Analyse: Microsoft richtet sich selbst

Doch trotz der wirtschaftlichen Schwere einer Zahlung von fast einer halben Milliarde Euro ist das nicht Microsofts größtes Problem. Das mächtige Softwarehaus aus Redmond ist nun mit seiner eigenen Unzulänglichkeit in Fragen der Zukunft des Unternehmens konfrontiert. Denn Giganten mit einem Hang zu monopolistischen Strukturen können sich nur selbst umbringen. Diese Aussage brachte vor etwa 20 Jahren William H. Davidow in seinem Buch Marketing High Technology auf den Punkt. Damals ging es in erster Linie um die Rolle des Marktführers der Halbleiterhersteller, Intel. Doch die Aussagen des damaligen Silicon Valley Bestsellers gelten auch heute noch: Beherrscht ein Unternehmen den Markt, kann er nicht durch die Konkurrenz verdrängt werden. Die Kosten, die dafür strategisch aufgewendet werden müssten, sind schlicht weg zu hoch, auch wenn man fachlich ein besseres Produkt zu bieten hätte. Dies lässt der Umkehrschluss zu: Mächtige Unternehmen wie etwa IBM vor 20 Jahren, Microsoft oder auch Intel heute, können nur durch Fehlverhalten oder mangelnde Konzepte sich selbst gefährden.

Dies wird derzeit am Fall Microsoft besonders deutlich. Microsofts Stärke liegt in der Dominanz des Arbeitsplatzrechners, im Fachjargon Desktops genannt. Gewiss war es ein Zufall, als Bill Gates Anfang der 90er Jahre von IBM den Auftrag erhielt, ein Betriebssystem für den sich abzeichnenden Wettbewerb am PC-Markt zu machen. Im Rückblick kann man aber nicht sagen, das Gates den Erfolg systematisch vorausgesehen und programmiert hat. Es muss vielmehr heute davon ausgegangen werden, dass er mit zunehmendem Momentum die Rolle des PCs erkannte und darauf sein gesamtes Konzept aufbaute.

Dies bescherte Microsoft in den letzten 20 Jahren die bekannte Dominanz und praktische Monopolstellung am PC-Markt. Wobei diese in erster Linie für die Desktops gilt. Dort liegt der Marktanteil heute nach Aussagen von Marktforschern etwa bei 95 Prozent. Wohlgemerkt, bei den Endgeräten! Am Markt der PC-Server dagegen ist von einer derartigen Dominanz nicht zu sprechen. Zwar spielen die Betriebssysteme Windows für Server im Bereich der so genannten Industriestandardrechner, die mit Chips von Intel (x86) ausgestattet sind, eine große Rolle. Doch von einem Monopol wie dies bei den PC-Endgeräten der Fall ist, kann man nicht sprechen.

So ist der Fall, der gestern in Brüssel einen neuen Meilenstein erreichte, allein in Europa schon bald zehn Jahre alt, in den USA noch älter. Im größten Wettbewerbsfall der EU warf die Kommission Microsoft damals vor, seine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen und Konkurrenten zu verdrängen.

Der Hintergrund: Am 10. Dezember 1998 beschwerte sich Sun Microsystems bei der Kommission über Geschäftspraktiken von Microsoft, worauf Brüssel ein Missbrauchsverfahren gegen Microsoft einleitete. Die Kommission belegte Microsoft wiederholt mit Bußen in dreistelliger Millionenhöhe.

Auslöser im konkreten Fall vor der EU war die Integration von Microsofts Media Player auf jedem Windows-Rechner ab Werk der Hersteller und die damit verbundene Verdrängung des Players von Real Networks. Bei den Verhandlungen in den USA ging es um den Webbrowser. Bis Mitte der neunziger Jahre war Netscapes Mosaik Browser die meistverbreitete Software zum Surfen im Netz. Angesicht der Dominanz packte Microsoft zu der Windows-Software gratis ein Programm namens Internet Explorer. Innerhalb kürzester Zeit wurde Netscape bedeutungslos. Heute liegt der Marktanteil bei zehn Prozent. Der Internet Explorer beherrscht den Markt.

Der Musiksoftware von Realnetworks drohte ein ähnliches Schicksal, seitdem Microsoft den Media Player zu Windows packt. Die europäischen Wettbewerbsbehörden verdonnerten den US-Konzern daher, für Europa auch eine Version des Betriebssystems ohne die Musiksoftware zu bieten. Zu Recht, urteilten die Richter am EU-Gericht gestern in erster Instanz.

Die Methode, das Betriebssystem Windows als Brückenkopf zu nutzen, wie es die Süddeutsche Zeitung beschreibt, galt nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in aktuellen Software-Anwendungen. Versucht doch Microsoft weiterhin, über Software, die Windows beiliegt, neue Märkte zu erobern. So will der Konzern mit Dokumentenformaten Fuß fassen, die denen ähneln, mit dem das Softwarehaus Adobe Systems sein Geld verdient. Der Suchmaschinenbetreiber Google beschwerte sich, dass bei Microsoft-Produkten stets die konzerneigene Suchmaschine eingestellt ist. In Kürze ändert Microsoft das.

Analysiert man die Wirtschaftsmeldungen der letzten 12 Monate, wird klar, dass Microsofts Modell der Desktop-Bündelung nicht mehr die vorherrschende Stellung einnimmt. Das neue Rückgrat für Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnik ist vielmehr das Internet in seiner Form World Wide Web (WWW). In diesem Wettbewerbsfeld ist, wie alle Zahlen belegen, der Suchmaschinenanbieter Google aus Mountain View im kalifornischen Silicon Valley der Primus. Heute wird dieser Markt in erster Linie mit der Menge der Suchanfragen in Kombination mit damit verbundenen Werbemöglichkeiten beurteilt. In diesem Aspekt führt Google nach Zahlen verschiedener Beobachter mit etwa 40 Prozent, gefolgt von Yahoo mit etwa 25 Prozent und weit abgeschlagen Microsoft mit etwa 13 Prozent. Es spricht vieles dafür, dass Microsoft mit seiner anfänglich falschen Einschätzung des Internet (Unix-Mist) sich möglicherweise geirrt hat.

Silicon-Redaktion

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