Galileo ist das erste EU-eigene Satellitensystem. Genauer gesagt, ist es eine Konstellation aus insgesamt 30 Satelliten, die in einer so genannten mittleren Erdumlaufbahn (das sind etwa 1000 bis 36.000 Kilometer Höhe in einer elliptischen Kreisbahn) unseren Planeten umkreisen und phänomenales Wirtschaftswachstum bringen sollen. Die Wege dorthin sind unterschiedlich, aber sie alle führen irgendwie nach Bayern. Bei EADS Space in Ottobrunn bei München, der Satellitenabteilung von EADS, wird bereits ein europäisches Team und ein Leitungszentrum für den Aufbau des Systems zusammengestellt und es heißt von hier: “Wir üben schon mal.”
Was die Forscher dort üben, kann in der konkreten Anwendung sehr vielfältig sein: In der idealen Welt der Satellitennavigatoren lenken sich Autos wie von selbst, sogar in den tiefen Häuserschluchten New Yorks gibt es keine Probleme mit der Ortung und Location Based Services, Bauern können gezielt Distelnester bekämpfen, ohne im Gießkannenprinzip die gesamten Felder gegen Disteln besprühen zu müssen, die vielbefahrenen Straßen und die Führung von Zügen, Flugzeugen, Schiffen und LKWs werden sicherer und die Auslastung kann noch weiter optimiert werden, lokalisierte Dienstleistungen und Angebote für den Geschäftsbereich werden leichter vermarktet und Kurierdienste finden die Lieferadressen schneller, Touristen erhalten genaue Wegbeschreibungen und zusätzliche Informationen in ihrer eigenen Sprache, der Umweltschutz kommt selbst an unzugänglichste Orte, an denen der Mensch regelnd eingreifen muss, und nicht zuletzt finden Personenrettung und Polizei gestohlenes Gut und Vermisste leichter, auch wenn diese keinen RFID-Chip haben.
Technisch sind diese vor allem auf genaue Ortung ausgerichteten Dienste möglich, weil Galileo die Fähigkeit mitbringt, garantierte Leistungen mit einer Präzision von bis zu 7 Metern zu bringen. Und zusammen mit ihrem älteren Bruder, den Satelliten des amerikanischen Global Positioning System (GPS), kommen gar Werte von weniger als 5 Metern Genauigkeit zustande.
Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft
Zwar sprechen die üblichen Time-to-Market-Fristen dafür, dass Lösungen, die eine solche Genauigkeit brauchen, erst anderthalb Jahre nach dem kompletten Aufbau und der Freischaltung der Systeme kommen werden, und selbst die Ausschreibung hierfür lässt nach dem Willen der EU noch etwa drei Monate auf sich warten. Aber die ersten Massenanwendungen zeichnen sich bereits ab. Das ist die Ansicht von Helmut Bloemenhofer, Manager beim EADS-Partner Thales. Er sieht Chancen für die TK-Branche, weil die meisten US-Handyhersteller bereits jetzt eine Technikkompatibilität mit Galileo-Signalen in die Handys einbauen wollen, die dann nur noch freigeschaltet werden muss. Bloemenhofer: “Damit wird der Massenmarkt kommen.”
Vor 2008 werden diese facettenreichen Dienste zwar nicht verfügbar sein. Aber es gibt bereits sehr reale Umsetzungen. “Junge Unternehmen bieten Services an, die einmal in Galileo umgesetzt werden sollen”, sagt Christian Stammel, Business Development Manager im Anwendungszentrum Oberpfaffenhofen/Bayern. Hier haben sich 350 Unternehmen zusammengefunden, die Anwendungen für Satellitennavigation entwickeln und vermarkten wollen. In räumlicher Nähe zum Luft- und Raumfahrtzentrum Oberpfaffenhofen tüfteln sich an tragfähigen neuen Lösungen für die zivile Nutzung der Satellitentechnik in den Bereichen Navigation, satelliten- und Mobilkommunikation und Geoinformation. Die meisten von ihnen, wie ein Projekt der Technischen Universität München, haben ihre Lösungen zunächst auf GPS getrimmt – als Probelauf und um Kunden anzulocken. Aber der Einsatz für Galileo ist die unausgesprochene Basis der Arbeit.
Wettbewerb um die Technologieführerschaft
“Ein Treiber für diese Ziele ist vor allem die alljährliche Ausschreibung der ‘Galileo Masters’, einem Wettbewerb der Geschäftsmodelle und Technikideen, in dem sich neue Unternehmen profilieren und erste Schritte in die Selbständigkeit und Vermarktung machen können”, sagt Stammel. Seiner Erfahrung nach haben die Sieger des Wettbewerbs der Ideen rund um Galileo-Anwendungen, der auch dieses Jahr wieder im Mai beginnt, am Markt schnell ein hohes Standing. Sie gelten als First Mover in einem Bereich, der erst im Entstehen ist und großes Wachstum verspricht.
Die gute Stellung verdanken die jungen Firmen aber auch der Tatsache, dass seit Bestehen des Anwendungszentrums 1996 bis heute über 40 Unternehmensgründungen aus dem Inkubator entstanden sind. 350 neu geschaffene Arbeitsplätze seien dadurch in den Wachstumsmärkten Navigation und Ortung entstanden. “Wir wollen Unternehmen die Chance geben, mit Ideen rund um die Satellitendienste am Aufbau der technischen Überlegenheit mitzuwirken, die Galileo für Europa bringen soll”, so Stammel.
Diese technische Überlegenheit liegt laut Hendrik Thielemann, Sprecher der EADS Space Deutschland darin, dass die Galileo-Technik wesentlich schneller und genauer ist als die US-geführte GPS-Technik zu diesem Zeitpunkt. “Bei GPS gibt es aus den militärischen Erwägungen heraus beispielsweise keine Integritätsgarantie, der militärische Gedanke hat also hier Vorrang vor dem möglichen geldwerten Vorteil, der mit der Vermarktung und Haftbarmachung einher gehen könnte”, sagt er. Integritätsgarantie bezeichnet schließlich eine Verfügbarkeitsgarantie mit Alarmfunktion und einer konkreten Haftbarkeit im Falle, dass die Service Level nicht eingehalten werden.
Mautsystem braucht Präzision
“Das ist beispielsweise in der Navigation bei einigen Anwendungen unverzichtbar, man denke an Lösungen für die Abstandhalter von Zügen oder die LKW-Führung – da entscheidet jeder Meter”, so Thielemann. Die Navigation im Personen- und Frachtverkehr sowie bei der Luftfahrt sei schließlich eine der Anwendungen, die am meisten Verbreitung haben werden. Nicht einmal im neuen GPS-System – vergleichbar mit einer neuen Software-Version -, das im nächsten Jahr kommen soll und bessere Ergebnisse verspricht, sei bisher eine Integritätsgarantie geplant. Im LKW-Verkehr sei aber beispielsweise eine Abrechnung ohne klare Beweisführung, welches Fahrzeug wann wo passiert ist, nicht zu machen. Das, so der Sprecher, würde den Gedanken einer LKW-Maut mit solchen Systemen ad absurdum führen. Thielemann: “Diese Business-Effizienz kommt nach heutigem Stand erst mit Galileo.”
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