Es kommt nicht von ungefähr, dass Siemens gelegentlich halb scherzhaft als Bank bezeichnet wird: Das Unternehmen verfügt über erhebliche Geldmittel und mit Siemens Financial Services (SFS) über einen hochprofessionellen, breit aufgestellten Finanzbereich. Mit der elektronischen Inhouse-Bank-Lösung ‘finavigate’ stellt Siemens sein Know-how auch externen Kunden zur Verfügung.
Wenn man einerseits die Geldwerte betrachtet, die SFS für den Mutterkonzern bewegt und betreut, und andererseits das Aufgabenspektrum, mit dem man sich dort beschäftigt, so liegt der Vergleich mit einer Bank nahe. Im Bereich Project & Export Finance werden zurzeit 450 Projekte weltweit mit einem Volumen von 42,7 Milliarden Euro bearbeitet, Investment Management verwaltet ein Fondsvermögen von 16,6 Milliarden Euro, und der Bereich Treasury & Financing Services sorgt dafür, dass die weltweite Konzernliquidität von mehreren Milliarden Euro jederzeit optimal verfügbar und angelegt ist. Um dies sicherzustellen, werden täglich bis zu 3 Milliarden Euro bewegt.
“Die Rolle des Treasury wandelt sich jedoch immer mehr in Richtung einer Risk-Management-Aufgabe”, erläutert Willibald Schmeiser, Leiter Cash Management Solutions bei SFS, den Kernbereich des Finanzgeschäfts. Was früher einmal schlicht Teil des Rechnungswesens war, das sind heute umfangreiche Steuerungs- und Planungsaufgaben: “Wir agieren als Inhouse-Bank des Siemens-Konzerns und Kompetenzzentrum in allen Fragen des Risikomanagements, der Konzernfinanzierung und des Zahlungsverkehrs”, definiert das Unternehmen selbst den Aufgabenbereich von Treasury & Financing Services.
Die Arbeitsgebiete von Siemens Financial Services
Der Siemens-Konzern ist im operativen Geschäft in 13 Bereiche unterteilt, die für die Herstellung und Vermarktung seiner Produkte sowie für Service und Beratung zuständig sind. Jeder Bereich besteht wiederum aus mehreren eigenständigen Gesellschaften. Daneben gibt es das Finanz- und Immobiliengeschäft, das in die Siemens Financial Services GmbH und in Siemens Real Estate (SRE) aufgeteilt ist.
SFS mit seinen rund 1600 Mitarbeitern in etwa 30 Ländern ist seit 1997 ein eigener Bereich, in dem sämtliche Finanz-Aktivitäten – außer dem Immobiliengeschäft – zusammengefasst wurden, und setzt sich aus den folgenden sechs Geschäftsgebieten mit den entsprechenden Aktivitäten zusammen:
– Equipment & Sales Financing (ESF) – Leasing, Finanzierungslösungen und Forderungsmanagement
– Equity (EQ) – Eigenkapitalbeteiligungen an Infrastrukturprojekten hauptsächlich in den Branchen Energieerzeugung und -verteilung und Telekommunikation
– Insurance (INS) – Consulting und Vermittlung von Versicherungslösungen für den Siemens-Konzern, seine Mitarbeiter und andere Unternehmen
– Investments Management (IM) – Dienstleistungen zur betrieblichen Altersversorgung und zur institutionellen Vermögensverwaltung
– Project & Export Finance (PEF) – Projekt- und Exportfinanzierungen für den Siemens-Konzern
– Treasury & Financing Services (TFS) – Inhouse-Bank für Siemens (weltweite Konzernfinanzierung, Liquiditäts-, Zins- und Währungsmanagement), Beratungs- und Systemleistungen für externe Unternehmen
Treasury – Drehscheibe zwischen Konzern und Kapitalmarkt
Die Schaltstelle bildet das Geschäftsgebiet Treasury & Financing Services – hier laufen alle Werteflüsse des Konzerns zusammen. Im Auftrag von Corporate Finance, der zentralen Finanzabteilung von Siemens, tritt TFS als konzerninterner Dienstleister auf, der wie eine interne Bank funktioniert und dieselben Services wie eine Bank für die Tochtergesellschaften bietet. Nach außen ist man “international rund um die Uhr, 24 Stunden pro Tag, an den Finanzmärkten präsent”, um alle finanzwirtschaftlichen Risiken vollständig im Treasury zu zentralisieren und zu steuern. Das Treasury bildet die Schnittstelle zwischen Konzerneinheiten und dem Kapitalmarkt. Traditionell versteht man darunter: Cash Management, Währungs-, Zins- und Liquiditätsmanagement.
Zentrales Cash Management ist die Konzentration der Liquiditätsreserven einer Unternehmensgruppe. Das bedeutet, dass die einzelnen Gesellschaften nur noch in Ausnahmefällen Kreditlinien bei Banken haben. Kontoführung und auch Finanzierung wird zentral geregelt; der interne und externe Zahlungsverkehr erfolgt über eine Payment Factory, eine interne EDV-Plattform, die alles abwickelt. Die Zentralisierung führt zu größerer Transparenz und letztendlich auch zu besseren Konditionen bei den Kreditinstituten. Kosten und Risiken werden minimiert, indem zunächst alle Geschäfte von Tochtergesellschaften untereinander herauskonsolidiert werden. Das beginnt beim Netting, der Konzernverrechnung, will heißen, dass Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zwischen den einzelnen Gesellschaften automatisch über die Verrechnungskonten bei der Inhouse-Bank ausgeglichen werden.
finavigate sorgt für den weltweiten Überblick
Mit ‘finavigate’ hat Siemens Financial Services eine Inhouse-Banking-Lösung entwickelt, die die zentrale Schnittstelle eines Konzerns zu der Bankenwelt darstellt, aber besonders auf die Bedürfnisse eines Industrieunternehmens zugeschnitten ist.
Wesentlicher Bestandteil ist auch das Intercompany Clearing zwischen Tochtergesellschaften.
Man geht dabei weit über das klassische Netting hinaus: “Netting löst ein Problem, das wir in unserer Lösung gar nicht erst entstehen lassen”, erklärt Willibald Schmeiser. Das Intercompany Clearing sei eine wesentliche Fortentwicklung des Netting. Damit ist insbesondere der Informationsgleichstand gemeint, der durch die Vollautomatisierung der Vorgänge entsteht: Die Tochtergesellschaften führen mit der Inhouse-Bank interne Konten in allen Transaktionswährungen. Es können auch keine Konsolidierungsdifferenzen zwischen den einzelnen Konzerntöchtern entstehen, da im System ein “zeitgleicher und identischer Informations- und Wertefluss für Aussteller und Empfänger von Rechnungen” abläuft. Schmeiser: “Alles wird real-time abgebildet.”
Bei Siemens hat man aufgrund der jahrzehntelangen internationalen Aufstellung reichlich Erfahrung im Umgang mit den unterschiedlichsten Finanz- und Steuersystemen auf der ganzen Welt. Mit über 75 Milliarden Euro Jahresumsatz und mehr als 400.000 Angestellten ist der Konzern in 160 Ländern tätig. Bei TFS läuft das Cash Management von weltweit mehr als 6000 Bankkonten zusammen. In der Payment Factory werden jährlich etwa zehn Millionen externe Zahlungen in bis zu 40 Währungen vorgenommen, die ein Gesamtvolumen von rund 120 Milliarden Euro haben. Dazu kommen noch zirka 8,5 Millionen Intercompany-Rechnungen im Jahr. Manager Schmeiser erläutert: “Wir stellen uns weltweit intern wie eine Bank auf. Dadurch haben wir auch die Möglichkeit, Auslandszahlungen in effiziente Inlandszahlungen umzuwandeln.”
Damit solche Volumina schnell und reibungslos bewältigt werden, betreibt SFS seit über zehn Jahren ein vollautomatisiertes Cash Management. Schmeiser ist ein Verfechter davon: “Wir versuchen alle Prozesse, die Geld bewegen, voll zu automatisieren. Wir stellen die Spielregeln auf und setzen die entsprechenden Schwerpunkte.” Und: “Kein Prozess ist mehr für eine Vollautomatisierung geeignet als der des Zahlungsverkehrs. Siemens Financial Services ist deshalb einer der großen Treiber, einer der Pioniere, um den weltweiten Zahlungsverkehr des Siemens-Konzerns so effizient und sicher wie möglich durchzuführen. Dieses Know-how und die erforderliche Systemlösung stellen wir auch Drittkunden zur Verfügung.”
Kein Problem mit der Sicherheit
Die Zielgruppe dafür sind Konzerne und mittelständische, international tätige Kunden mit hoher Exportquote und einem Konzernumsatz ab 250 Millionen Euro. Zwei Drittel des Geschäfts besteht aus Beratung: “Wir sind kein Softwarehaus, das kundenspezifische Lösungen anbietet, sondern wir bieten einheitliche Prozesslösungen für alle Unternehmen”, erklärt Schmeiser. Der Kunde greift über das Internet auf die Inhouse-Banking-Lösung ‘finavigate’ zu. Es handelt sich nicht um ein modulares System, sondern um eine einzige zentrale Datenbank. Eine Besonderheit ist dabei die Buchhaltung, die direkt in die Lösung integriert ist: “Die Integration der Buchhaltung macht ‘finavigate’ am Markt einzigartig”, betont der Siemens-Manager.
Entscheidend beim vollautomatisierten Geldverkehr über das World Wide Web ist die Sicherheit. Nach Schmeisers Einschätzung ist das Internet als Plattform “idealerweise dafür geeignet, wenn sichergestellt ist, dass die Dateien mit elektronischer Unterschrift unterschrieben und verschlüsselt übertragen werden”. Und er fährt fort: “Leider wird in der Gesellschaft und auch in der Bankenwelt das Internet oftmals als unsicher dargestellt, was jedoch bei Berücksichtigung der obigen Sicherheitsaspekte in keiner Weise der Fall ist. Die Instrumente dafür sind alle da.” Man müsse verdeutlichen, dass ein unglaublich hohes technisches Niveau vorhanden sei, das “den Menschen vermittelt werden muss und das eingesetzt werden muss”.
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