Microsoft übt mit Ex-EU-Richtern das Duell mit den Behörden
Der Kartellstreit zwischen der EU und Microsoft nimmt immer seltsamere Formen an. Verständlich, aber ungewöhnlich ist, dass Redmond den eigenen Fähigkeiten offenbar so wenig traut, dass sie jetzt ehemalige EU-Richter zum üben eingeladen haben.
Einer anonymen Quelle zufolge sollen sich im Januar in New York Microsoft-Leute mit drei ehemaligen Beamten zusammengesetzt haben, um die eigenen Argumente zu überprüfen und mögliche Gegenargumente zu entwickeln. Einer der Richter war demnach Melchior Wathelet, ehemaliger belgischer Justizminister und EU-Richter. Die Namen der beiden anderen sind nicht bekannt.
Zwar hat Microsoft selbst nicht zugegeben, dass es die Verfahren mit der EU im Voraus durchtestet. Doch aus einem Statement des Konzerns geht hervor, dass das für Microsoft eine übliche Vorgehensweise sei. So sei es typisch für den Konzern, in wichtigen juristischen Fragen den Fall “einer Reihe von verschiedenen Juristen in nichtöffentlicher Sitzung vorzutragen”. Der Konzern habe festgestellt, dies helfe sicher zu stellen, dass das hochtechnische Material in einem Verfahren klar und verständlich präsentiert werde.
Das Probeverfahren kam im Zuge der Vorbereitungen diese Woche ans Licht. Schließlich ist für Donnerstag und Freitag ein echter Termin mit der EU angesetzt, in dem der Konzern versuchen kann, die täglichen Strafzahlungen von 2 Millionen Euro an die EU abzuwenden. Diesen Betrag müsste Microsoft zahlen, wenn die Softwareprodukte mit Zusatzfunktionen und Bündelungen ausliefert werden, die von der EU als wettbewerbshinderlich erkannt wurden, und die die Konkurrenz laut EU in unrechtmäßiger Weise übervorteilen und behindern würden.
Wie die Informationweek unter Berufung auf die Quelle schreibt, soll es bei der Probe auch um die jüngsten Streitigkeiten gegangen sein. Das ist die Frage nach Vista und unter welchen Umständen ein komplettes oder abgespecktes Paket der Software auf den europäischen Markt kommen darf. Dazu hat jetzt die oberste Kartellwächterin der EU, Neelie Kroes, Stellung bezogen. Sie schrieb laut einem Bericht des Wall Street Journal in einem mahnenden Brief an Microsoft-Chef Steve Ballmer, dass das Produkt ‘Vista’ nicht mit bestimmten Features ausgeliefert und in Europa verkauft werden darf. “Wir erwarten, dass Microsoft ‘Vista’ so designt , dass es den europäischen Kartell- und Wettbewerbsgesetzen nicht widerspricht; es wäre ziemlich dumm von ihnen, etwas zu bauen, was nicht so beschaffen ist”, sagte sie in einem Interview.
Dieser Wink aus Brüssel ist aber demnach nicht überall angekommen. Microsoft-Sprecher Tom Brookes sagte, er wisse von keinem Brief mit Datum vom 20. März aus Brüssel. Er könne also auf die Spezifika nicht eingehen. Diese Sorgen sind allerdings leidlich bekannt. Es geht um Suchfunktionen, die so voreingestellt sind, dass Sucheingaben automatisch bei Microsofts ‘MSN’-Suche landen, statt sich frei zwischen Suchmaschinen zu entscheiden; außerdem wird die wahrscheinlich voreingestellte Sicherheitsfunktion in Vista ein Antivirus-Toolkit enthalten, das Rivalen wie Symantec ins Hintertreffen bringen könnte; ferner sehen IBM und Oracle die Gefahr, dass sie durch ein Redmonder Digital Rights Managment und Zugangsregeln sowie Authentisierung benachteiligt werden.
All diese Beschwerden versuchte Kroes dem Bericht zufolge noch einmal anzubringen. Microsoft selbst wird Vista später herausbringen als ursprünglich geplant, weil “Tests zu machen” sind. Laut Microsoft-Sprecher Brookes hat die Verspätung nur wenig mit den Bedenken von Konkurrenz und EU zu tun. Kroes deutete aber an, wegen Vista und neuen Bündelungen gegebenenfalls auch ein neues Fass aufzumachen. Sie habe über neue Ermittlungen wegen Vista “noch nicht entschieden”, sagte sie.