IT-Infrastrukturen fordern mehr Flexibilität. Wie praktisch, dass die Unternehmen seit einiger Zeit wieder etwas weniger auf eine Kosteneinsparung mit allen Mitteln blicken müssen. Dafür dürfen sie sich wieder ein bisschen für praktische Dinge, Erleichterungen und Innovationen interessieren. Und tatsächlich hob in 2006 der passende Trend dazu auch richtig ab. Er betrifft die Softwarewelt und heißt serviceorientierte Architektur oder schlicht – weil die Softwarebranche zu Akronymen mit drei Buchstaben neigt – SOA.
“SOA ist nichts anderes als das jüngste Glied in einer langen Kette von Wundermitteln für die IT.” Mit diesen Worten räumte Helmuth Gümbel, Managing Partner des schweizerischen Marktforschungshauses Strategy Partners, mit Illusionen auf. Zwar sei die Idee überfällig gewesen, die Business und die IT näher bringen soll, indem die Geschäftsprozesse in wiederverwertbare Services gegossen und anwendungsunabhängig verarbeitet werden. Doch genau bei der versprochenen Unabhängigkeit traut er den Herstellern nicht über den Weg.
“Sobald eine gute Sache standardisiert wird und somit herstellerübergreifend verfügbar ist, muss der Anwender nicht mehr zum Anhänger einer bestimmten IT-Religion und völliger Abhängigkeit mutieren,” so Gümbel. Doch nach jeder solchen großen Einigung weiche die Industrie vom Pfad der Tugend ab und die mühsam erkämpften Standards würden im Bedarfsfeld des Herstellers “optimiert”. Das habe zur Folge, dass diese neu geschaffene Heterogenität vom Markt korrigiert werden muss: “Diese Wellenbewegung aus Standardisierung und Vereinzelung kennzeichnet die Branche seit 30 Jahren”, sagt Gümbel und sieht auch für SOA eine Entwicklung nach genau diesem Muster.
Haare in der SOA-Suppe
Doch er sieht nicht nur Negatives. So hält er viel von der prozessorientierten Betrachtung der Geschäfte, wie sie durch SOA angestrebt wird. “Diese Dienste- und Prozessbetrachtung wird allerdings erst langsam kommen – nicht binnen fünf Jahren, wie es die Hersteller glauben machen wollen. Und selbst dann wird die Umwandlung im Denken nur dann fruchten, wenn die IT-Ausbildung darauf ausgerichtet wird.” Vorstellbar wäre, so Gümbel, dass es eines Tages nicht mehr den SAP-Profi oder gar den ERP-Spezialisten gibt, sondern den Services oder den Requirements Manager.
Genau den sucht jetzt auch ein IBM-Kunde, der SOA mehr nebenbei denn absichtlich eingeführt hat. Während die Hersteller noch über die Philosophie schwadronieren, legte Dirk Klöckner, Vice President IT des Heizungsspezialisten Viessmann, die Messlatte an die damalige IT und beschloss eine Portallösung aufzusetzen. “Dass wir SOA machen, haben wir erst erfahren, als wir schon damit angefangen hatten”, sagte er auf derselben Veranstaltung.
Er baute den weltweiten Einkauf so um, dass nicht nur die Kunden, Zulieferer und Partner besser eingebunden waren, sondern auch die sehr unterschiedlichen Welten intern zusammengeführt werden konnten. Immerhin baut und repariert Viessmann nicht nur Heizungskessel und -Geräte, sondern hat auch eine eigene Gießerei. Und die hat komplett andere Bedürfnisse und Prozesse als der Rest von Viessmann. Insgesamt 110 Standorte international und ein weltweiter Einkauf sagen ebenfalls etwas über die Unterschiedlichkeit im Hause Viessmann aus.
Strategie und Quick Wins
Klöckner brauchte einen Lösungsansatz, der aus den vielen einzelnen, sehr spezialisierten Lösungen und den entsprechenden Bedienoberflächen eine zusammenpassende Lösung machte. “Für uns war wichtig, das Ziel schnell und einfach sowie dauerhaft zu erreichen. Also bestand unser Weg nicht darin, alles alte herauszureißen – das hätten wir bei einem anderen Hersteller auch haben können. Wir entschieden uns für die Portaltechnik, die uns IBM vorschlug”, sagte er. “Das klappt von Aufbau und Akzeptanz her, es verband ganz natürlich die strategischen Überlegungen mit Quick Wins, was nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wenn man die IT umkrempelt. Und daraus erwuchs dann in der Praxis und ohne viel Lärm waschechtes SOA.”
Doch einfach war dies offenbar nicht. “SOA ist wie ein mittlerer Erdrutsch – da sollte sich niemand Illusionen machen”, mahnt Klöckner. “Jede Ausprägung von Hierarchie muss im System komplett neu strukturiert werden. Und wenn die Prozesslandkarte mit den Zuständigkeiten fertig ist, ist meistens aus einem Kunden ein Partner geworden und man fängt wieder von vorne an. Deshalb haben wir den Plan, eine solche Übersicht zu pflegen, erst einmal aufgeschoben.”
Diesen Graben zwischen Idee und Wirklichkeit soll jetzt ein mit Entscheidungsgewalt ausgestattetes Team überbrücken. Das Services und Requirements Management wird laut Klöckner vielleicht nicht alle Fragen beantworten. Doch es könnte im Alltag von unschätzbaren Wert sein. “Wer den Überblick hat, kann die Prozesse durch die Services steuern und die Services wiederum aus jeder beliebigen Umgebung herausholen. Sagen Sie das einmal einem eingefleischten Notes-User, der wird niemals etwas mit SAP-Funktionen bauen, auch wenn es damit zehnmal schneller ginge. Diese Kulturgräben kann nur ein Services und Requirements Manager überwinden”, so der IT-Fachmann. Doch er müsse einen soliden Überblick haben und “gern Probleme lösen, statt jahrelang durch ein einziges System schon in der Ausbildung verdorben zu sein”. Momentan ist Klöckner selbst dabei, einen solchen Requirements Manager auf globaler Ebene aufzusetzen, der dem Abteilungsleiter unterstellt ist. Doch er weiß: “Die Komplexität einer solchen Aufgabe erfordert Teamwork, sonst entsteht hier Leerlauf und dort Überlastung.”
Aber bei allen noch wartenden Aufgaben ist er sicher: “Wer weiterkommen will in der sich verändernden Welt, kommt an einer gut aufgesetzten und gepflegten SOA nicht vorbei, und wenn es Jahre dauert.” Hier decken sich die Einschätzung der Industrie mit denen des Anwenders und von Helmuth Gümbel von Strategy Partners. Anders ausgedrückt: Die Frage für die Anwender und die Industrie im Jahr 2007 gleichermaßen ist nicht, ob SOA überhaupt sein muss, sondern: Wie serviceorientiert muss was im Ablauf genau sein?
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