Da kann man zuschauen, wie erwachsene Männer auf Schlittschuhen vor einem plumpen, Bettflaschen ähnlichen Gegenstand herfahren, ganz aufgeregt sind und mit Besen das Eis polieren, welches mit Geraden und Kreisen bemalt ist.
Der Experte nennt dieses seltsam anmutende Schauspiel Curling, die Bettflasche Rock, das Eis Sheet, die Kreise House und Button. Und der aufgeregteste der Männer, der immerzu schreit, der heißt in der Fachsprache Skip.
Curling ist seit 1998 olympische Disziplin. Und deshalb sind in jener auch in Turin Wettkämpfe ausgetragen worden. Wie ebenfalls im Skeleton, im Biathlon und im Shorttrack.
Und darüber diskutieren die versammelten Fachleute Abends in der Kneipe – beim Bier und während der Großbildfernseher läuft. Lehrreich ist dies insoweit, als dass unsereins, der auf all diesen Gebieten über keinerlei Expertise verfügt, jetzt so richtig nachvollziehen kann, wie sich jemand vorkommen muss, der keine Ahnung von IT hat und mitanhört, wenn man nach Feierabend im Kollegenkreis noch ein bisschen über so alltägliche Dinge wie Virtualisierung, Server-Provisioning und Network Attached Storage plaudert.
Und weil man wegen alldem derzeit meist sehr isoliert vor seinem Bier sitzt, kommt man halt so ins Grübeln und entdeckt noch mehr Parallelen. So hat sich ja fast überall auf der Welt das metrische System durchgesetzt. Bloß einige abseitige Gebiete sind außen vor geblieben: die USA, das Curling – und die Computerei.
Eigentlich wird nur noch der Durchmesser des Rock in Inch angegeben – und die Diagonale von Monitoren sowie der Formfaktor von Festplatten, Wafern, Rackservern… ITler, die Abends ihr Bier in so wohl kalkulierbaren Einheiten wie Mass (1 Liter, wenn sie ordentlich eingeschenkt ist), Halbe (0,5 l) oder Preußenhalbe (0,4 l) zu sich nehmen, trifft man deswegen tagsüber oft mit dem typischen um rund 2,5 Zentimeter vom Daumen abgespreizten Zeigefinder an, wenn sie mal wieder versuchen, sich die Größenordnung eines Device vorzustellen.
Ein bisschen mitreden kann man ja noch, wenn’s um den Medaillenspiegel geht. Das sind diese Zahlen, die allenthalben abgedruckt werden. Die sagen eigentlich gar nichts aus. Und um sie anzuführen, muss man auch nicht wirklich was von der Materie verstehen. Aber sie geben einem doch ein Gefühl der Sicherheit – in der Kneipe.
In der IT wiederum nennt man sowas Benchmarks. Und weil auf diesem Gebiet viel mehr Verunsicherung herrscht als bei der abendlichen Debatte über unsere Jungs und Mädels in Turin, werden Benchmarks auch sehr ernst genommen.
Die Hersteller haben selbstverständlich darauf reagiert und “optimieren” – wie sie es nennen – ihr jeweiliges System vor einem Test. Das heißt, auch wenn es bei nützlichen Rechenaufgaben schwächeln sollte, einen Rekord-Benchmark drauf fahren kann man allemal.
Bei den Olympischen Spielen sind derartige Tricks verboten. Dort spricht man in solchen Fällen von Doping. Und diesbezüglich hatte Turin auch einiges zu bieten.
Die Männer am Tresen haben sich ja vor allem über die Sperre von Evi Sachenbacher-Stehle aufgeregt, wohl nicht nur, weil sie eine Medaillenhoffnung war, sondern auch weil sie blond und jung ist. Einer meinte diese Woche, besonders süß sehe sie ja aus, wenn sie sich aufregt. Und dann setzte er noch zu einer Bemerkung an, die er sich aber schließlich doch verkniff.
Das, was er sagen wollte, auszuformulieren blieb denn auch dem Focus vorbehalten. Das Fachblatt für guten Geschmack fragte seine Leser: “Welche dieser erotischen deutschen Sportlerinnen wünschen Sie sich nackt im Playboy?” Evi Sachenbacher war auch dabei. – Im Focus. Nicht im Playboy.
Obwohl: Nicht einmal zum Skandälchen hätte das ja gereicht. Schließlich kennt mittlerweile nun wirklich jeder Intimeres von ihr als ihre nackte Haut: Am 4. Februar betrug ihr Hämoglobin-Wert 15,4 Gramm pro Deziliter Blut, am 9. Februar 16,4. Normal sei bei ihr zwischen 14,0 und 15,6. Das haben auch Zeitungen vermeldet, die dezenter berichten als der Focus.
Und da regt unsereins sich drüber auf, wenn Google, die Suchmaschine – die das Private fast so hoch hält wie der Focus – mal eben unsere Festplatten scannen und den Index auf ihren Server holen will. An Evi Sachenbacher-Stehle sollten wir uns alle mal ein Beispiel nehmen. Das jedenfalls wünscht sich wohl jede Innenministerkonferenz.
Evi Sachenbacher-Stehle ist quasi die Frau Mustermann unter den Olympioniken. Wenn Otto Schily noch seinen alten Job hätte. Der hätte sie sicher auf der Stelle weg als Model für den neuen biometrischen Reispass engagiert. Wolfgang Schäuble ist da weniger quick. Der interessiert sich nur für Sportveranstaltungen, wenn seine Lieblingsmannschaft mitspielen darf. Die im olivgrünen Trikot.
Ach ja, auf was man halt so kommt, wenn man nicht mitreden kann. Zwei Tage noch! Heute Abend werden die Curler noch ein paar Ends lang das Eis fegen und morgen die Skater sich auf dem Shorttrack abmühen.
Und am Montag ist der Spuk vorbei. Dann ist ein Skeleton kein Schlitten mehr, auf dem irgendwelche Wahnsinnigen bäuchlings durch den Eiskanal rasen, sondern ein Stückchen Quellcode innerhalb von CORBA, der guten, alten Common Object Request Broker Architecture.
Dann hat unsereins wieder die Oberhoheit über das unverständliche Expertenkauderwelsch. Und sonst niemand. Dann ist die Welt wieder in Ordnung.
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