sorgt die Ankündigung des Erzrivalen Microsoft, sein Patent-Portfolio weiter auszuweiten, bei Open-Source-Anhängern für Unruhe.
Seitdem geht die Angst um, dass eine groß angelegte Patentklage gegen einen Programmierer oder Kunden das ganze Projekt zerstören könnte. Schließlich soll allein Linux laut einer Studie aus dem vergangenem Sommer gegen 283 Patente verstoßen.
Vor allem Mitch Kapor zeichnete in diesem Zusammenhang ein düsteres Bild der Zukunft. Zehntausende Softwarepatente hätten nach seiner Meinung niemals zugelassen werden dürfen und seien nun eine tickende Zeitbombe. “Es ist wie wenn man auf einem Lager voll gefährlicher Chemikalien sitzt. Wir könnten künftig den Einsatz der Massenvernichtungswaffe ‘Patente’ sehen. Das wäre der letzte Schlag von Microsoft.” Eine solche Situation sei durchaus möglich, sagte auch Andrew Morton. Er gehe aber davon aus, dass IBM der Community dann zu Hilfe eilen werde.
Torvalds selbst ließ sich auch auf Nachfrage nicht zu Spekulationen über die Zukunft verleiten. “Wenn man nicht auf den Boden schaut, der direkt vor einem liegt, sondern auf das verlockende Utopia in den Ferne, gerät man ins Stolpern und übersieht dabei technische und andere Herausforderungen, die direkt vor einem liegen.”