“Truthful” hätten die Leute, für die dies erdacht worden ist, darüber hinaus noch zu sein. Kennt man auch.
Aber es handelt sich dabei nicht um eine Ordensregel. Wär’ ja auch nicht so gut.
Orden haben schließlich oft als gottgefällige Gemeinschaften frommer Männer begonnen. Und später haben die Guten dann häufig eine schlimme Wandlung erfahren.
So haben Johanniter und Deutschherren vor allem im Schwert das probate Tool zur Verbreitung der christlichen Wahrheits- und Nächstenliebe gesehen, appliziert auf den Köpfen von Muselmanen und heidnischen Preußen. Und Dominikaner und Jesuiten entwickelten zum selbem Behufe für ihre Inquiries allerlei Zangen und Schrauben.
Nein, das Personal von Google ist es, dem heutzutage das Gebot des alttestamentarischen Propheten Amos auferlegt wird: “Hasset das Böse und liebet das Gute” (ibid, Kap.5, Vers 15). Und “truthful” (wahrheitsliebend) sollen sie außerdem noch sein. So steht’s im Code of Conduct des Suchmaschinenbetreibers.
Die von Google, das sind die Guten. Beständig ersinnen sie Neues zum Nutzen und Frommen der User. G-Mail: ein ein GigaByte großes Postfach – gratis, für Gottes Lohn! Auch die Toolbar, die Desktop-Suchmaschine und einen VPN-Client bekommt man von Google für ein “Vergelt’s Gott”.
Und jetzt wollen sie sogar dem Surfer, wenn auch nicht ins Himmelreich, so doch wireless ins Web helfen. Ganz San Francisco möchte Google drahtlos vernetzen.
Fragt man bei der per Code of Conduct der Wahrheitsliebe verpflichteten Pressestelle nach dem Grund dieser Herzensgüte, so vernimmt man die Worte: “Wir wollen der Gemeinde etwas zurückgeben.” (“We want to give back to the communitiy …”) So ist’s recht. Das ist wohl gesprochen.
Google ist eine Art Beichtvater für die Schäfchen im Cyberspace. Und so einem darf man ja nichts verheimlichen.
Nicht den Inhalt seiner Mails. Die werden deshalb von G-Mail gescannt.
Nicht die URLs, die man ansurft. Jene offenbart, wer die Toolbar nutzt.
Zu tiefen Einsichten verhilft Google die Desktop-Suchmaschine, zu Einsichten in die lokalen Festplatten des Users. Der VPN-Client leitet seinen gesamten Internet-Verkehr über die Server des Konzerns. Und das Drahtlosnetz in San Francisco würde seinen irdischen Aufenthaltsort preisgeben.
“Nichts, was er tut, ist gleichgültig. Seine Freundschaften, seine Zerstreuungen, sein Benehmen gegen seine Frau und seine Kinder, sein Gesichtsausdruck, wenn er allein ist, die von ihm im Schlaf gemurmelten Worte, sogar die ihm eigentümlichen Bewegungen seines Körpers, alles wird einer peinlich genauen Prüfung unterzogen.”
Wegen dieses Zitats kommt einem irgendwie so bekannt vor, was Google macht. Es stammt jetzt aber nicht aus der Bibel. Sondern aus George Orwells “1984”.
Darin beschreibt der, was passiert, wenn Kader sich verselbständigen. Ein Kader ist eine Art Orden für Leute, die’s mit der Religion nicht so haben.
Viel Gutes steht meist an ihrem Anfang. Etwa Einsichten des Ordensgründers Lenin wie der von Wilhelm Liebknecht abgekupferte Satz: “Wissen ist Macht.” Treffender kann man wohl nicht auf den Punkt bringen, was Google so treibt.
Oder: “Lernen! Lernen! Lernen!” Auch ein Zitat, das gemeinhin Lenin zugeschrieben wird.
Weise halten sich daran. Google etwa hat sehr viel smartere Tools als Orwells Big Brother mit seinem putzigen Televisor. Bei Google tippen die Leute Suchbegriffe und URLs selbst ein. Und sie installieren den VPN-Client, die Desktop-Suchmaschine und die Toolbar freiwillig.
Ok, ok, es gibt Unterschiede. So bekommt man bei Google zur Buße nicht zehn Ave-Maria auferlegt, sondern zehn oder mehr zielgruppengenaue Werbebanner auf den Monitor geschickt.
Aber wenn einem dann einer von Google bescheidet, das alles geschehe nur, um etwas an die Gemeinde zurückzugeben. Von wegen “Geben ist seliger als nehmen” (Apostelgeschichte, Kap. 20, Vers 35) und so, dann kommt einem doch wieder dieses wenig glaubensstarke Lenin-Zitat in den Sinn: “Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.”
Wie segensreich kann dessen Befolgung wirken! Hilft es doch den Guten dabei, gut zu bleiben.
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