Mit SIP soll ein offener Standard geschaffen werden, über den nicht nur Telefonie, sondern auch Collaboration-Funktionen oder Multimedia-Anwendungen bis hin zu Computerspielen über IP möglich sind. Es gilt mittlerweile als offener Beinahe-Standard. Im Ziel ist er aber noch lange nicht. Offen auch nicht. SIP ist nämlich keineswegs unumstritten, da derzeit viele, viele Köche in dem Topf rühren. Sind es zu viele Köche? Darüber gibt es ganz unterschiedliche Ansichten.
Auf den letzten Metern zeigt sich Kooperation und Rivalität innerhalb und außerhalb der Gremien. Die großen Anbieter sind sich einig, dass sie grundsätzlich Interoperabilität wollen – aber auch, dass ihr jeweils spezifischer Weg, um dorthin zu kommen, natürlich der beste ist. Denn die Standardisierung des SIP ist in zahlreichen Industrieorganisationen, Standardisierungsgremien und Arbeitsgruppen aufgehoben. Dazu gehören unter anderem die IETF, ETSI, 3GPP und die ITU-T. Und hier sitzen sehr unterschiedliche Firmen an einem Tisch, die sich mit Rivalen einigen müssen – sofern sie schnell Produkte mit SIP bringen wollen, die in der realen Welt funktionieren. Je schneller, desto besser. Von einer Einigung sind die entscheidenden Konzerne, die aktiv mitarbeiten, aber noch weit entfernt. Mehr noch: Es gibt eine reale Gefahr, dass die großen Konzerne Interessengruppen bilden und jeder sein eigenes “SIP-chen” kocht.
Gemeinsam stärker
Henry Zhang, Director of Core Network Product Line Marketing, Huawei Europe, sieht die Standardisierungsfragen aber dennoch als grundsätzlich lösbar an. “Huawei geht nicht davon aus, dass Unternehmen im großen Stil Lösungen mit selbst entwickelten SIP-Varianten auf den Markt bringen werden. Dafür schreitet die Standardisierung von SIP zu schnell voran. Außerdem gab es dank der guten Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen bislang weder auf strategischer noch auf technologischer Ebene Differenzen”, sagte er. Doch auch bei dem versierten TK-Ausrüster aus China werden die Differenzen gesehen. So sei es selbstverständlich, dass “verschiedene Service-Anbieter je nach Einsatzszenario unterschiedliche Bedürfnisse” hätten.
Um der Einheit und der Standardisierung willen setzt Huawei auf gemeinsame Anstrengungen. “Ein Standard ist immer als Prozess zu sehen, der gelegentlich angepasst werden muss”, sagte Zhang. Jedoch erwarte Huawei keine grundlegenden Änderungen mehr. Zhang sagte, dass sich Protokoll-Erweiterungen leicht einpflegen lassen. Doch die Tatsache, dass SIP nicht nur auf Anwendungen im Telekommunikationsumfeld beschränkt ist, sondern auch Multimedia-Dienste wie beispielsweise IPTV unterstützt, erfordert noch viel mehr Zusammenarbeit.
Als entscheidendes Gremium ist die Internet Engineering Task Force (IETF) für die Erarbeitung und Verabschiedung des SIP-Standards verantwortlich. Dieser Prozess ist weitgehend abgeschlossen, da ein Großteil der SIP-Mechanismen bereits den Anforderungen der Telekommunikationsstandards des 3rd Generation Partnership Projects (3GPP) und des Standardisierungsgremiums ETSI entspricht. Aktuell werden noch einige Ergänzungen und Implementierungsvorschläge diskutiert. Und die bieten bei den großen Firmen viel Raum für Diskussionen.
Da der Änderungsprozess im Rahmen der Gremien sehr aufwändig ist, weil Arbeitsgruppen von Gremien bei der IETF vorstellig werden müssen – von wo aus die Entscheidung wieder über bestimmte Stufen zurück gehen muss –, haben bereits Firmen angefangen ihre eigene Geschmacksrichtung des Standards in die Produkte einzubauen. Oder sie ergänzen SIP eigenmächtig um Extensions, die in die eigene Produktwelt passen. Damit sind sie, wie Siemens Enterprise Communications, bereits am Markt. Im Spiegelbild dazu stehen die Worte von Henry Zhang, dass nämlich “das SIP-Protokoll im Rahmen dieses Prozesses bislang nur geringfügig modifiziert” worden sei.
Jedem sein eigenes SIP-chen
Darin sieht der Konzern Alcatel-Lucent, der ebenfalls mit seiner reichhaltigen Produktpalette im Kommunikationsmarkt tief in den Gremienarbeiten steckt, sehr wohl ein Problem. “Viele Hersteller kochen ihr eigenes SIPchen, was dazu führt, das SIP in der Standardisierung zu sehr aufgeweicht wird”, sagte Jörg Fischer. Er ist bei Alcatel-Lucent Deutschland im Bereich Enterprise Sales als Leiter Lösungsvertrieb auch für die Consultant-Betreuung und die strategische Geschäftsentwicklung in Deutschland verantwortlich. Als Grund für die verschiedenen Ansätze sieht er das Protokoll selbst.
“Wie weit SIP ist, kann man daran erkennen, dass wir, Stand heute, von SIPing 19 reden. Das bedeutet 19 standardisierte Leistungsmerkmale. Dagegen bietet ISDN ein Mehrfaches davon. Die Standardisierung wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Der Grund dafür liegt im SIP selbst. SIPen kann nahezu jeder. Ergo jeder Hersteller möchte seine Art des SIPens als Standard sehen. Man kann sich leicht vorstellen, dass das Finden eines gemeinsamen Nenners nicht ganz einfach ist”, sagte Fischer.
Dazu komme noch, dass der Standardisierer ausdrücklich erlaubt, eigene SIP-Adaptionen zu entwickeln. Dabei versuche Alcatel-Lucent für die Abbildung der erweiterten SIP-Funktionen XML zu verwenden. “Die Vorteile liegen auf der Hand. XML ist sehr stark an das Beschreibungsprotokoll von SIP (SDP – Session Description Protocol) angelehnt. XML ist HTTP und damit auch gesichert als HTTPS möglich – in Analogie zu SIP. Und der wichtigste Punkt: Diese Funktionen können auf nahezu beliebigen Endgeräten eingesetzt werden”, sagte er.
Doch damit sind wohl nur die Kunden des Konzerns aus dem Schneider. Insgesamt befürchtet er, dass die Standardisierung zu langsam geht, so dass sich noch mehr Eigenbrötlerei der Konzerne entwickelt. “Je mehr Menschen und Institutionen sich mit dem SIP beschäftigen und eigene SIPchens entwickeln, umso schwieriger wird es werden, einen gemeinsam Konsens zu finden.” Leider sei die Spaltung derzeit Gang und Gäbe. “Da werden herstellereigene Protokolle über SIP getunnelt. Oder man bettet ältere, aus der klassischen Telekommunikationswelt entlehnte Protokolle wie QSIG oder gar CSTA über SIP. Andere wiederum versuchen die fehlende Funktionalität in SIP durch DTMF-Steuerungen wett zu machen. Alle diese Ansätze sind jedoch zum Aussterben verdammt”, meinte Fischer.
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