Doppik: Das Mammut-IT-Projekt deutscher Kommunen
Deutsche Behörden stehen vor einem der größten IT-Projekte ihrer Geschichte: die Umstellung auf einen kaufmännischen Buchungsstil.
Was bleibt, wenn das Tafelsilber versilbert ist?
“Wichtiger als die Transparenz scheint mir jedoch der Begriff ‘intergenerative Gerechtigkeit'”, ergänzt Mummert-Experte Häfner. “Wir verbrauchen derzeit mehr als wir erwirtschaften, und wir übergeben den nachfolgenden Generationen mehr Schulden, aber auch weniger Vermögen.” So werde zum Beispiel das Gesamtvermögen geschmälert, wenn der Bund seine Telekom-Anteile verkauft. Im alten, kameralen System ergebe sich so eine “buchhalterische Geldvermehrung”, da lediglich der Geldzufluss, nicht aber der Verlust der Vermögenswerte in der Bilanz auftaucht. Die öffentliche Verwaltung habe damit die Möglichkeit, den Haushalt aufzupolieren.
Bundesweit haben die Kommunen im Jahr 2004 ein Finanzierungsdefizit von rund 9 Milliarden Euro ausgewiesen. Hätten alle Gemeinden den doppischen Buchungsstil verwendet, wäre der Verlust auf dem Papier sicherlich noch höher ausgefallen. “Das liegt aber nicht an der Doppik, sondern daran, dass dieses Buchungssystem den Ist-Zustand realistischer abbildet. Wir sehen es dann so, wie es tatsächlich ist”, so Häfner weiter. Möglich wird das durch die doppelte Erfolgsmitteilung, einmal durch einen Vermögensvergleich und zusätzlich durch eine Gewinn- und Verlustrechung.
Beispielsweise kenne die Kameralistik keine Pensionsrückstellungen. Kostet ein Beamter nach kameraler Buchung 50.000 Euro im Jahr, so würde er mit dem doppischen Buchungsstil noch einmal 10.000 Euro mehr kosten, da dieser Betrag für die kommenden Pensionsverpflichtungen zurückgestellt und mitbilanziert werden müsste, erklärt Häfner.
Die passende ERP-Software
Auch wenn eine Gemeinde sozusagen betriebswirtschaftlich abrechnet, kann doch nicht jede beliebige ERP-Software eingesetzt werden. “Bei den Software-Produkten gibt es einen großen Unterschied”, erklärt Häfner. So kenne betriebliche Software beispielsweise keine Planungsseite: “Schließlich muss über Budgets der Gesetzgeber entscheiden.”
Für einen Softwarehersteller sei es daher gerade im öffentlichen Sektor sehr schwierig, Dienste oder Schnittstellen für bürgernahe Anwendungen vorzufertigen, erklärt Torsten Koß, Leiter des Geschäftsbereichs öffentliche Auftraggeber bei SAP. Das liege an den heterogenen IT-Landschaften in den einzelnen Gemeinden. “Aber auch an der Fülle der Kernkompetenzen. In einem Unternehmen haben sie vielleicht fünf Kernprozesse, in der öffentlichen Verwaltung können es über hundert sein.”
Eigentlich müsste für jeden dieser Prozesse ein Standard etabliert werden. Wie zum Beispiel das XML-basierte ‘XMeld’ für Melderegisterauskünfte. Doch da gibt es noch Lücken. SAP bietet mit der ‘Referenzlösung integrierte Doppik der SAP’, die auf MySAP ERP basiert, ein spezialisiertes Produkt an. SAP-Lösungen finden sich meist in großen Kommunen über 100.000 Einwohner. “Wir haben uns die Funktionalitäten, die für die Doppik benötigt werden, angeschaut und dann die nach unserer Meinung besten Prozesse definiert.”
Der Stein kommt ins Rollen
Mit gutem Beispiel gehen die nordrhein-westfälischen Städte Brühl, Dortmund, Düsseldorf, Moers und Münster, sowie der Kreis Gütersloh und die Gemeinde Hiddenhausen seit 2000 voran. Sie gelten als Modellkommunen, die über das Web ihre Erfahrungen bei der Umstrukturierung mit anderen Gemeindeverwaltungen austauschen. Hier finden sich neben einer Hotline auch FAQs (Frequently Asked Questions) und ein Umsetzungstagebuch, wo Erfahrungsberichte und strukturierte Rahmendaten zu den einzelnen Gemeinden aufgeführt sind.
In Bayern haben sich im letzten Jahr fünf Kommunen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, um den Umstieg auf das betriebswirtschaftliche System zu organisieren. Brunnthal, Cadolzburg, Dorfen, Eichstätt und Stegaurach setzen dabei die Lösung OK.FIS von der ‘Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern’ (AKDB) ein. Die bayerische Stadt Königsbrunn hat den Umstieg im Alleingang geschafft. Seit Jahresbeginn 2005 ist die Stadt nach einer zweijährigen Umstiegsphase vollständig unter dem neuen Rechnungssystem produktiv. “Trotz knapper Kassen sollen die Leistungen für die Bürger nicht gekürzt werden”, kommentiert Harald Goos, Kämmerer der Stadt Königsbrunn den Schritt der Stadtverwaltung. “Dafür müssen wir die Ressourcen aufdecken, die bisher noch gar nicht oder nicht in der richtigen Art genutzt wurden.”
“Nicht alle Gemeinden sind mit der Entscheidung der Innenminister glücklich”, erklärt Martin Barnreiter, Berater für den öffentlichen Sektor bei Piere Audoin Consultants. Denn die seien dadurch gezwungen, “wirklich Buchführung zu machen”. Das wichtigste Gegenargument dürfte auch hier die Kostenfrage sein. “Im Endeffekt hilft zwar das System, Geld zu sparen oder Verschwendungen aufzudecken, die positiven Effekte sind aber eher langfristig zu sehen”, so Barnreiter weiter.
Unbestreitbar kommt durch die Umorganisation auf die notorisch klammen Kommunen eine große finanzielle Belastung zu, und davor schrecken viele Volksvertreter erst einmal zurück. Nachdem das Land Hessen aber den Umstieg per Gesetzt angeordnet hat, regt sich dort auch schon der erste Widerstand: Einige Kommunen wollen – trotz geringer Erfolgsaussichten – die für die Umstellung anfallenden Kosten nach dem Konnexitätsprinzip teilweise auf das Land abwälzen. Das bedeutet, dass der Verursacher von Kosten für diese auch aufzukommen hat.
NRW hat die Nase vorn
Die gesetzlichen Vorgaben werden jeweils von den Ländern geschaffen. Auf Bundesebene besteht lediglich ein Grundsatzbeschluss der ständigen Innenministerkonferenz aus dem Jahre 2003. Vorreiter Nordrhein-Westfahlen will schon 2007 die neue Verwaltung eingeführt sehen. Stichtag für die Gemeinden ist der Jahresbeginn 2009, wie das der NRW-Landtag im November beschlossen hatte. Auch in Hessen gilt dieser Stichtag. Andere Länder planen eine flächendeckende Einführung ab etwa 2010, aber nicht überall ist die Umorganisation schon beschlossene Sache.
“Ich denke, dass die endgültige Entscheidung der übrigen Länder 2005 getroffen werden müsste”, schätzt Barnreiter. Andere rechnen bis 2012 auf kommunaler Ebene mit einer flächendeckenden Einführung der Doppik. “Kommunen sind die treibende Kraft”, erklärt Torsten Koß von SAP. Auf Bundesebene tue sich noch am wenigsten.
So befinden sich in manchen Bundesländern doppische Projekte teilweise im rechtlichen Vakuum. “Wir haben weder terminliche noch inhaltliche Vorgaben von Landesseite”, erklärt Martin Moser von der Stadt München. Daher bergen Umstellungen zum Beispiel in Bayern gewisse Rechtsunsicherheiten. Aber: “Da entsprechende Gesetze in anderen Bundesländern bereits erlassen worden sind, bewegen wir uns mit dieser Aktion sozusagen im Mainstream.” Die Münchner buchen jetzt doppisch aber rechnen anschließend kameral ab. Ein Software-Modul erledigt automatisch die Modulation der Daten. So könne die Stadtverwaltung einerseits von den genaueren Daten profitieren, bleibe aber trotzdem im Rahmen des Gesetzes.