Gentests für IBM: Von wem stammen wir ab?

Das ‘Genographic Project’ will die Besiedlung der Erde durch den Menschen erforschen. Das Projekt stellt auch für die Computertechnik eine Herausforderung.

Das ‘Genographic Project’ will mit Hilfe von Erbgut-Analysen die Besiedlung der Erde durch den Menschen erforschen. Der Chef des Unterfangens, der Anthropologe Spencer Wells, sowie Sahaorn Rosset, Leiter der Data Analytics Groups der IBM-Forschungsabteilung, sind derzeit in Europa unterwegs, um dafür zu werben. Die IBM Corp. gehört zu den Sponsoren des fünfjährigen Forschungsprogramms und stellt neben Computern und Software auch ein Team von Wissenschaftlern bereit.

Es ist nicht viel, was an Erkenntnissen über die Abstammungsgeschichte bekannt ist, vor allem gemessen an dem, was sich herausbekommen lässt. Die Wurzeln der Menschheit liegen in Afrika. Die Europäer stammen nicht vom Neandertaler ab. Dennoch gehören Fragen an die Menschheitsgeschichte zu den grundlegendsten Bedürfnissen eines jeden. Der Grundstoff, auf dem sich das Wissen mehren soll, liefert die DNA (Desoxyribonukleinsäure), ein Molekül, das als Träger von Erbinformationen dient.

Dafür müssen DNA-Proben gesammelt werden. Im Mittelpunkt stehen Blutproben von Naturvölkern, deren Erbgutinformationen über Hunderte von Generationen relativ unverändert geblieben sind. Auf den Chromosomen finden sich Muster beziehungsweise Markierungen. Mit Hilfe dieser Einteilung lässt sich die Herkunft eines Menschen bis zu seiner frühesten Abstammung zurückverfolgen, da jüngere Erbgutinformationen solche aus anderen Zeitaltern nicht überdecken. Bei Naturvölkern, die über Jahrhunderte weder ihren Lebensraum verlassen noch ihren Lebensstil geändert haben, dürfte es kaum eine so bunte Vermischung von Stämmen und Völkern gegeben haben wie im europäischen Raum. An ihrem Erbgut lässt sich die Herkunft vermutlich besser ablesen als am Durcheinander des Durchschnitteuropäers.

Jede Privatperson kann teilnehmen

Zugleich beschäftigt sich ein Forscherteam mit den Erbinformationen alter und ältester Leichenfunde. Das Problem ist hierbei, überhaupt soviel Material zu gewinnen, dass DNA-Entschlüsselungsversuche erfolgen können. Allerdings gehören die Ergebnisse aus diesem Forschungsgebiet zu den wertvollsten, um Abstammungsfragen klären zu können.

Doch ist es Wells durchaus recht, wenn sich auch hierzulande viele Privatpersonen an dem Projekt beteiligen. Jeder, der will, kann seine Herkunft bestimmen lassen. Für 99,90 Dollar plus Steuern und Versandkosten bekommen Interessenten beim Projektträger National Geographic ein DNA-Testpaket. Es besteht aus einem Kratzer, mit dem sich Speichelproben nehmen lassen, eine Multimedia DVD mit Ausführungen zum Projekt von Wells und seinen Kollegen, geschrieben und auf Video gebannte Anweisungen, einen mit der Rückadresse versehenden Briefumschlag, eine spezielle Landkarte, eine Informationsbroschüre zum Projekt sowie die Direktiven des Projekts, die angeben, wie mit dem Genmaterial umgegangen werden darf und soll. Denn alle Teilnehmer müssen ihre Einverständniserklärung zur Auswertung ihrer persönlichen Daten abgeben. Die Speicherung der Informationen erfolgt anonym. Außerdem werden laut Wells keine medizinisch relevanten Abschnitte der DNA untersucht.

Relevant ist vor allem ein Abschnitt aus dem Y-Chromosom. Dieses bestimmt in einem Chromosomenpaar das männliche Geschlecht. Ergänzt wird es durch ein X-Chromosom. Frauen haben nur X-Chromosome. Ein wesentlicher Anteil des Y-Chromosoms wird unverändert an Nachkommen weitergegeben. Für die Forscher ist es daher zunächst leichter, die männliche Linie zu verfolgen.

So genannte Mitochondrial-Genome gelten als der weibliche Counterpart. Interessant sind hier die Abschnitte, die für die Selbsterneuerung verantwortlich sind. Typischerweise sind sie in Hunderten von Kopien in jeder Zelle präsent und sorgen für den Großteil der Energie, die eine Zelle verbraucht. Sie werden nur von der Mutter weitergegeben. In der so genannten “hypervariablen Region” ist die Mutationsrate bis zu 100 Mal höher als im Kerngenom. Weil es zudem wesentlich kürzer ist, lassen sich die Information schneller scannen und die Mutationen leichter nachvollziehen.
 
Neuland für Anthropologie und Computertechnik

Laut IBM-Forscher Rosset kommen bei der Untersuchung nur einer Probe rund 700 Einzelinformationen zusammen. Sie sollen in einer Datenbank landen, die zur Grundlage aller Auswertungen wird. Die technische Herausforderung hierbei liegt vor allem darin, dass es weder Methoden noch Werkzeuge für die Auswertung gibt. Mit dem Projekt betreten die Anthropologen Neuland. “Für die Anthropologie hat das Projekt ungefähr dieselbe Bedeutung wie die erste Mondlandung für die Raumfahrt”, sagt Wells.

Deshalb reiche es laut Rosset nicht, Computerinfrastruktur bereit zu stellen. Derzeit arbeiten bis zu zehn IBM-Spezialisten, die sich mit der Entwicklung von Algorithmen, statistischen Verfahren und Bio-Computern, Information Mining und Supercomputern auskennen, an der Bereitstellung von Know-how und Technik. Außerdem stellt IBM die Notebooks mit Fingerabdruck-Security für die Feldforschung, die Collboration-Werkzeuge, das Datenbank-Managementsystem und Blade-Server bereit.