Outsourcing in Europa: Lokale Anbieter auf dem Vormarsch

2004 geht als das Jahr in die Geschichte der IT-Services ein, in dem der europäische Outsourcing-Markt den amerikanischen überholte: Es wurden in Europa nach Anzahl und Vertragswert mehr Deals abgeschlossen als in Amerika, was den europäischen Markt somit zum weltweit größten Regionalmarkt für Outsourcing macht. Dies ist nicht nur für internationale Marktteilnehmer von Bedeutung, sondern insbesondere auch für Europa-basierte Anbieter- und Anwenderunternehmen: Es eröffnet die besten Möglichkeiten, effektive Sourcing-Strategien zu entwickeln, die auf die speziellen Markt- und Kundenbedürfnisse europäischer Unternehmen zugeschnitten sind.

In der Outsourcing-Branche wird gemeinhin angenommen, dass mit der Verbreitung des Outsourcing in Europa das Schicksal der lokalen Anbieter besiegelt werde: Sie können im Wettbewerb mit den großen US-Firmen wie IBM oder EDS nicht mithalten, da sie nicht die notwendige Größe und Struktur besitzen, um die finanziellen Mittel aufzubringen, die solch umfassende, multinationale Verträge erfordern.

Bei Betrachtung der Top 20 Outsourcing-Anbieter in Europa (nach Umsatzgröße) fallen IBM und EDS als Marktführer sofort ins Auge. Aber immer noch sind 13 der Top 20 Anbieter europäische Firmen, und zwei davon (Atos Origin und T-Systems) sogar unter den Top 5. Firmen wie Atos Origin, Capgemini und TietoEnator haben bewiesen, dass paneuropäische Aktivitäten erfolgreich aus einer starken nationalen Marktposition gekoppelt mit einer gezielten internationalen Akquisitionsstrategie aufgebaut werden können.

In Anbetracht des Marktpotenzials in Europa und der offensichtlichen Stärke einiger europäischen Player können wir somit annehmen, dass die größeren europäischen Outsourcer längerfristig eine reelle Chance haben, effektiv konkurrenzfähig zu sein und womöglich sogar die Vorherrschaft der amerikanischen Schwergewichte herauszufordern.

Europäische Outsourcer gewinnen Marktanteile

Die US Anbieter haben den großen Vorteil, dass sie in einem großen, homogenen Markt zu ihrer jetzigen Größe heranwachsen konnten. Europa dagegen bleibt, trotz der EU, pluralistisch und heterogen. Trotzdem ist es den europäischen Anbietern in letzter Zeit immer öfter gelungen, grenzüberschreitende Erfolge zu verbuchen.

Beispiele hierfür sind:


  • Dezember 2003 – Capgemini gewinnt den mit 3 Milliarden Pfund dotierten Aspire-Vertrag beim britischen Finanzamt gegen die Vorgänger EDS und Accenture.
  • Oktober 2004 – SBS gewinnt einen Outsourcing-Deal für 2,7 Milliarden über 10 Jahre mit dem englischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender BBC.
  • Oktober 2004 – Atos Origin übernimmt den IT-Infrastrukturbetrieb für KarstadtQuelle, zusammen mit einem Großteil der kaptiven IT-Tochter Itellium.
  • Oktober 2004 – LogicaCMG schließt einen IT Outsourcing-Vertrag mit Electricidade de Portugal (EDP) und übernimmt Edinfor.

Diese Beispiele zeigen, dass europäische Outsourcer vermehrt Verträge auch in anderen als ihren Heimatländern abschließen können. Allerdings darf man aber auch nicht vergessen, dass die US-Anbieter weiterhin große europäische Deals gewinnen, zum Beispiel EDS beim britischen Verteidigungsministerium für das DII-Projekt (Defense Information Infrastructure), CSC bei Zürich Financial Services in der Schweiz, HP bei der Bank of Ireland, sowie IBM mit der Deutschen Bank in Deutschland und bei Michelin in der Schweiz.

Es ist noch nicht abzusehen, wie das Gesamtjahr 2005 ausfallen wird, aber im Vorjahr haben die US Firmen (gegenüber 2003) Marktanteile an die lokalen Anbieter in Europa abtreten müssen. In der Tat lässt sich eine grundlegende Restrukturierung beobachten, die die Bedürfnisse europäischer Kunden in den Vordergrund stellt.

Charakteristiken dieser Restrukturierung sind:


  • Selektives Outsourcing, wobei Anbieter eine große Anzahl kleinerer Outsourcing-Verträge jeweils kundenspezifisch verhandeln müssen.
  • Fokussierung auf die Erbringung von geschäftlichem Mehrwert für den Kunden durch einen Transformationsansatz.
  • Grenzüberschreitende Outsourcing-Projekte.
  • Nutzung von Lohnkostenunterschieden (“labour arbitrage”) zur Leistungserbringung

Die Besonderheiten der europäischen Anbieter

Durch den engen Austausch mit Anbieter- sowie Anwenderunternehmen haben sich bei Ovum die folgenden Erfolgsfaktoren der lokalen Anbieter in Europa herauskristallisiert:


  • · Paneuropäische Reichweite mit lokaler Anpassung – europäische Outsourcer bieten an lokale Besonderheiten und Charakteristiken angepasste Lösungen und Services, womit sich die europäischen Vertriebseinheiten amerikanischer Anbieter oft schwer tun. Besonders wichtig ist dieser Aspekt, wenn es sich um in der Öffentlichkeit stehende Deals (zum Beispiel im öffentlichen Sektor) oder um erfolgreiches Bieten für EU-finanzierte Projekte handelt.
  • Multi-Sourcing und Partnerschaftsbereitschaft – europäische Unternehmen haben eine Vorliebe für die Auswahl von Best-of-Breed-Anbietern und Multi-Sourcing-Verträge. Damit sind solche Unternehmen, die sich als ‘One-Stop Shop’ und Komplettanbieter in Single-Sourcing-Deals aufstellen, benachteiligt. Weiterhin sind Partnerschaften zur Erstellung von Service-Wertschöpfungsketten essenziell wenn es darum geht, den Mittelstand oder KMU-Sektor zu adressieren, der aber den größten Teil des europäischen Geschäftspotenzials ausmacht.
  • Nachfrage nach selektivem Outsourcing – diese europäische Besonderheit überfordert oft die Wachstumserwartungen der US-Anbieter, die typischerweise auf große Deals ausgerichtet sind. Europäische Anbieter haben entsprechende Geschäftsmodelle, um auch kleinere Deals unterstützen zu können.
  • Kurze Berichtswege zu Entscheidungsträgern – Kunden in Europa wollen die Gewissheit haben, dass sie nahe an den Entscheidungsträgern ihrer IT-Dienstleister stehen. Das Warten lokaler Verhandlungspartner auf Instruktionen aus dem US-Headquarter, schon im Bieterverfahren, lässt Kunden an ihrer Nähe zur Entscheidungsebene des Dienstleisters zweifeln. Dieses Problem wird zwar von den US-Anbietern schon adressiert, aber bestimmte Entscheidungen können immer noch nur außerhalb von Europa gefällt werden.
  • ‘Agile’ und ‘Adaptive’ beim Eingehen auf Kundenbedürfnisse – der europäische Markt zeigt tatsächlich Interesse an Outsourcing-Angeboten, die unter Labels wie ‘On-Demand’, ‘Agile’ und ‘Adaptive’ angeboten werden. Allerdings haben US-entwickelte, oft standardisierte Marketingansätze offensichtlich weniger Erfolg als die individueller ausgestalteten Portfolios europäischer Anbieter, die lokale Marktheterogenität in ihre Angebote einfließen lassen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der europäischen Outsourcing-Markt (und sein Potenzial) im Spotlight der strategischen Geschäftsentwicklungsabteilungen vieler Unternehmen steht. Der Markt ist und bleibt sehr fragmentiert. Verschiedene Regionen und Länder befinden sich in unterschiedlichen Reifegraden und entwickeln sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Wir erwarten, dass Frankreich und Zentraleuropa in den nächsten zwei bis drei Jahren die stärksten Wachstumsraten aufzeigen werden.

Lokale Anbieter müssen sich der Herausforderung stellen. US-Anbieter müssen sich den lokalen Gegebenheiten anpassen.

Anwenderunternehmen sollten sich nicht von globalen Marketingversprechen blenden lassen, sondern sich den passenden Anbieter für ihre ganz speziellen Bedürfnisse auswählen.

Silicon-Redaktion

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