Blades: Anwender kämpfen gegen Kinderkrankheiten

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die 136 Jahre alte (1870 gegründet) Commerzbank zu den First Movern in Deutschland gehört, wenn es um den Einsatz von Blades als Ersatz herkömmlicher Server geht? Und doch hat die Bank bereits im Frühjahr 2002 – damals noch bei der Firma Compaq – Blades gekauft. Die US-Wertpapieraufsicht stimmte der Fusion aus Hewlett-Packard (HP) und Compaq schließlich erst im März 2002 zu, nachdem die EU bereits im Januar “Ja” gesagt hatte. Compaq-Blades mitten im Herzen des Bankendistrikts von Frankfurt also. Und die Commerzbank ging nach Aussage von Daniel Steinemann, in der IT-Abteilung für die Blade-Server zuständig, dabei nicht nach und nach vor. Sie setzte ganz auf Modernisierung und legte sich zwei volle Chassis, also mit einem Schlag 80 Blades zu.

Darauf lief und läuft noch heute eine so genannte Monte-Carlo-Simulation. Sie beinhaltet Berechnungen mit zufällig gewählten Zahlen und Faktoren für Finanzderivate, bei denen die Variablen für ein bestimmtes Szenario ständig ausgewechselt werden. Damit errechnen sich beispielsweise komplexe Entwicklungen für Geldgeschäfte, zum Beispiel Kalkulationen mit dem Dollarkurs. Derzeit betreibt die Commerzbank allein in Frankfurt am Main 430, im Ausland weitere 180 Blade-Server. Als nächstes ist geplant, ein Rechenzentrum, das für die Commerzbank von einer Fremdfirma betrieben wird, auch mit Blades zu konsolidieren.

Laut Steinemann wollen die Kunden der Simulationsdaten – das sind Händler am Finanzmarkt – nicht mehr auf solche Werkzeuge verzichten, was die Erweiterung notwendig machte. Ihnen stellt die Bank die Ergebnisse der Berechnungen und die Szenarien webbasiert zur Verfügung. “Alle Blades sind dabei für eine Anwendung zuständig. Auch ein Teil der neuen Blades wird sich mit der Simulation beschäftigen, weil mehr Händler das Werkzeug nutzen und andererseits weil das Risk Controlling in der Anwendung ausgebaut wurde. Das braucht Platz”, sagt er. In diesem Jahr wird die Commerzbank die Blades aber auch für Datenbankbetrieb und weitere Anwendungen einsetzen.

Cooles Innenleben für mehr Spaß beim Rechnen

Die Commerzbank setzte zunächst die Modelle der 20er-Reihe ein und ist jetzt bei der 25er-Serie von HP. Steinemann zu der Entscheidung: “Wir legten Wert auf die kühleren und billigeren Angebote: Da kamen nur HP und IBM in Frage, da nur sie AMDs Opteron verbauen und die stromsparende und kühlere ‘PowerNow’-Technologie einsetzen.” PowerNow sorgt dafür, dass der Prozessor, wenn er nicht aktiv genutzt wird, gewissermaßen “herunterfährt”, also bei weniger Leistung auch weniger Strom verbraucht und weniger Hitze abstrahlt. Steinemann ist mit der Entscheidung für AMD-Prozessoren sehr zufrieden. Eben wegen der kühleren Abluft.

Abgesehen von fehlenden Standards bei der Virtualisierung haben Blades in Rechenzentren also noch mit handfesten Problemen zu kämpfen: Eine klimagerechte Erweiterung der Räume, Lüftungsfragen, Vernetzungsprobleme und Stromversorgung. Oft muss dies alles neu angepasst werden, bevor die dünnen Server tatsächlich zum Kostenvorteil führen und nicht mehr Geld fressen. Das ist die Sicht von Anwendern, aber auch von RZ-Beratern.

Wichtig, aber nicht neu ist die Tatsache, dass für die klimagerechte Erweiterung eines bestehenden Rechenzentrums zunächst eine exakte Analyse der Ist-Situation sowie ein realistischer Forecast der nächsten Zeit erfolgen sollte. Diese Nüchternheit weicht manchmal der Technikbegeisterung. Im Ergebnis sind dann oft zu viele “Hochleistungssportler” im Datenzentrum. Und sie stehen sich bei unüberlegter Bauweise auch noch gegenseitig im Weg. Dieses Problem wurde bei der Commerzbank wegen der Erfahrung mit sensiblen Daten umgehend angepackt – doch es war zunächst durchaus vorhanden, weil die Routine im Umgang mit Blades fehlte.

Eine einfache Rechnung

Denn betrachtet man die Abwärme-Problematik im Rechenzentrum einmal ganz nüchtern, so lässt sich folgendes feststellen: Spezialisten kalkulierten noch vor einiger Zeit mit etwa 700 – 900 Watt pro Quadratmeter. Der Standard heute beträgt 1000 -1200 Watt pro Quadratmeter; beim Einsatz von Blade Server Technologien werden aber schon etwa 4000 – 8000 Watt pro Quadratmeter benötigt.

Und genau das ist der Knackpunkt, der inzwischen RZ-Ausstatter und -Dienstleister wie den Konzern APC, den Serverschrankspezialisten Rittal oder auch kleinere Berater wie proRZ ernährt – eine ganze Teilbranche. In einem gängigen Rechenzentrum wird nach Ansicht von Steinemann bei der Kühlungsarchitektur und ihrer Unterschätzung der häufigste Fehler gemacht.

“Ich kenne Kollegen, die die spezifischen Luftverwirbelungen beim Blade-Einbau nicht in den Griff bekamen und deshalb wieder von Blades weggegangen sind”, sagt Daniel Steinemann. Bei der Commerzbank habe es dieses Problem zunächst auch gegeben. “Im Rechenzentrum wird der Luftstrom zur Kühlung meist von unten nach oben geleitet, um die Server zu kühlen. Bei Blades geht der Luftstrom aber von vorne durch das Blade durch, kühlt dabei und strömt auf der Rückseite wieder heraus – das sorgt bei üblicher Belüftung dafür, dass die warme Luft nach oben steigt und schlimmstenfalls vor dem Server einen Wirbel bildet, der dann wieder angesaugt wird. Dabei entsteht so etwas wie ein Kreislauf warmer Luft und der Hardwareschaden ist vorprogrammiert”, so Steinemann.

Doch wie kann eine moderne und dennoch wirtschaftliche Lösung aussehen? Die Commerzbank hat die Frage durch eine spezielle Anordnung der Bodenplatten mit extra Lüftungsschlitzen gelöst. Und zwar zusammen mit HP-Technikern. “Wir haben zunächst einmal einige Überlegungen in das Layout der Bodenbleche gesteckt”, sagt er. “Uns war vorher nicht klar, dass das wichtig sein könnte – aber wer sich die wichtigsten Gedanken nicht vorher macht, muss sich später damit befassen. Man kann der Frage nur schwer aus dem Weg gehen.”

Oft hilft also der Hersteller. Es gibt aber auch Hilfe für die herstellerneutrale Erstellung neuer Rechenzentren und deren Infrastruktur. Die proRZ GmbH aus Rheinland-Pfalz beispielsweise betrachtet sich so. Sie hilft bei Erweiterungen, aber auch dann, wenn Blades unbedacht neu angeschafft wurden und keiner weiß, wohin damit. Diese Dienste beanspruchen Großkunden wie der Flughafen Frankfurt und den Internetdienst web.de, aber auch Mittelständler mit kleineren Serverräumen.

Das größte Labor der Welt lotet aus

Ralf Siefen, einer der beiden Managing Directors bei proRZ, hält eine optimal an den Bedarf angepasste Energieversorgung und Klimatisierung für unumgänglich. Nur dann, so sagt er, erreichten die Räume eine höhere Verfügbarkeit, die sich sehr wohl messen lässt und auch monetär bewertet werden kann. “Wir versuchen zu vermitteln, dass Hardware, Doppelboden und Klimatisierung als eine Einheit angesehen werden, die das Hitzeproblem nur gemeinsam lösen können.” Er rät dazu, den Ist-Zustand auch in Bezug auf eventuelle Neukosten durch den sicheren Blade-Einsatz zu betrachten. “Hitze ist schließlich ein Hardwareproblem, das nicht nur das Blade oder das betroffene Chassis, sondern schlimmstens im Brandfall ein ganzes Rechenzentrum lahm legt”, warnt er.

Er empfiehlt ein Konzept aus kombinierten Kalt- und Warmgängen mit wohlüberlegter Nutzung einer Lüftung durch den Doppelboden. “Mengenregulierbare Platten bekämpfen dabei die Hitzenester, die unweigerlich bei der weit verbreiteten starren Aufstellung der Server entstehen”, sagt er. Wasserkühlung, so Siefen, sei grundsätzlich direkt am Rack eine gute Lösung. Dennoch sei er selbst, so meint er scherzhaft, “kein Fan von dem Gedanken an Wasser im Rechenzentrum”. Jahrzehntelang habe er schließlich versucht, Wasser und Feuchtigkeit aus den heiligen IT-Hallen zu verdrängen, diese Gewohnheit sei schwer aufzugeben.

Seiner Ansicht nach sind aber nicht nur die Hersteller der Blades selbst in der Pflicht. “Das Thema Blade-Klimatisierung ist nicht zu hundert Prozent gelöst, die RZ-Designer wie Rittal oder Knürr fahren sehr viele verschiedene Konzepte”, sagt er. Gemeinhin sei das ein Zeichen, dass noch zuwenig Erfahrungswerte vorliegen. Im Klartext heißt das: Das größte bekannte Versuchslabor soll es austüfteln: die Nutzer. Durch Ordnung und Anpassung der Serverbauweise, so Siefen, könne aber schon viel Dampf aus der Diskussion genommen werden. Damit erhöhe sich die Lebensdauer und damit auch der Wert einer Blade-Anschaffung.

In diesem Sinne haben es Daniel Steinemann und seine Kollegen genau richtig gemacht. Sie achten seit der Erstanschaffung sorgfältig auf Luftwirbel. Der IT-Profi beschreibt, dass seine Datacenter-Kollegen in ständiger Kommunikation mit den Angestellten stehen, die den Ausbau des Rechenzentrums planen – hierbei geht es immer auch um die Bodenbleche. “Wenn die Anordnung bei Erweiterungen nicht berücksichtigt wird, gibt es Hot Spots, im Rechenzentrum sind das heiße Ecken; und diese schlagen oft nicht einmal Alarm, weil die technischen Wächter meist nur feststellen können, dass die Raumtemperatur insgesamt stimmt”, warnt er. Eine rechenzentrumsweite Planung ist für ihn der einzig gangbare Weg zur funktionierenden Server-Farm.

Aufforderung zum Tanz der Server

Die Entscheidung für HP war dabei prosaisch und unkompliziert. Steinemann erklärt: “Ursprünglich hatten wir Compaq im Rechenzentrum und haben uns für die Simulation eben auch Compaq-Blades angeschafft.” Doch inzwischen bezeichnet er sich in Sachen HP als Überzeugungstäter. Er hat dort “bisher die ausgereiftesten Produkte” kennen gelernt, sagt er.

Außerdem ist für ihn entscheidend, dass er “noch nie die HP-Hotline angerufen” hat. Er räumt aber ein, dass er als Großkunde selbstverständlich die Rabatte eines Konzerns genießt. Außerdem sind zwei HP-Mitarbeiter allein für die Server-Sorgen der Commerzbank abgestellt. Steinemann und Kollegen hatten mit ihnen Ende des Jahres 2005 beispielsweise einige “Unstimmigkeiten bei der PowerNow-Technik” AMDs gelöst. Die AMD-bestückten Blades stellt er aber als “insgesamt günstiger in Anschaffung und Betrieb” dar. Er möchte die spezialisierten Blade-Prozessoren, die weniger Abwärme schaffen, nicht mehr missen. Ansonsten setzt die Commerzbank gern Rittal-Produkte zur Entschärfung der anderen Geräte ein.

Und die Einsparungen? Vom Kostenpunkt her beschreibt Steinemann, dass die Blades im Betrieb und in der Anschaffung etwa gleich teuer sind – teilweise seien sie nur wenig billiger als die Server drum herum. Doch im Bereich der Administration spielen die schmalen Einsteckmodule seiner Ansicht nach ihre wahren Vorzüge aus. Die Reduzierung der zu verwaltenden Hardware sei teilweise, wenn man Switches und Steckkarten mit einberechnet, um ein Vielfaches besser. Und das meint er nicht in absoluten Zahlen der einzelnen Blades, denn die spielt für seine tägliche Arbeit nur eine kleine Rolle. “Anstatt vielen verschiedenen Maschinentypen haben wir es jetzt nur noch mit einem Maschinentyp zu tun”, sagt Daniel Steinemann. Und genau deshalb habe er jetzt etwas weniger Sorgen, denn dieser Typus sei einfacher zu verwalten und zu patchen und es seien immer passende Ersatzteile im Haus. Aus dieser Position heraus kann er den Blade-Einsatz empfehlen.

Berater Ralf Siefen bestärkt diese Anwendersicht. Er zieht das Fazit: “Blades kommen. Und sie sind – wie jede neue Technik – mit Kinderkrankheiten behaftet. Doch gleichzeitig sind sie nicht aufzuhalten.” Vielleicht sogar gerade wegen der Kinderkrankheiten, an denen jetzt getüftelt wird.

Silicon-Redaktion

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