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Der G’wissenswurm

Ein Sober geht mal wieder um. Ein äußerst hochbetagtes Stück Malware. Die Version Z.

“In Spitzenzeiten enthielt weltweit jede 13. versendete E-Mail einen mit dem Wurm infizierten Anhang”, heißt es dazu in einer Pressemitteilung von Sophos. – Ja, die Arbeitsplätze in dieser Firma, sie sind sicher.

Ansonsten wissen die Techniker in den Antiviren-Labors wenig dazu zu sagen. Außer halt, dass die Betreffzeile besagter Mail “Sie haben Raubkopien” lautet. Und dass sie so aussieht, als käme sie vom Bundeskriminalamt.

In einer Pressemitteilung von Antivir steht dann noch: “Diese Attacke… zielt direkt auf das schlechte Gewissen der Anwender.”

Eigentlich banal! Aber das ist’s: der Schlüssel!

Der Anwender nämlich ist ein Mensch. Als solcher hat er ein Gewissen. Und jenes ist meist schlecht.

Dieser Umstand wiederum bildet die Grundlage äußerst lukrativer Geschäfte. Und nur die sichern Arbeitsplätze, wie heutzutage unisono Regierung, Opposition, Arbeitgeberverbände und alle wirtschaftlichen Sachverständigen beredt erklären können.

Mit dem Bau des Petersdoms (1506 – 1623) etwa verdienten sich Raffael (da Urbino) und Michelangelo (Buonarroti) ihren Lebensunterhalt. Finanziert wurde das Unternehmen über den Ablasshandel.

“Insofern war es – streng genommen – die Sünde, die das Geld zum Bau der größten Kathedrale der Welt erbracht hat”, stellt Wikipedia dazu etwas betreten fest.

Die Marketing-Kampagne seinerzeit war aber auch genial: “Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.”

Das war eingängiger als die gesammelten Grammatikfehler und Fehleinschätzungen, mit denen IT-Konzerne heutzutage werben. Wie “Think different!” (Apple) oder “We’re the dot in .com” (Sun).

Die Hacker jedenfalls haben von der Heiligen Mutter Kirche gelernt. Man hat überhaupt den Eindruck, dass neben dem obligatorischen Virenbaukasten die Schriften des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld (1545 – 1598) deren wichtigstes Werkzeug sind.

Jener war nicht nur ein äußerst ambitionierter Hexenjäger, sondern ihm verdanken die Gläubigen auch die Systematisierung der Todsünden, sieben an der Zahl. Und aus diesem Fundus bedienen sich heute die Malware-Schreiber beim social Engineering.

“I love you” beispielsweise. Wer im Wonnemonat Anno Domini 2000 auf diese Betreffzeile hin klickte, der hatte sich der Todsünde der Eitelkeit schuldig gemacht. Und er ward fürderhin mit dem Love-Letter-Wurm geschlagen.

Denn was außer Stolz, Hochmut und Eitelkeit (lat.: superbia) kann einen dazu verleiten, anzunehmen, ein Wildfremder – oder für die eh’ meist männlichen Anwender: eine schöne und wilde Fremde – würde einem einen Liebesbrief schicken? –  Und dazu noch per Mail mit Attachment.

Jenniferlopez_naked.jpg – die Wollust (luxuria), die zu strafen, der Lopez-Wurm geschickt worden ist. Und wer auf Love-Letter und auf Lopez hereingefallen ist, der hat gegen das Gebot der Mäßigung verstoßen. Die Maßlosigkeit (gula), auch sie ist eine Todsünde.

Der Fizzer schließlich versuchte die Wankelmütigen mit den Lockungen des Müßiggangs. Und seine Falschheit ward groß.

Verfasste er doch die Betreffzeile auf Schwäbisch: “Koi Luschd zom Schaffe”. Er formulierte sie also in einer Sprache, die bloß von Leit g’schwätzt wird, die völlig rein sind von der Todsünde der Faul- und Trägheit (acedia).

Ja, die Welt, sie ist schlecht. Und ein Wurm ist deshalb auch immer ein G’wissenswurm.

Diese Erkenntnis könnte man als “Anzengruber-Theorem” bezeichnen, benannt nach dem österreichischen Mundartdichter mit Vornamen Ludwig. Jener betitelte mit “Der G’wissenswurm” eines seiner bekanntesten Stücke.

Allerdings sollte man sich beim Geißeln der Verderbtheit nicht allzu sehr ereifern. Theologisch nämlich ist Sache mit den sieben Todsünden nicht unbedingt haltbar.

Denn die Heilige Schrift kennt nur vier so genannte “himmelschreiende Sünden”. Darunter die einschlägigen wie Mord und Unzucht.

Darüber hinaus ist noch die Unterdrückung von Armen, Witwen und Waisen dabei: “Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Quadersteinen gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt.” (Amos, Kap. 5, Vers 11). Heute würde man dies wohl – etwas weniger archaisch – “Sanierung der Staatsfinanzen” nennen.

Und die vierte himmelschreiende Sünde ist die Verweigerung des gerechten Arbeitsentgelts, moderner: die Entlastung der Wirtschaft. Deswegen werden ja allenthalben das Weihnachtsgeld gestrichen und die Arbeitszeit verlängert.

“Dem Tagelöhner, der bedürftig und arm ist, sollst du seinen Lohn nicht vorenthalten”, heißt es hingegen dazu im 5. Buch Mose, Kap. 24, Vers 14.

Aber siehe: Diejenigen, die solcher Art sündigen, denen können die G’wissenswürmer nichts anhaben. Bei denen macht’s nicht Klick!

Da fehlt’s am schuldbewussten Environment. Und deswegen sucht auch der Sober in der Version Z wieder mal die Falschen heim.

Silicon-Redaktion

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