Matthias Goebel, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des unabhängigen IT Service Management Forums (itSFM), verweist auf zwei Befragungen, die unter insgesamt 400 Firmen in der jüngeren Vergangenheit durchgeführt worden sind: Danach gaben bei den Betrieben mit mehr als 50.000 Mitarbeitern 58 Prozent der Befragten an, dass sie gemäß ITIL arbeiten oder entsprechende Prozesse derzeit einführen; bei Unternehmen mit 5000 bis 50.000 Mitarbeitern waren es 42 Prozent.
Das Akronym ITIL (IT Infrastructure Library) steht für eine Sammlung von Best Practices, die auf Initiative der britischen Regierung entstanden ist und sich inzwischen weltweit immer mehr als Maß der Dinge im IT-Service-Management durchsetzt. “Gegenüber anderen Management-Frameworks, beispielsweise Cobit oder Microsofts MOF, hat ITIL die weitestete Verbreitung”, bestätigt Goebel. “Sicherlich auch deshalb, weil es die größte Flexibilität bietet.”
Denn ITIL legt eben nur fest, was man machen muss, aber nicht wie man es machen muss. Führen die Unternehmen ITIL ein, ist die Organisation des Helpdesk für die große Mehrheit der Einstieg: “82 Prozent der Firmen fangen an diesem Punkt an”, so Goebel, weil dabei ein schneller Erfolg garantiert sei. Problem oder Change Management würden später folgen.
Die in Bremerhaven erscheinende Nordsee-Zeitung hat kürzlich ihren IT-Helpdesk auf eine Software von Altiris umgestellt und die Prozesse dabei ebenfalls umorganisiert. “Wenn ein Anwender früher ein Problem gehabt hat, rief er den IT-Mitarbeiter an, der in seinen Augen die Sache am besten beheben konnte”, erzählt IT-Leiter Sascha Glackemeyer, zu dessen Team elf Mitarbeiter gehören. “Oder er hat ihn auf dem Flur angesprochen, wenn er ihn zufällig gesehen hat.” So seien hoch qualifizierte Mitarbeiter immer wieder aus Projekten herausgerissen worden. Damit sollte Schluss sein, außerdem wollte Glackemeyer mehr Transparenz in der IT erreichen. Dies war der Startschuss für die Umstellung des Helpdesk.
ITIL ist dabei für Glackemeyer kein Diktat, sondern eine Leitlinie: “Wir haben die Prozesse des Standardwerks an unsere Belange angepasst.” Die Prozesse waren bei der Nordsee-Zeitung schon vor der Einrichtung des neuen Helpdesk an ITIL ausgerichtet, “aber nun sind sie auch in einem zentralen System abgebildet”, sagt der IT-Leiter.
Hat ein Anwender heute ein IT-Problem, meldet er sich telefonisch oder übers Intranet bei der zentralen Anlaufstelle Helpdesk. Kann der dortige Mitarbeiter das Problem nicht mit seinem eigenen Wissen oder der hinterlegten Wissensdatenbank lösen, leitet er die Anfrage an einen spezialisierten Kollegen weiter, also an den Second-Level-Support. Bei Bedarf zieht die IT die Hersteller der eingesetzten Anwendungen zu Rate. “Unser kurzfristiges Ziel lautet, dass die Hälfte der Anfragen direkt der Helpdesk lösen soll”, sagt Glackemeyer.
Ein starkes Kriterium für den Helpdesk hat die Wichtigkeit von Problemen: Tritt eine Störung beim Redaktionssystem auf, ist das Erscheinen der Zeitung gefährdet, die Anfrage also entsprechend dringlich zu bearbeiten. “Demgegenüber muss ein Absturz von Word warten”, so Glackemeyer. Derzeit gibt es unter den IT-Mitarbeitern noch eine stille Übereinkunft, welche Störungsmeldung wie dringend ist, “aber wir arbeiten an entsprechenden Service-Level-Agreements, die für mehr Transparenz sorgen”, ergänzt der IT-Leiter.
Solche “stillen Übereinkünfte” sind ein gutes Beispiel für die Tücken bei der Organisation eines Helpdesk, denn die Mitarbeiter müssen anschließend umdenken, sich an die neuen Arbeitsabläufe halten. “Zumindest die Unterstützung der IT-Mitarbeiter und Rückendeckung aus der Unternehmensleitung sind unerlässlich”, sagt itSFM-Vorstandsmitglied Goebel, “sonst bleibt man Einzelkämpfer und das Service-Management scheitert an mangelnder Akzeptanz.”
Den Mitarbeitern müsse man klar machen, warum man beispielsweise ITIL einführe. “Überzeugen Sie mit Zahlen”, rät Goebel, “indem sie die verbesserte Stabilität der Systeme und Dienste im Betrieb messen – vor und nach der ITIL-Einführung.” Die Zufriedenheit der Fachabteilungen mit dem IT-Service-Management lasse sich am besten durch regelmäßige Umfragen erfassen, ergänzt Goebel.
Das Feedback der Anwender ist auch in Sönke Nissens Augen wichtig: “Sonst kann es passieren, dass ein Unternehmen zwar Service-Level-Vereinbarungen getroffen hat, aber Anwender es womöglich vermeiden, mit ihren Problemen überhaupt beim Helpdesk anzurufen”, sagt der Direktor des Help Desk Institute Central Europe. “Dann erfährt man nie richtig, was die IT-Organisation eigentlich leisten muss.”
Mit 7500 Mitgliedern ist das HDI Central Europe die größte Vereinigung für IT-Service und -Support. Nissen empfiehlt, ein Feedback-Verfahren: “Hat der Helpdesk-Mitarbeiter eine Störungsmeldung abgearbeitet, ruft er kurz beim Anwender an, um dessen Zufriedenheit zu erfragen. Diese Daten helfen auch bei der Bewertung von Service-Level-Agreements aus der Sicht des Anwenders.”
Ein anderes Manko heutiger Helpdesks ist in Nissens Augen immer wieder die Zusammenarbeit zwischen First und Second Level Support: “Beide Teams sind häufig voneinander getrennt und im Second Level Support fehlt das Bewusstsein, dass man sich um Störungsmeldungen rechtzeitig kümmern muss.” Oft liege dies an der Einstellung der Second-Level-Mitarbeiter gegenüber ihren Kollegen des First Level: “Sie reicht von menschenscheu bis arrogant.”
IT-Service-Management bedeutet allerdings mehr als ein funktionierender First und Second Level Support. Transparenz lautet das Stichwort. IT-Leiter Glackemeyer von der Nordsee-Zeitung verdeutlicht dies: “Der Basisbetrieb verschlingt bei uns rund 45 Prozent des IT-Personalbudgets.” Nun wisse man, wofür diese Zeit im Detail aufgebracht werde. “Oder wenn ich beispielsweise mit Hilfe des in der Software integrierten Reporting-Systems erkenne, dass wir mit einem bestimmten Druckermodell ständig Probleme haben, kann ich mir überlegen, ob ich es nicht besser ersetze.”
Nicht zuletzt dank der Support-Software kann Glackemeyer die Fachabteilungen für die IT-Kosten sensibilisieren, da die Nordsee-Zeitung parallel zum Helpdesk-System eine Leistungsverrechnung eingeführt hat. Die Daten über den Zeitaufwand, um ein Problem zu beheben, fließen automatisch in die kaufmännische Software des Verlages, womit eine Fakturierung möglich wird. “Seitdem überlegen die Fachabteilungen genauer, ob sich bestimmte Wünsche an die IT rechnen”, so Glackemeyer.
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