Was kommt nach Web 2.0?
In diesem Jahr lag vor allem ein Begriff im Trend: Web 2.0. Begründet hat diesen der US-Verleger Tim O’Reilly.
O’Reilly bezeichnet damit Online-Lösungen, die den “Nutzer zum Teil der Software machen“. Demnach beruhen diese Tools oft auf Open Source, nutzen das Web als Plattform und setzen auf Software as a Service (SaaS).
Außerdem spielen Daten eine große Rolle – und zwar Daten, die von den Nutzern selbst erzeugt werden. “Steuert kein Anwender etwas bei, gibt es bei Web 2.0 auch keinen Service”, sagt O’Reilly. Damit seien diese Tools ein Resultat der “kollektiven Intelligenz”.
Wenn die jüngste Evolutionsstufe des Internets Web 2.0 heißt, dann lugt freilich schon der nächste Trend um die Ecke: das ‘Web 3.0’. Die Diskussion um dieses Thema hat bereits begonnen – angestoßen unter anderem von John Markoff, einem führenden US-Technikjournalisten. Am 12. November veröffentlichte Markoff einen Artikel in der New York Times. Sein Fazit: Das semantische Web wird das Web 3.0.
Das semantische Web – ein Konzept des WWW-Begründers Tim Berners Lee – gleicht derzeit zwar eher einem Pflänzchen, das in akademischen Hinterhöfen gepflegt wird. Das könnte sich jedoch ändern – nicht zuletzt aufgrund der neuen medialen Aufmerksamkeit.
Zweck des semantischen Webs ist es, das Internet “intelligenter” zu machen. Mit Hilfe der Deutung von Inhalten (Semantik: Lehre von der Bedeutung) sollen Daten (Objekten) auf Rechnern und im Internet zugewiesen werden. Das geschieht mit Hilfe von maschinenlesbaren Metadaten (Informationen über Daten), die diesen Objekten zugeordnet werden.
Mit dem Web 3.0 sollen die Anwender laut Markoff nicht mehr nur kollektiv erzeugte Daten nutzen können. Trend wird auch der Abruf von Daten, die bestimmten komplexen Bedeutungen entsprechen. Suchmaschinen sind dann etwa so “intelligent”, dass sie diese Fragestellung bearbeiten können: “Ich will an einem warmen Platz Urlaub machen, habe ein Budget von 3000 Dollar und ein 11-jähriges Kind”.
Manchen Kritikern gehen die Ideen von O’Reilly und Markoff freilich zu weit. So stört sich der Internet-Pionier Jaron Lanier an O’Reillys Begeisterung für die “kollektive Intelligenz”. Lanier fühlt sich bei derartigen Begriffen eher an Mao erinnert.
Die Tummelplätze der kollektiven Intelligenz – besonders die Online-Enzyklopädie Wikipedia – üben laut Lanier eine “große Anziehungskraft auf narzisstisch veranlagte Personen aus”. Die Wikipedia berge die Gefahr, dass das Wissen monopolisiert werden könnte. Suche man derzeit etwa einen Begriff in Google, stammten die zunächst angezeigten Artikel aus der Wikipedia.
Zudem werde mit Angeboten wie der Wikipedia dem Trugschluss Vorschub geleistet, das Kollektiv sei unfehlbar. Angesichts der Gefahr dieses “digitalen Kollektivismus” sei es jedoch notwendig, die Rolle des Individuums zu stärken, so Lanier.
Auch in Sachen semantisches Web mangelt es nicht an Skeptikern. Sie verweisen auf Hindernisse, die der Verbreitung dieser Idee entgegenstehen. So gibt es bislang relativ wenige semantische Annotationen (Zuweisungen), da deren Nutzen noch zu wenig bekannt ist.
Zudem haben Firmen wie Adobe und Microsoft noch keine Autorenwerkzeuge auf den Markt gebracht, in die Semantic-Web-Techniken integriert sind. “Es gibt noch keine Tools, mit denen Otto Normalverbraucher Dokumente oder Webinhalte ohne langes Nachdenken semantisch annotieren kann”, sagt Georg Gottlob, Professor für Computerwissenschaften an der TU Wien. Würde etwa Microsoft Word über diese Funktion verfügen, “könnte es schnell zu einer kritischen Masse von annotierten Dokumenten im Web kommen”.
So könnte es dauern, bis Markoffs Gleichung ‘semantisches Web = Web 3.0’ Realität wird. Nicholas Carr, der Autor von ‘Does IT Matter?’ und Zweifler der Bedeutung von IT im Unternehmen, findet diesen Gedanken zwar spannend, kann sich aber auch eine Prise Ironie nicht verkneifen. So hat er vorsorglich schon mal Anspruch auf die Markenrechte an Bezeichnungen wie ‘Web 3.0 Conference’, ‘Web 3.0 Camp’ und ‘Web 3.0 Uncamp’ angemeldet.