Nie war die Zukunft unvorhersehbarer
1984 gelang ihm der Durchbruch auf der literarischen Szene mit seinem Cyberpunk-Klassiker Neuromancer. Seit dem untersucht Science-Fiction-Autor William Gibson die Beziehung zwischen Technologie und Gesellschaft.
silicon: Für wie plausibel halten Sie heute noch Ihre früheren Romane wie etwa Neuromancer?
Gibson: Jede imaginäre Zukunft legt eine seltsame Patina an, wenn sie erst einmal festgeschrieben ist. Das liegt in der Natur der Sache.
Wenn ich ein 12-jähriger Junge wäre und heute zum ersten Mal Neuromancer in die Hand nähme, dann würde ich nach den ersten 20 Seiten denken: “Ah, ich weiß, was mit all den Handys passiert ist! Das ist eine Hightech-Zukunft, aus der die Mobiltelefone verbannt wurden.” Das mit den Handys ist also völlig danebengegangen.
Wenn mich die Leute über Neuromancer als Zukunftsvision befragen, dann beziehen sie sich immer auf die Technologie. Sie fragen dagegen nicht nach der Globalisierung, die damals noch kein Begriff war. Aber die Welt von Neuromancer ist eine postglobalisierte Welt, die noch mit den Folgen der Globalisierung zu kämpfen hat. Das mag für eine Menge Leute heute ein interessanter Aspekt sein. Wenn der nicht da wäre, wäre der Roman wohl hoffnungslos überholt.
Mit Ausnahme der Sowjetunion – ein weiterer dicker Anachronismus in Neuromancer – scheint es in jener Welt keine Nationalstaaten zu geben, sie ist völlig von Konzernen bestimmt.
silicon: Was machen Sie als Nächstes?
Gibson: Ich glaube, ich kann mit meinen derzeitigen Büchern die Gegenwart erfassen. Später dann kann ich wieder diese Art von Projektion versuchen, wie in diesem Interview. Das hoffe ich jedenfalls. Ich weiß nämlich nicht, was sonst machen soll!