Verstößt der Staat als IT-Dienstleister gegen Wettbewerbsrecht?

Der Staat geht über zur IT-technischen Selbstversorgung und keinen scheint es zu wundern oder zu stören. Öffentlich-rechtliche Dienstleister wie die AKDB, Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern, und IT-Dienstleister Dataport, der seit dem 1. Januar dieses Jahres den Nordländern Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam gehört, stehen im Verdacht gegen das verfassungsrechtlich garantierte Wettbewerbsrecht zu verstoßen.

Diese Gefahr sieht etwa Verfassungsrechtler Prof. Dirk Heckmann heraufziehen, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheits- und Internetrecht an der Universität Passau und Leiter der Forschungsstelle für Rechtsfragen in der Hochschul- und Verwaltungsmodernisierung. Während Privat-Fernsehen und die Deregulierung der Telekommunikation sowie des Energiemarkts für mehr Wettbewerb stehen, entwickelt sich der Software- und IT-Dienstleistungsmarkt für Behörden und Ämter in eine ganz andere Richtung. Selbst der europäische Gerichtshof habe bereits mehrfach erkennen lassen, so Heckmann, dass er das Wettbewerbsverhalten der Öffentlichen Hand kritisch sieht.

Der Staat will, kann und muss?

Doch was passiert eigentlich? Und warum relativ schleichend? Auch der Professor spricht lediglich von “Tendenzen” und “Trends”, obwohl die Auswirkungen durchaus gravierend sind. Zunächst einmal ist es durchaus bemerkenswert, dass die Öffentliche Hand sich selbst mit IT und Telekommunikation (IuK) versorgt und dafür auch noch Werbung betreibt. Jeder würde sich wundern, wenn staatliche Stellen Autos bauten oder eine Zulassungsstelle Marketing machen würde.

Das ist in Bezug auf IuK-Leistungen anders. Hier behaupten Behörden oder ihre Beteiligungsgesellschaften: Wir verstehen etwas davon, wir haben ein spezielles Interesse daran, weil es um hochsensible Bereiche geht, und schließlich haben wir die Kapazitäten, erläutert Heckmann. Das sei etwa dann häufig der Fall, wenn es um E-Government gehe. In der Vergangenheit habe sich niemand um die Form für die Datenerfassung gekümmert, etwa um die Papierherstellung, doch nun wird der Betrieb des Internet, von der technischen Infrastruktur bis zur Applikationserstellung, Sache staatlicher Stellen.

Die Crux aber ist, dass es längst private Anbieter gibt, die etwa bedarfsgerechte Software erstellen und vermarkten, zum Beispiel für die Friedhofsverwaltung, für die Gewerbeanmeldung oder für die Steuererklärung.

Do-It-Yourself als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

Zwar haben auch bisher parallel Behörden, Ministerien und Ämter E-Government-Projekte gemacht und Software-Module für Speziallösungen entwickelt. Doch dürfe man die bisherigen Bemühungen etwa um das E-Government getrost als “Fahrpläne und Absichtserklärungen” abtun, so der Verfassungsrichter. Doch jetzt werde es spannend; denn die Fahrpläne seien konsolidiert und es gehe um die Umsetzung.

Und hier befinden sich staatliche Stellen in einer komfortablen Lage. “Die haben erst einmal geschaut, was bieten die privaten Unternehmen Schönes an, und gehen jetzt über zum Nachbau nach dem Motto: ‘Das können wir auch selbst'”, so Heckmann. Auch Imitationen von Microsoft-Prigrammen mit Hilfe von Open-Source-Software schließt der Professor in seine Rüge ein.

Zudem dürfte sich in den Behörden tatsächlich jede Menge Know-How und Kapazität finden, etwa Programmierer, die sich zunächst mit kleinen eigenen Lösungen durchgewurstelt haben. Zugleich ist anzunehmen, dass Überkapazitäten existieren, zum Beispiel weil sich statistisches Material mittlerweile vielfach auf Knopfdruck erstellen lässt.

Zugleich betrachtet der Staat vielfach die technische Selbstversorgung als interne Angelegenheit. So hat Heckmann schon 2004 ein Gutachten erstellen müssen, die Meldedaten von Gemeinden betreffend. Die Kommunen interpretierten deren Online-Erfassung und Verwaltung als hoheitliche Aufgabe. In seinem Gutachten widerspricht der Verfassungsrechtler dieser Sicht. Bei der Online-Erfassung handele es sich lediglich um eine technische Hilfeleistung für die Verwaltung, um einen Auftrag zur Datenverarbeitung. Die Datenhoheit bleibe unangetastet. Dennoch werde die Sensibilität der Daten von staatlichen Stellen gerne als Killerargument gegen eine Beauftragung von privaten Firmen missbraucht, so Heckmann.

“E-Government können wir uns nur einmal leisten”

Der Staat will also und kann sich mit IT-Dienstleistungen selbst versorgen. Ein Muss aber, stellt Heckmann klar, gibt es nicht. So bleibt die Frage, ob es Sinn macht oder gar rechtlich erlaubt ist.

“Verwaltung ist nicht immer effizient”, sagt Heckmann und spricht das aus, was viele vermuten. Die richtige IT-Lösung könnte für mehr Effizienz sorgen, andernfalls verschlimmert sich die Situation nur noch. So geben Bund, Länder und Gemeinden Milliarden für E-Government aus. “Das können wir uns nur einmal leisten”, sagt Heckmann mit Blick auf die leeren öffentlichen Kassen. Da scheint es von vorneherein bedenklich, ausgerechnet ineffizienten Stellen die alleinige Umsetzung zu überlassen.

Behörden sind gesetzlich nicht zwingend dazu verpflichtet, ihre Sache gut zu machen. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft verschwinden sie nicht einfach vom Markt, wenn das Angebot unwirtschaftlich oder unbrauchbar ist. Im Prinzip befindet sich der Staat in der komfortablen Lage, sich jeweils die wirtschaftlichste Lösung auszusuchen, wie das im Übrigen bei Hardware oder Netzkomponenten passiert. Voraussetzung aber ist ein funktionierender Wettbewerb. Dieser aber, so Professor Heckmann, findet nicht beziehungsweise in abnehmendem Maße statt.

Vielmehr scheint es zur Monopolbildung zu kommen. Das aber ist nicht mehr nur eine politische Frage, sondern auch eine rechtliche. “Hier ist eine wichtige Schranke. Solche Entscheidungen, faktisch Monopole zu bilden, darf nur der Gesetzgeber treffen. Würden Wettbewerber aus dem Markt gedrängt, müssten ihnen beispielsweise Entschädigungen angeboten werden.”

Wettbewerbsverstöße ohne Konsequenzen

Beispiele für Wettbewerbsverstöße gebe es laut Heckmann einige. So bietet etwa das Bayerische Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung eine kostenlose Gewerbesoftware an. In der kreisfreien Stadt Rosenheim offerierte die AKDB ihre Melde-Software-Lizenzen  zum Nulltarif, gegen das Angebot der Komuna GmbH. Ludwig Atzberger, Komuna-Geschäftsführer erinnert sich: “Die Stadt Rosenheim, die bis dahin noch eine Eigenentwicklung im Einsatz hatte, suchte wie vier weitere kreisfreie Städte im Herbst 2004 nach einer Software für das Meldewesen.” Das sei eine riesige Chance gewesen, neue Kunden zu gewinnen, da der Markt als recht aufgeteilt gilt.

Rosenheim, Ansbach, Coburg, Memmingen und Weiden (Oberpfalz) tauschten sich über die im Januar/Februar letzten Jahres eintreffenden Angebote der AKDB und Komuna aus. Dabei stellte sich laut Atzberger heraus, dass die AKDB offenbar vergleichbare Leistungen zu unterschiedlichen Preisen angeboten hatte. Rosenheim und die anderen Städte gehören mittlerweile zur Komuna-Kundschaft. Doch gehöre Preisdumping, insbesondere bei strategisch wichtigen Kunden von öffentlich-rechtlichen Organisationen, zu seinem täglichen Geschäft: “Das ist marktüblich und passiert alle Tage”, sagt Atzberger.

Im Norden der Republik können sich die Bürger beim Umzug online ummelden. Da die Menschen oft vergessen haben, sich beim ehemaligen zuständigen Meldeamt abzumelden und deshalb die Daten keine Übereinstimmung mit denen der neuen Meldebehörde aufweisen, verzichtet man inzwischen ganz darauf. Die neue Gemeinde gibt nun der ehemaligen Bescheid über einen Neuzugang, eine Rückmeldung. Diese läuft über eine Clearing-Stelle, die laut Rechtsverordnung von Hamburg und Schleswig-Holstein nur Dataport anbieten darf. Nun kann der öffentlich-rechtliche Dienstleiter bei den Gemeinden mit einem “Rundum-Sorglos-Paket” werben, das private Anbieter nicht offerieren können.

“Ein solch erheblicher Eingriff in den Wettbewerb”, mahnt Heckmann, “darf nicht durch eine Verordnung geregelt werden. Das Parlament muss ein Gesetz beschließen.”

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Silicon-Redaktion

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