BPM kann funktionieren – auch in Deutschland

Das Optimieren von Geschäftsprozessen ist eine Managementaufgabe – aber ohne gleichberechtigte Unterstützung durch die IT ist sie nicht zu lösen.

Deutschen Unternehmen fehlt Prozessorientierung

Warum der deutsche Markt etwas hinterherhinkt, ist für Jon Pyke ein Rätsel – wo  doch deutsche Unternehmen ebenso wie britische immer auf der Suche nach Effizienzsteigerung seien. Der langjährige Vorsitzende der renommierten Vereinigung ‘Workflow Management Coalition’ kann es sich nur so erklären: “Der Fokus liegt noch zu sehr auf den technischen Möglichkeiten der Prozessmodellierung als auf der Implementierung von Lösungen.” Die Herausforderung bestehe darin, dass die Betriebswirtschaftler nun das Heft in die Hand nehmen sollten, um Kapital aus der Geschäftsprozessoptimierung zu schlagen.

Konkret fordert Pyke das oberste Management auf, ein tiefgreifendes Verständnis dafür zu entwickeln, was BPM für das eigene Unternehmen leisten kann. “Die Einführung eines solchen Projektes muss mit klaren Zielen verbunden sein, in welchen Bereichen sich wie schnell eine Verbesserung erreichen lässt – auch monetär.” Die Mitarbeiter müssten in kurzer Zeit die Vorteile zu spüren bekommen. 

Olbrich, der auch als Vorsitzender des Fachbeirats BMPcircle fungiert, sieht andere Gründe dafür, warum sich Workflow-Management in Deutschland nie richtig durchgesetzt hat: “Einerseits verhinderten etwas zu mächtige IT-Abteilungen Lösungen, die Fachbereiche gebraucht hätten. Andererseits sind deutsche Unternehmen organisatorisch funktional aufgestellt und nicht prozessbezogen.” Dadurch entstünden Probleme, weil der überwiegende Teil der Kernprozesse in Unternehmen Querschnittscharakter habe. Mit Änderungen in dieser Richtung würden sich Geschäftsführung oder Vorstand jedoch schwer tun, denn das habe mit Änderung von Machtverhältnissen zu tun.

BPM gegen Widerstand der IT eingeführt

Noch vor einem Jahr bekam Olbrich bitterböse E-Mails, als er auf einer Veranstaltung zu sagen wagte, dass seiner Meinung nach der oberste Prozessmanager der Vorstand ist. “Mit solchen Sachen beschäftigen wir uns nicht”, lautete die empörte Antwort.

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Besonders in Großunternehmen sind die Vorteile optimierter Geschäftsprozesse ein willkommenes Mittel, um sich von Mitbewerbern abzusetzen. Das führte dazu, dass in so manchem Konzern BPM gegen den Widerstand der IT-Abteilung eingeführt wurde. Olbrich weiß aus der Praxis: “Vorstände vermissen die Unterstützung der IT wenn es darum geht, über einen größeren Roll-out von Lösungen nachzudenken oder neue Impulse zu bekommen, welche Möglichkeiten eine Infrastruktur für BPM-Anwendungen bietet.”

Doch Versäumnisse sind nicht allein auf Seiten der IT zu finden. Wenn Vorstände einerseits beklagen, dass der IT strategisches Know-how in Sachen Geschäftsprozesse fehle, aber andererseits die IT zu spät in Projekte eingebunden wird und nur der Erfüllungsgehilfe sein soll, dann zeigt dies eine deutliche Diskrepanz. Fakt ist: Das Topmanagement muss sowohl die Fachbereiche mit ihrem Prozess-Know-how als auch die IT mit ihrem technischen Know-how als Partner an den Tisch holen, damit ein BPM-Projekt zum Erfolg führt. Und zwar früh genug und gleichberechtigt.

Die Geschäftsführungsebene ist gefordert, eine Strategie zu formulieren, nach welchen grundsätzlichen Kriterien Prozesse zu managen sind. Und diese Strategie muss an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Verantwortungsbereiche sind neu zu definieren im Sinne eines End-to-End-Prozesses, der von der Kundenanfrage bis zum fertigen Produkt alle Bereiche durchläuft. “Das ist eine schwere Geburt, denn das hat sehr viel mit Reorganisation, mit Wegnehmen von Verantwortung und Neustrukturieren von Zuständigkeiten zu tun”, beschreibt Olbrich das dahinter verborgene psychologische Problem. Das sei der Grund, weshalb noch viele Unternehmen davor zurückscheuen.

Trend geht weg von großen Systemen

Konzerne aus dem Automobilbereich und der Chemieindustrie machen es vor: “Sie setzen zum Beispiel selbst entwickelte Tools ein und haben ein Lösungsportfolio aufgebaut. Ein bestimmtes Prozessproblem wird von einer bestimmten Anwendung gelöst“, so die Beobachtung von Olbrich. Das heißt: Der Trend geht weg von großen Standard-BPM-Systemen. ‘One size fits all’ ist nicht mehr angesagt. Der BPM-Spezialist sieht den Markt in einer starken Bereinigungsphase. Während Anfang 2004 noch 140 größere Anbieter von sich behauptet hätten, BPM-Produkte im Portfolio zu haben, falle jetzt niemand mehr auf solche Marketingaussagen herein.

Falls jetzt bei dem einen oder anderen Leser ungute Erinnerungen an die Zeiten des Wildwuchses in den 90er Jahren auftauchen, als Client/Server-Konzepte Großrechner ablösten, hat dies durchaus Berechtigung. Die DZ Bank beispielsweise setzt möglichst Standard-Software ein, um Anwendungswildwuchs zu vermeiden. Auch Jon Pyke sieht ein gewisses Gefahrenpotenzial und empfiehlt: “Ein gutes Prozessmanagement-Tool sollte in der Lage sein, so gut wie alle Geschäftsprozesse abzudecken und dabei die größte Flexibilität zu bieten.” Auf der Standardisierungsseite gebe es diesbezüglich noch einige Probleme zu lösen.

Eine Kernaussage auf dem BPM-Forum der IIR war: Es geht nicht mehr um eine kleine Lösung oder einzelne Prozesse, sondern um flächendeckendes Prozessmanagement. Es geht nicht um ein dominierendes System, sondern um Anwendungen und vor allem um Strategie. IT-Manager werden sich Olbrich zufolge schwer tun, sich einen Überblick über diesen zerstückelten Markt kleiner Anbieter zu verschaffen und ein Lösungsportfolio aufzubauen. “Aber genau das ist meiner Meinung nach die künftige Aufgabe der IT”, so seine Überzeugung.

Im Thema Business Process Management sieht Olbrich für IT-Abteilungen eine Riesenchance, weil sich hier Business und IT treffen. In Zukunft werde der Betrieb von BPM-Infrastrukturen eine zentrale und sehr wichtige Aufgabe sein. “IT-Abteilungen sind gefordert, Lösungsangebote zur Prozessunterstützung aufzubauen und unternehmensintern zu vermarkten. Diese Lösungsangebote müssen sich sowohl auf Softwarebereiche stützen wie auch auf Methodenkompetenz.”