ERP im Mittelstand: Microsofts schleichender Big Bang
Während sich SAP und Co. lärmend auf den Mittelstand stürzen, arbeitet Microsoft leise aber bestimmt an seinem ‘Project Green’ – mit guten Aussichten auf Erfolg.
In der späteren Produktsuite soll einmal erreicht werden, dass der Kunde “die beste Auswahl aus den vier Produkten” hat, wie Peter Ruchatz, Direktor Microsoft Business Solutions in Deutschland, erklärt. Analyst Bradshaw sieht das nicht so eng: “Sie sind zu besorgt um die Kundenbasis – der potenzielle Markt ist größer!”
Aber im Hause Microsoft hat man sich früherer Klagen von Vertriebspartnern und Kunden angenommen: Vor drei Jahren wurde eine eigene Position für ‘Customer & Partner Experience’ (CPE) auf Geschäftsleitungsebene für verbesserte Kunden- und Partnerzufriedenheit eingeführt. Auch in den Zielvereinbarungen jedes Microsoft-Mitarbeiters steht sie. Und Ruchatz hat einen Mitarbeiter, der sich speziell um die Belange der aktuellen Kunden kümmert.
Auf ‘Project Green’ bezogen bedeutet dies, dass es “keinen Big Bang geben” soll, wie Ruchatz betont, sondern dass die Anpassung der Business-Logik und der Austausch der Geschäftslogik “im Rahmen normaler Releases” laufen werden. “Sukzessive werden die Übereinstimmungen immer größer: SharePoint Portal, die gemeinsame Datenbank, das Look and Feel und die Oberflächen werden angepasst. Die Skalierung wird breiter.”
Auch das Frontend werde einfacher; der Endkunde soll gar nicht mitbekommen, was sich auf der technologischen Seite ändert. “Das Anpassen von Software, was Schnelligkeit und Effizienz angeht, soll relativ elegant und schnell längs eines Prozesses erfolgen – das Gleiche mit der Implementierung: Die Kosten für Implementierung und Wartung werden sinken. Die Integration von proprietären Systemen entfällt”, prophezeit Ruchatz. “Wir begünstigen nur den Austausch.”
Die Office-Plattform als Trumpf
Auch die Namensgebung ‘Dynamics’ der neuen Produktsuite wird peu à peu eingeführt: “Das Rebranding ist Teil der Unternehmensstrategie des Konzerns, die eine schrittweise Überführung der bestehenden kaufmännischen Unternehmenslösungen von Microsoft in eine gemeinsame .NET-basierte ERP-Lösung vorsieht”, kündigte die Software-Company im September an. MBS Axapta wird künftig Microsoft Dynamics AX heißen, entsprechend die anderen Produktreihen Dynamics NAV, Dynamics GP, Dynamics SL und Dynamics CRM. Die Umbenennung geht parallel zur ersten Welle des ‘Project Green’ vor sich – jeweils zum Start der nächsten größeren Produktversion.
Auf die Frage, ob er erwarte, dass eine endgültige ‘Dynamics’-Suite ausschließlich auf Microsoft-Plattformen fokussiert sei, also Windows und .NET, antwortet der Analyst Bradshaw eindeutig: “Ja, ich kann keinen Grund für Microsoft sehen, etwas anderes zu tun, und viele Gründe dafür, andere Plattformen nicht zu unterstützen.”
Was Plattformen betrifft, sieht Bradshaw einen weiteren Trumpf im Ärmel des Riesen: ” Microsoft sieht eine beachtliche Chance darin, MBS-Produkte dazu zu bringen, enger mit seinem Office-Produkt zu arbeiten, was ihnen auf andere Weise hilft – ich sehe Office strategisch als das Schlüsselprodukt schlechthin.”
Bei Microsoft hat man aber auch den umgekehrten Effekt wahrgenommen: “MBS ist der Türöffner – signifikant im CRM-Umfeld”, stellt Ruchatz fest. Entsprechend sei die Plattformentscheidung für ihn von Bedeutung: “Ein ERP-System kauft man nicht eben so.” Die homogene Infrastruktur eigne sich als Einstieg beim Kunden und bringt für Microsoft den Zusatznutzen, dass der sich von Uralt-Office-Versionen trennen muss. Ruchatz: “.NET ist der Marktplatz; wir verlangen nur ein bisschen Eintrittsgeld.”
Wahrnehmung ist alles
Doch auch ein Player wie Microsoft muss erst einmal sein Profil als ERP-Anbieter schärfen. “Die größte Hürde” sei es derzeit, das Ganze “zu kommunizieren”, gibt Ruchatz zu bedenken: “Die Szene vergisst bei dem Hype häufig den Nutzen für den Kunden.” Man werde einen Newsletter für Bestandskunden herausgeben.
Außerdem gibt es den weltweiten Branchenlösungskatalog, der zunächst für die Partnervernetzung gedacht ist, Ende des Jahres aber auch für die Kunden verfügbar sein soll. Ruchatz: “Im Katalog kann man ziemlich genau sehen, was abgedeckt ist. Bei Speziallösungen soll es keine Überschneidungen geben – auch damit die Kunden auf die Partner zugehen können.” Denn Microsoft braucht seinen starken Vertriebskanal; bei Themen wie Office Live oder Software als Service geht es laut Ruchatz lediglich darum: “Wie können wir die Partner einbinden?”
Analyst Bradshaw gibt dem Software-Riesen einen positiven Ausblick: Jetzt sei Microsoft auf dem richtigen Weg. Man habe sich nur relativ viel Zeit gelassen, um zu entscheiden, was man mit den eingekauften Firmen anfangen wolle: “Meine Ansicht ist, dass sie endlich auf dem Weg zu einer neuen kombinierten Produktsuite sind, aber sie haben zu lange gebraucht, um dahin zu kommen.
Ihre ursprünglichen Produktkombinations-Pläne waren nicht gut überlegt, aber sie fanden das schnell heraus und haben es geändert.” Und das schätzt er sehr günstig ein: “Die Forschung für ‘Project Green’ ist sehr gut. Wenn man zurückschaut, scheint es ein Fehler gewesen zu sein, CRM zu launchen, bevor sie diese Forschungen angestellt oder eine Roadmap für ‘Project Green’ hatten. Aber ursprünglich war CRM als das erste ‘Green’-Produkt intendiert.”